Rolf Haufs
Brief an G.S.
So rufe ich dich aus den tiefsten Tiefen meiner Traurigkeiten
Zu Dir redend als Freund und Genosse in Marxo
Fragend Dich ob Du mich hörst
Erkennst meine Not die zum Himmel schreit
Schreit wie das Produkt meiner Liebesnächte schreit
Tagelang schreit mittagelang abendelang nächtelang schreit
Ach wie schön war doch der Mond über dem Kiefernbusch
Da ich als Jüngling den Wanderstab umklammernd die Strecke nahm
Von Rheydt gen Düsseldorf über den Rhein zu Brown und Boveri
Und wieder von Brown und Boveri wo ich mein Auskommen hatte
Wieder von Brown und wieder von Boveri zurück in die Mauern, die dunklen
Die Goebbels geboren der fortging ohne den Segen seiner armen Mutter
Fortging wie Haufs ein Menschenalter später fortging
Immer fortging nach Steinstücken wo auch wieder Kiefernbüsche
An denen die Volkspolizei das Wasser abschlägt
Und In Schach hält marschierende Rentner und wissende Embryos
Aber ich weiß daß du mich hörst immer mich hörst
Wie ich die Stimme der Interzonenzüge dreimal täglich
Und wieder dreimal täglich höre und den wütenden Zisch der Dampfkessel
Und das süße ach süße Gewisper: Haltet bereit seid bereit
Haltet bereit euren Personalausweis und daß niemand niemand mir
Daß mir niemand niemand den Zug verläßt
Denn es warten auf euch Maschinengewehre und finstere Blicke
Aber ich fürchte Du tauchst Dein Haupt in Tränen
In einer Waschschüssel gekauft bei Woolworth Schadowstraße
Billig gekauft weil für Gedichte nichts gezahlt wird für Gedichte
Um die wir ganze Nächte trauern während andere unsern Frauen nachsehn
Aber Du, Du der Du für Stunden gen Köpenick gingst
Wo Niobe die mit dem Sozialismus prahlt einst
Die Zweige der weißen Mittage ertränken wird
Doch wir alle treffen uns wieder auf dieser Erde
Vielleicht auf den Feldern bei Kappes Hamm
Oder auf der Spitze der schiefen von Sankt Lambertus
Dem Mädchen vom Schloßturm von unseren Abenteuern erzählend
Aber ich höre daß die Maid ertrunken, daß ihre Tochter
Die blaue Bluse fragt darunter es nach Apfelstrudel riecht
Aber wie drankommen wenn sie beten wie es Nonnen tun
Ja gewiß, die Zeiten sind nicht sicher
Doch sicher ist das Veto unseres Kanzlers und der uns
Für sich In Anspruch nimmt sitzt auf endlosen Konferenzen
Derweil wir in die Kanäle der Vorstädte gehn
Wo die Böse Blume auf unseren Angstschweiß wartet
Aber auch dort läßt ER das Brot wachsen
Und die Solidarität die Hände hat was sage ich: Hände
Die auch Füße hat die mit allen Vieren den Erdball den Wicht
Umschüngt und die vereint alle Jasager aus den Vorstädten
Bilk Neukölln Eller Wedding Flingern und Kreuzberg
So sende ich Trost Dir aus den Kiefernbüschen und wenn Du willst
Ein Körnlein Sand, Sand vom Sand der meine Tomaten nicht wachsen läßt
Und der den Regen auffrißt wie der Hund das Wasser säuft
Möge auf Deinem Herd der Frieden gar werden und mögen die Schatten
Der Hochhäuser von Mannesmann und Ruhrkohle Deine Stirn nie verdunkeln
Weil Du freundlich bist zu allen die wie Brecht
Den Käse mit dem Messer schneiden