Christian Uetz
[Ich komme nicht zur Existenz.]
[Ich komme nicht zur Existenz.]
[Die gesprochene Version weicht vom gedruckten Text ab]
ICH KOMME NICHT ZUR EXISTENZ. Ohne Wort komme ich nicht zur Existenz, und mit dem Wort komme ich auch nicht zur Existenz, sondern zur Nichtexistenz. Und alles Leiden ist das Leiden zur Geburt der Existenz, daß ich zur Existenz komme. Es ist nicht möglich, mir das einfach bewußt zu machen und damit zur Existenz zu kommen. Ich komme nicht zur Existenz, auch nicht bei noch so hellem Bewußtsein. Es genügt auch nicht, an Gott zu glauben und Gott zu denken, ich komme dennoch nicht zur Existenz. Ich komme nur zum Leiden daran, daß ich nicht zur Existenz komme, zur Existenz Gottes, der nicht existiert. Das scheint verkehrt, weil wir doch im Schein des Bewußtseins gerade nicht nicht zur Existenz, sondern nicht zur Nichtexistenz kommen, welche die Existenz ist. Das ist das schimmerndste Paradox, daß gerade dem Bewußtsein der Blitz fehlt, der die Existenz ist. Und schon dreht sich die Umkehr Nietzsches wieder um. Er hat geblitzt mit der Nichtexistenz, und hat in die Existenz eingeschlagen: Erst in der Nichtexistenz Gottes kommst du zur Existenz. Und also dadurch: die Nichtexistenz ist überhaupt die Existenz. Komme ich also jetzt zur Existenz? Komme ich selber, der ich von der kommenden Existenz schreibe, denn nun zur Existenz? Ich fühlte es während des Denkens des Gedankens, nun aber ist es schon wieder geflohen. Ich komme nicht zur Existenz. Es nützt nichts, den Gedanken zu denken. Obwohl er wahr ist, nützt er nichts und führt er zu nichts, das er ist. Und genau im Nichts des Worts ist die Nichtexistenz vergegenwärtigbar. Doch geschrieben oder gelesen oder gedacht ist es wie den Tod anderer sehen, nicht aber selber erfahren, solange ich nicht selber tot bin. Es geht aber ums Leben, und es kommt vom Wort. Ich komme ums Leben, wenn ich nicht zu Wort komme.
ICH LASSE DICH einfallen;
und strahlhartes Licht schwertst mich aus.
Ihr Engel fällt mir ein;
ihr Tierengel, ihr Nacktengel alle;
ihr fällt auf uns über uns herein;
und füllt uns schamlos aus.
Hirnschwanzströme verlichten uns als all
Ein Geschlecht.
IN DIR werde ich ganz ruhig ganz,
und wir kommen rastlos restlos zur Ruhe.
Zur Ruhe kommen wir so heftig,
daß wir ohnmächtig werden,
und ins Todkomische erwachen.
UND VON DIR der Schmerz sternt steinseelig,
damit der Schluss unendlich wird.
Du stummes Sterbelicht,
du zitterndes Nichts,
was will uns noch hinderlich werden?
Schusslicht flußt durch alle Poren,
damit das Ertrinken verschwimmen wird.
Und irrgernwann wird der Traum wahrer als der Raum,
das Erregen stärker als das Leben,
die Zeitlosigkeit tiefer als die Zeit,
und die Wunde barer als die Welt.
ERST wenn wir das Wunder verlieren, sehen wir es.
Erst wenn uns das Leben verlassen, fassen wir es.
Und solange wir etwas erleben wollen,
ist es nicht erfüllt.
Sterbenslust ist die ganze Unsterblichkeit;
jetzt sterben die pathetischste Vollkommenheit;
für dich die pathologischste Liebe.
PASSION ist das Wort,
welches die Neurosen heilt in das Wort Passion.
Passion ist das Wort,
welches das Wort Krankheit und Verstörtheit
und Lächerlichkeit und Peinlichkeit und Obsession erlöst
in das Wort Passion.
Passion ist das Wort,
in welchem das Wort Passion wird.
WIR SEHEN UNSER ENDE,
und schon sind wir Engel;
nicht auf der Welt.
Alles schon verabschiedet,
zum letzten Mal gesehen,
alles beendet,
und alles beginnt.
Wir sehen unser Nichtsein,
und schon sind wir Gegenwart ohne Gegenwart,
Geist ohne Anwesenheit.
Und was uns auch geschieht,
es ist schon erlebt.
Und was wir auch tun,
es ist schon perfekt.
Wir drängen uns nicht ums Leben,
wir dringen in die Ewigkeit.
Wir drängen uns nicht umeinander,
wir dringen ineinander in die Einzigkeit.
ABER DA LIEGT nun mein Engel in meinem Bett.
Reiners echter, ganzer, strahlendster, schönster Engel.
Schläfrig und abwesend und verträumt,
lustern und lüstern und leicht.