Nora Gomringer
Der Rose kündigen für den Tag, an dem alle nach Dornen fragen
Der Rose kündigen für den Tag, an dem alle nach Dornen fragen
An süßduftenden Tagen, an denen Regen auf allen Bänken sitzt
und ein Rentner über die Rohheit der Jugend erzürnt
-denn der Regen ist jung und tritt die Bänke mit Wasserfüßen-,
an schweren, dunstigen, ebendiesen Tagen
ist der Garten ein Revier der Zierde,
der Schnecken und Würmer,
der Zähne der Löwen,
der Größe der Rosen,
der Majestät und des Grüns.
Ich sitze und gehe manchmal,
es ist ein Tanzschritt eher als ein Wegbereiter,
ich komme nicht an, ja ich verlaufe mich sogar.
Ich trete auf die Zehen meines Baumes.
Mein zarter Schuh versucht ein Muster, versucht etwas bleibendes zu zeichnen,
der Regen wird kommen und wird vergessen machen.
Ich werde mich wegspülen, ich werde unter der Straße gluckern, ich werde mich
wenden, an Ecken an die Oberfläche sprudeln,
ich werde Wände hinauf und hinabsteigen.
Meine Hände spielen im Haar der Farne
und ertasten das Zarte und Gegangene.
Ich denke bei mir, wie leicht und sonderbar die Flächen sind, auf denen wir
wandern
und gar nicht leben.
Der Rose lecke ich den Hals, den schlanken und ihre breite Stola lässt mich im
Schatten weilen.
Der Dorn, der kleine Sarazene, ist voller Eifersucht. Sein Schwert ist alt und meine
Lust sehr jung. Die bunte Dame gewährt, dass ich ein Blatt von ihrer Brust ablöse,
ein Blütensegel, ein bauschiges Tüchlein, das ich mir um Lippen und Fingerkuppen
lege, um, wie ein Schwärmer, dummer Junge, kleiner Muck vor ihr zu lagern und
wie
einer, der nur Rosenworte reden darf.
Meine Dame hat ihr Herz auf meine Zunge gelegt mit dem einen Kuss.
An Tagen, wie ebendiesen. In Nächten wie jenen,
entsage ich dem Duft und schicke mich, um sie zu betrügen,
an die Hände und Münder anderer Sträucher.
Ich beiße in die Tomate, ich feiere die Röte der Völle.
Hin und her schwingt mein Verdacht,
der Garten raunt. Ich bin entdeckt,
enttarnt als Larve, die ein Blatt zerreißt.
Die Ameise kommt, um nach mir zu sehen.
Die treue Amme trägt mich hinab.
Manchmal bin ich ein Haus, das verlassen wurde von einer Schnecke.
Ich liege als stille Erinnerung am Rand und Halme wachsen in mich hinein
und Vögel hallen wider.
Meine Mauern, die gewunden und wund, zittern wie einsturzgefährdet.
Kein Denken an die fröhlichen Feste.
Sie fragen nach Dornen, die Undankbaren.
Für ebendiesen Tag, sage ich, habe ich der Rose gekündigt.