Monika Rinck
немецкий
Archive for a Daughter
November 1972, Derby
A dance card embalmed in sweat. Her ruthless curve of palm
mowing the carpet into sheaves before a gas fire.
Liquidescent virgin in a purple dress.
Oil paint, shaded avocado, umbrella sun-wings.
Box 2, folder 20 ‘Early Married Life’
a single page:
recto
a fashionable centre-parting
verso
consonants: midnight affair nuclear affair bleach affair
watermark indecipherable
[But here we are jumping ahead]
The archivist notes that no exact birth date is known.
An already Western dressed 6-year-old reads the headlines of English newspapers for party tricks.
Her black eyes are blunt and unequivocal like the prophecies of pharaohs.
In a Punjabi village, she and her impeccable mother, gemstoned, oracular, princess a vernal causeway.
Box 1, folder 2 ‘Emigration’
The BOAC stewardesses Max Factor crinkled baskets
of sweets to soothe the girl’s swinging, impatient feet.
Aviation—a risky endeavour in 1963—levels a curse at her progeny.
Aerophobia—her own daughter’s—fear of the air between home and exile collapsing.
Box 1, folder 7 ‘Education’
Homelands Grammar School For Girls
Miss Moore leans across an oak sea and parquets a line of future mothers.
Her bovine sympathies, neatly pressed, tentacle towards the only Indian in the class.
The Georgian battlecross marking her forehead, kindly and thoughtfully, segregates.
The girl bounds wildly through the Public Library—Huxley to her 11-year-old mind
suggests individuality—but the Savage’s feet recommend no one specific exit.
folders 8-17
[Unbound Notebook, mostly unreadable]
I thought I could become a doctor and asking found I could not think to ask to become anything
The archivist notes that these pages are not continuous. Refer to Box 2, folder 10
‘Correspondence’.
A photograph of a prospective husband and several handwritten credentials.
Box 3, folder 1 ‘Notes on Motherhood’
Nursery—pram—groceries—pram—doctor’s visit—cucumbers in half-lengths—
—over each shoulder some conspicuous intellect—
Husband-academic, wife-typist.
She door-to-doors Hoovers, Avon, thick rosaries of factory lace,
while her children pop tic-tacs for invented ailments in plastic houses.
Nottingham hurls snowballs at her black turbaned gentleman.
Soaked typescript, fair copy of a life—
When she asked her parents for a spare suitcase for an exodus, they replied
my child, nothing is ever spare
Box 4, folder 1 ‘Exile’
1985, Vancouver—ablaze with cherry blossoms from here to the kindergarten.
We arrived with one steel pot, a bag of lentils and an onion.
folder 2
1987, North Hollywood—submarine fences root Thanksgiving potatoes, one a piece.
My daughter reads Laura Ingalls Wilder to her menagerie of dolls. Raft sails calmly on.
folder 3
1989, Oxnard—Gifted children are purse strings. We mind their collegiate years with interest.
El Rio wizens to a stockpile of citrus and rental agreements.
folder 4
1995, Ventura—Bibled to real estate, gold blazers cinch round a wade of blonde, leathered adulterers.
The neighbours tend their god-plots of lawn and hedge.
Box 5, folder 1 ‘Drs Parmar’
She saunas with the ladies of the Gold Coast—
one Japanese ex-comfort woman, one savvy señora goldbuckled and multifranchised.
Stanford, Northwestern, Harvard, London, Cambridge—and when my husband’s sisters wept
because I had no sons I said I have two doctors (one of body, the other of mind)
and sent my uterus via Federal Express to the village, with my compliments!
On the verso, written in ink, is a page from Box 1, folder 8 [misplaced]
I remember clearly when I knew that I would one day die.
I was on the toilet and I was 11.
The bathroom was white and oblivious.
Из: The Marble Orchard
Shearsman Books, 2012
Аудиопроизводство: Haus für Poesie / 2018
Archiv für eine Tochter
November 1972, Derby
Eine Tanzkarte in Schweiß einbalsamiert. Ihre rabiat gebogene Handfläche
die vor einem Gasfeuer den Teppich zu Garben mäht.
Liquidgeborene Jungfrau in einem Purpurkleid.
Ölfarbe, verschattete Avokado, beschirmte Sonnenflügel.
Schachtel 2, Mappe 20 ‚Frühes Eheleben‘
eine einzige Seite:
recto
ein modischer Mittelscheitel
verso
Konsonanten: Mitternachtsaffaire Nuklearaffaire Bleichaffaire
Wasserzeichen unkenntlich
[Aber hier springen wir voraus]
Der Archivar merkt an, dass kein genaues Geburtsdatum bekannt ist.
Eine bereits westlich gekleidete Sechsjährige liest zur Erheiterung der Partygäste die Schlagzeilen englischer Zeitungen vor.
Ihre schwarzen Augen sind offen und aufrichtig wie Prophezeiungen von Pharaonen.
Sie und ihre makellose Mutter, in einem Dorf in Punjabi, Edelstein-geschmückt, rätselhaft, Prinzessin einer frühlingshaften Chaussee.
Schachtel 1, Mappe 2 ‚Emigration‘
Die BOAC Stewardessen Max Factor zerknitterte Körbe
mit Süßigkeiten, um die ungeduldig zappelnden Füße des Mädchens zu beruhigen
Luftfahrt – 1963 ein riskantes Unterfangen – richtet einen Fluch auf ihre Nachkommen.
Flugangst – die ihrer eigenen Tochter – Angst vor dem Kollaps der Luft zwischen Zuhause und Exil.
Schachtel 1, Mappe 7 ‚Erziehung‘
Homelands Mädchengymnasium
Miss Moore lehnt sich über eine Eichensee und parkettiert eine Gerade zukünftiger Mütter.
Ihre dummen Sympathien, proper gebügelt, tentakeln in Richtung des einzigen indischen Mädchens in der Klasse.
Das St-Georgs-Kreuz auf ihrer Stirn segregiert, auf freundliche und nachdenkliche Weise.
Das Mädchen hüpft wild durch die Stadtbücherei – Huxley suggeriert ihrem elfjährigen Kopf Individualität – aber die Füße des Wilden empfehlen Keinem den Einzelabgang.
Mappen 8 bis 17
[Ungebundes Notizheft, zum Großteil unlesbar]
Ich dachte ich könnte Arzt werden und als ich fragte kam heraus dass ich nicht daran denken konnte zu fragen irgendetwas zu werden
Der Archivar merkt an, dass diese Seiten nicht fortlaufend sind. Siehe Schachtel 2, Mappe 10
‚Briefwechsel‘
Ein Foto eines zukünftigen Ehemannes und verschiedene handschriftliche Referenzen.
Schachtel 3, Mappe 1 ‚Notizen zur Mutterschaft‘
Kinderkrippe – Kinderwagen – Einkäufe – Kinderwagen – Doktortermin – Gurken, halbiert – über jeder Schulter einen bemerkenswerten Verstand –
Ehemann-Akademiker, Ehefrau-Schreibkraft.
Sie vertreibt von Tür zu Tür Staubsauger, Avon, dicke Rosenkränze aus unechter Spitze,
während ihre Kinder in Plastikhäusern Tictacs gegen erfundene Erkrankungen einwerfen.
Nottingham schleudert Schneebälle auf ihren schwarz-beturbanten Herrn.
Durchnässtes Typoscript, gerechte Kopie eines Lebens –
Als sie ihre Eltern nach einem übrigen Koffer für die Auswanderung fragte, antworteten sie
Mein Kind, nichts bleibt jemals übrig
Schachtel 4, Mappe 1 ‚Exil‘
1985, Vancouver – in Kirschblüten entflammt von hier bis zum Kindergarten.
Wir kamen an mit einem Stahltopf, einer Tüte Linsen und einer Zwiebel.
Mappe 2
1987, Nord Hollywood – Unterseeboot Zäune Wurzel Thanksgiving-Kartoffeln, immer nur eine.
Meine Tochter liest ihrer Puppenmenagerie Laura Ingalls Wilder vor. Floß segelt ruhig weiter.
Mappe 3
1989, Oxnard – Begabte Kinder sind eine Goldgrube. Wir begleiten ihre Hochschuljahre mit Interesse. El Rio schrumpelt zu einer Halde von Zitronen und Mietverträgen zusammen.
Mappe 4
1995, Ventura – zum Grundbesitz gebibelt, Gold-Blazer umgurten einen Tross blonder, belederter Ehebrecher. Die Nachbarn hüten ihre göttlichen Rasen- und Heckengrundstücke.
Schachtel 5, Mappe 1 ‚Drs Parmar‘
Sie sauniert mit den Damen von der Goldküste –
eine ehemalige japanische Trostfrau, eine schlaue Senora, goldumschnallt und multi-lizensiert.
Standford, Nordwesten, Harvard, London, Cambridge – und als die Schwester meines Ehemannes weinte, weil ich keine Söhne hatte sagte ich, ich habe zwei Ärzte (einen für den Körper, einen für den Geist) und schickte meinen Uterus mit Federal Express in das Dorf, mit meinen besten Grüßen!
Auf der Rückseite, mit Tinte geschrieben, befindet sich eine Seite aus Schachtel 1, Mappe 8 [falsch eingeordnet]
Ich erinnere mich deutlich, wann ich wusste, dass ich eines Tages sterben würde.
Ich war auf der Toilette und ich war elf.
Das Badezimmer war weiß und ahnunglos.