Rainer Kimmig

немецкий

چادر اور چار ديواری

© Fahmida Riaz
Из: Four Walls and a Black Veil
Karachi, Pakistan: Ameena Saiyid, Oxford University Press, 2004
ISBN: 0 19 597711 4
Аудиопроизводство: 2005, M.Mechner / Literaturwerkstatt Berlin

Ein Schleier, vier enge Wände

Was soll ich mit diesem schwarzen Schleier, mein Herr
warum beehren Sie mich damit? Das ist zuviel der Güte!

Ich bin nicht in Trauer, warum soll ich ihn tragen
meinen Schmerz, meinen Kummer der ganzen Welt zeigen
ich bin nicht krank, warum soll ich mich schmachvoll in das
         Dunkel darunter verkriechen
ich bin keine Sünderin, Verbrecherin
warum soll ich die ganze Zeit dieses schwarze Siegel auf meiner
         Stirn tragen
wenn Sie es nicht als Unverschämtheit auffassen
wenn Sie für mein Leben garantieren
dann möchte ich ergebenst darauf hinweisen
gnädiger Herr
daß Sie in Ihrer nach allen Wohlgerüchen duftenden Kammer
          eine Leiche liegen haben
die dort seit wer weiß wann verfault
die, mein Herr, bittet Sie um Erbarmen
haben Sie doch ein Einsehen, mein Herr
verschonen Sie mich mit Ihrem schwarzen Schleier
bedecken sie damit endlich diese nackte Leiche in ihrer Kammer

Sie verpestet die Luft
ihr Gestank zieht durch alle Straßen und Gassen
kriecht über die Türschwellen
legt sich auf die Blöße des Körpers
hören Sie doch einmal die herzzereißenden Schreie
sie beschwören Gespenster herauf
die auch unter dem Schleier nackt sind

Wer das ist? Sie werden es wissen
werden sie wohl erkennen, mein Herr!
Das sind Mädchen
Geißeln, rechtmäßige Frauen für eine Nacht
am nächsten Morgen wieder auf die Straße geschickt
Sklavinnen
deren Kindern, Frucht Ihres gesegneten Samens, mein Herr
nur das halbe Erbteil zusteht
Ehefrauen
die, den ehelichen Tribut zu entrichten
Schlange stehen, bis die Reihe an sie kommt
Kinder, minderjährige Mädchen
deren Blut, als ihnen die Hand des Gatten liebevoll über den Kopf
         strich,
den grauen Bart rötete
in Ihrem wunderbar duftenden Brautgemach, mein Herr, hat das
         Leben blutige Tränen geweint
noch immer liegt dort diese Leiche
das blutige Schauspiel, bei dem seit Jahrhunderten die
         Menschlichkeit gemordet wird:
machen Sie dem ein Ende!
decken sie diese Leiche jetzt endlich zu, mein Herr!

Nicht ich, Sie brauchen jetzt dieses schwarze Tuch
mein Dasein auf dieser Erde ist nicht bloß ein Objekt für Ihre
         Geilheit

Diese engen vier Wände, dieser schwarze Schleier -
          mit Freuden überlasse ich sie der verrottenden Leiche
mein Schiff aber steuert mit offenen Segeln in freiere Räume
ich bin die Gefährtin des neuen Mannes
der sich mein Vertrauen, meine Freundschaft erworben hat

Aus dem Urdu übersetzt von Rainer Kimmig