Jürgen Nendza
"...sagen die Luftwurzeln"
"...sagen die Luftwurzeln"
I
Vielleicht
ist es das Erzittern,
mit dem wir beginnen und enden,
während die Augen am Himmel saugen
im Rhythmus einer Sprache
ohne persönliche Besitzanzeige:
Kupfer, Zimt, ein türkisfarbenes
Fliegengewicht, sagen die Luftwurzeln,
und wir zerstäuben im Lichtfächer
des Kolibris, im Nonstoppflug, Jetlag:
drei Gramm Flugtöne und –rausch,
Variationen in Kalliopes Stimme.
So bleiben wir stehen
in der Luft, in einer Schleife
ohne toten Umkehrpunkt, während
unter uns die Landschaft
weiterzieht.
II
Ein Fragebogen
ist deine Braue, in deinen Augen
das Gespräch der Leuchtkäfer:
Sag, wächst uns eine andere Haut,
wenn du mich so ansiehst
und wir beginnen
uns zu steigern, zu verdoppeln:
motmot, die Schwingen
des Paradieses, rotrot,
die Blüten des Flammenbaums,
und die Leuchtkäfer fragen:
Ist der Kolibri eine Metapher
für einen Schwarm um sich selbst
kreisender Fische, schillernd
im bunten Schlaf, ein Aufglühen
der Farben unter den Lidern,
wenn wir im Sprechen
rotieren: Kommkomm,
jeder bleibt für sich
in seinem Aufwachraum
halbiert.
III
Die Hitze,
eine große Hand,
gebacken aus Licht. Wir
trinken Kokoswasser, hören
den Durst, der gelöscht wird
längs der Schweißnähte
der Körper: Der eigene
Name trennt sich
auf unter den Luftwurzeln,
ist nur ein geteiltes Wort
wie Kupfer oder Zimt
ohne persönliche Besitzanzeige
und ein Vibrieren
auf dem Zungengrund
in der Rotation
der Flügel. Klangschalen
sind deine Lippen,
an deren Enden das sichtbare
Licht verschwindet,
wenn nur noch die Zeit
mit uns unterwegs ist.
IV
Der Regen
bindet seine Schnüre
zu einer klopfenden Wand:
ein grauer Dauerton
liegt über uns, dem Grün,
den Dingen: eine Haut,
unter der wir uns verlaufen.
Betäubt, als hätte
das gewaltige Alleinsein
seine Schleusen geöffnet,
faltet unser Atem
das Restlicht wie eine Tischdecke
zusammen: wir beginnen uns
aus der Erinnerung
zu begleiten, während wir reden
vom Nonstoppflug, eine erklärbare
Reihenfolge suchen, einen Handlauf
ins Dunkle und niemand
mit bloßem Auge
die Liebe erkennt.
V
Terracottafliese,
der Abdruck deines nassen Fußes.
Die Gegenwart ist ein Verdunsten
in diesem Gebäude aus Hitze
und Regen: Feine Luftwege
führen ins türkisfarbene
Fliegengewicht, durch die Kammern
der Knochen, wenn das Erzittern
uns füttert jenseits der Lichtschranken.
Reden wir also vom Kolibri,
der tausendmal schon
gesagt worden ist, vom Tisch,
der tausendmal schon
gesagt worden ist, von tausendmal:
Nie haben wir genug Hände
uns zu begreifen.
VI
Der Abend
versammelt sich
im Regenbaum. Gelb lockt
zwischen Blattpaaren
die Königin der Nacht
wie eine verlassene
Empfindung, die uns entdeckt,
wenn der Schlaf uns spricht:
Das Laken haben wir gespannt
und uns in der Umdrehung.
Kontaktschlaf, so gehen wir auf
Federfühlung, gefiedert
mit dem Radius der Entfernung,
bis wir bei Tageslicht
ermüden unter der Last
der getrennten
Körper.
VII
Ein Schwirrflug
ist das Stakkato der Fristen:
Tausendmal saugen die Augen
am Himmel, werfen wir
Luftwurzeln aus, suchen
Tiefenwärme mit einem Refrain
aus Gesagtem und Stille
am Ende der Skala
des sichtbaren Lichts. Tausendmal
wischen Wolken über alles
hinweg, sieht das Sterben
uns zu im Spiegel,
und jedes Mal noch
wölbt sich dein Atem
über dieses Bild hinaus,
spannt deine Brust
Bogen, Braue und Bucht:
Kommkomm,
sagt das Erzittern,
lass uns balancieren
auf dieser Frequenz
wo wir enden.
VIII
Vielleicht
wird uns einmal gefallen
die Art, wie Ameisen
aus unserem Schatten treten.
Einmal, wenn deine Haut
nicht mehr durchblutet ist,
wird sie weiß sein
wie das Papier, auf dem ich
schreibe, auf dem du
liest, weiß und still:
Ein abgelegtes Hochzeitskleid
wird sie sein, immer schon
mit dir beschrieben,
und wenn der Umkehrpunkt
gestorben ist, das Laken
in letzter Umdrehung verharrt
unter einer Landschaft
aus Träumen,
die über uns hinwegzieht,
dann frag ich dich:
wieviel Belichtungszeit
braucht das Glück, bevor
die Augen uns schließen.