Jürgen Nendza
Hinterland I-IV
I
und dein Genick geschabt vom Mantelkragen: Kälte
zieht im Handlauf dich hinab vom Turm. Der Abgrund
eben, die Oberfläche Wort und winterhart
die Buchstaben durchkreuzt von deinen Nerven: Spurrillen
der Kufen. Im Nachgang Stiefelschritt und Schneefegen
dein Metronom, feinstes Pinseln über Kuppen
wie atmendes Gelände. Du horchst ihm nach, zermalmst es
fort auf Knochenlänge, knirschend: Aus dem Schallschatten
erweckt Geläut und Läutewerk, Alarm, bis eine Biegung
weiter stille Schlitten Pferde aus dem Schlaf entlassen
jenseits des motorisierten Lichts. Stacheldraht siehst du,
prikkeldraad im nächsten Schritt, die Landschaft
eine Tür. Doch die Bedeutung der Tür ist irrelevant,
egal wohin sie führt, nur dein Überraschtsein
gibt ihr Sinn. Dein Kragen schabt. Orangefarben
steht über dir der kleine Kreis: leichte Wärme, Wunde,
Himmel. Zwischen Wort und Bild, denkst du,
liegt ein Scharnier. Oder eine Ewigkeit.
II
und Wintersonne: dein Schatten Sturmholz
auf der Suche nach Bestand. Schellack schwingt
im Baumharz mit. Der Weiher dreht sich um, gespurtes
Weiß: Ein Schlittschuh fährt ins Sütterlin. Das Wunder
auf dem Weihnachtsteller heißt Orange, wie Großmutters
Kinderauge rund und wie die Erde blau. Ein Surren speist sich
ein in die Orangenhaut, eingepflockt im Takt der Zäune:
Stacheldraht, Elektro-, Stachel-. Dich fliegen Bilder an
in Parallelverläufen: Bei großer Geschwindigkeit
entsteht vor dem Objekt eine Stauung
stark komprimierter Luft. Du hockst vor dem Transistor.
Die Skala längs der Wachstumsstreifen, die Schallmauer
durchbrochen: Deine Frage geht aufs Karussell,
ob Krieg, ob Frühling einmarschiere in die goldene
Stadt. Die Farben fliehen wieder vor den Dingen,
und das Gelb der Forsythie wird zu einer Behauptung,
die zu beweisen wäre vom Frühling, der seine Farben
verschweigt, wie das Gelb die Forsythie.
III
und die Sprachbindung spult weiter: Draht und
Defekt. Den Gartenzaun wolltest du flicken. Ein Projekt
aus dem Sommer, nun eingefroren wie das Bild
vom Dunkelhellila der Aster. Daneben
Knirschen, Kiesweg, und vorbei am Dunkelhellila
klatscht der Aven seinen Gesang
gegen stetes Gestein, vorbei an Gauguin
und den Wäscherinnen, die immer noch atmen
im Licht der Kunst und das Flußbett wenden,
gerät ins Stocken die Rede vom elektrischen
Wunder: Stromsperre, Störung, Streckenmeister.
Dein Kopf rückt vor ins Sperrgebiet,
mit einer Fernsprechstelle frisch verbunden:
Standlaute, die Tonspuren ziehen Drahter.
Windig meldet sich das Feld von seiner Jagd,
und bildlich für die Atempause spricht ein Schluck
Stacheldraht: Der Hals des armen Mannes
ist zu den Nackenwirbeln durchgebrannt am Zaun.
IV
und plötzlich ausgelöst das Weiß vom Fichtenzweig:
Symphonisch nadeln die vier Jahreszeiten, nur
die Bewegung Wiege. Dein Kragen schabt. Die Spurrille
im Nacken, Patrouillengänge in den Venen, Nachträge
zu Clausewitz. Die Koppel im vereisten Licht:
Dampf steigt auf und Pferdeäpfel, hundert Kilo
zu elf Mark in Lüttich, gehen mit Aprilthesen
synchron durch die Schnittstelle Subjekt. Wie ausgebeint
erscheint das Brombeerwerk im Grenzverlauf,
keramisch der Gedächtnissprung im Bruchstück
Isolator. Schnee trägt deine Schritte fort
und Übergänge, bewahrt beim Öffnen seiner Silbe
noch einmal auf die Zeichen für die Rückkehr der Vögel.
Du stehst schon an der nächsten Biegung: Schneebruch,
Stimmbruch, zahnschmelzweiß die schmale Naht
der Wachstumsstreifen. Ein Leib aus Dunkelheit
zieht auf. Neuschnee bricht vom Himmel,
legt den Schall zurück in seinen Schatten.