Hans Raimund
ESSEN MIT DEN ELTERN
ESSEN MIT DEN ELTERN
für Simon Krauss
Ich probiere es noch einmal
Ich erzähle von mir
Aber sie hören schlecht
Sie hören nicht zu
Sie reden Reden
Von den beiden Weltkriegen
Von Krankheiten Diäten
Von den wenigen noch lebenden Verwandten
Die nichts mit ihnen zu tun haben wollen
Von der Sommerfrische
In die sie nicht mehr fahren können
Vom plötzlichen Tod eines viel jüngeren Bekannten
Von Konten Losungswörtern Sparbüchern
Von Politik
Von der unglaublichen Korruption heutzutage
Von der bevorstehenden Wahl
Zu der sie sicher nicht gehen werden
Vom Wetter
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Die Kälte macht ihnen zu schaffen Die Kälte
Die spüren sie noch
Und das bockige Verlangen nach allem
Was ihnen der Arzt verboten hat
Fettes Fleisch eingebranntes Gemüse
Angebratene Erdäpfel Bier Wein
Alles das schlucken schlingen sie hinunter
Kaum kauend ohne Hunger ohne Durst
Beinah ohne Absicht
Bloß aus Gewohnheit
Und jeder für sich
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Ich weiß es paßt ihnen gar nicht
Wie ich jetzt lebe
Sie sagen sie hätten nichts dazu zu sagen
Sie würden sich hüten sich in mein Leben einzumischen
Aber dann platzen sie doch mit Fragen heraus
Seit Jahr und Tag in Ton und Wortlaut unverändert
Wann gehst du endlich wieder zum Frisör?
Wie lange willst du noch im Ausland bleiben?
Kannst du denn vom Schreiben leben?
Hast du auch an deine Pension gedacht?
Aber ohne eine Antwort abzuwarten sagt sie
Mit vollem Mund zu ihm
Was fragst du denn!
Du weißt er lügt uns ja doch nur an
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Beim Weggehen steckt sie mir einen Geldschein zu
Kleingefaltet so daß er nichts merkt
Auf der Straße nehmen wir Abschied
Der Wind treibt uns Tränen in die Augen
Wir schütteln einander die Hände
Wir küssen einander auf die Wangen flüchtig
Um halbeins sind Nachrichten im Radio und der Wetterbericht
Ich seh sie gehen
Steifbeinig auf dem vereisten Gehsteig
Sie setzen Fuß vor Fuß
Halt suchend an Hausmauern und parkenden Autos
Mit kleinen ängstlichen Bewegungen
Beinah ohne Absicht
Bloß aus Gewohnheit
Und jeder für sich
(1989)