Ralf Meyer
ARNAUT ERINNERT SICH
ARNAUT ERINNERT SICH
Mit neun entdeckte ich ein Mittel gegen Tod.
Ich lag in meiner Kammer, starr vor Schreck, ein Buch
Mit Versen auf den spitzen Knien. Wie der Mond
Zugleich zum Jetzt gehört und aus der Zeit fällt, so
Sprangen die Verse mühelos von ihrem Blatt
Und überflogen Zeit und Raum und trafen mich
Wie eine Sonne, die den bösen Traum verbrennt.
Doch war es Nacht. Ich betete, da mir kein Gott
Bekannt war, zu dem Mond, der gelb im Fenster stand:
Er solle so viel Jahre nehmen, wie er will,
Wenn mir dafür ein Vers gelingt, der nicht vergeht!
Ich schrieb und schrieb: vom Wind, von Perlen klaren Taus,
Die auf den Stiefeln blinken nach dem Gang durchs Gras,
Davon, in einer Herde Tiere still zu stehn,
Die Körper schwere Zeichen in dem Alphabet.
Ich schrieb vom Licht, das morgens durch die Bäume tropft,
Und wie der Wald mich schluckt unter sein Blätterdach.
Stein, Feder, Knochen, Sand vom Fluß lag in der Hand.
Ein kleiner Kater schmiegte sich hinein und schlief,
Das Pochen seines Herzens schlug mit meinem Puls.
Ich schrieb vom Ticken in der Uhr, Gläsern im Schrank,
Den Füßen in den Schuhen unterm Tisch im Haus,
Von Luken, Fenstern, Türen, Straßen, von dem Blitz
Aus einem Streichholz, Feuern, Lampen, Strahlern, Strom,
Und wie der Wunsch nach Ruhm die Welt begrenzt wie Haut
Den Leib. Der lange Weg zur Schreibhand führt durch Herz
Und Hirn. Erfahrung fehlt. Dazu der Anspruch, wahr
Zu schreiben: So zieht kleines Glück das große nach.
Die Schreibhand ist ein Schiffchen auf dem Blatt Papier,
Der Stift kein Pflug, das Blatt kein Meer. Getrennt vom Licht,
War ich mehr Ohr und Auge, als ich selbst zu sein,
Bis sich vor meinem Blick die Menschen ohne Scheu
Ansahen, als wär ich nicht da. Das war mein Platz.
Und alles nur, um auszusagen, daß, was ist,
Das Leben, stärker ist, so lange es besteht,
Als alles, was ich für euch aufschrieb, Wort für Wort.