Bernd Riessland 
Translator

on Lyrikline: 4 poems translated

from: japonês to: alemão

Original

Translation

Oshirisu, Ishi no Kami

japonês | Gozo Yoshimasu

© Gozo Yoshimasu
from: Oshirisu, Ishi no Kami
Tokyo: Icho-sha, 1984
Audio production: 2002 M. Mechner, literaturWERKstatt berlin

Osiris, der steinerne Gott

alemão

Über den ANAMUSHI-Paß bis hin zum Berg NIJÔZAN biß ich die Zähne zusammen
und überlegte. Ob das ein altes Grabmal war? Es gab da mehrere hügelige
Erhebungen... Der Zug hatte fast die Grenze zwischen den Präfekturen ÔSAKA und
NARA erreicht.
Das ist ein Grab, dachte ich, und ein bejahrtes Ehepaar tauchte auf – Ägypter aus alter
Zeit, die ich aus einem Film kannte. Sie sprachen mich an. Heute, in diesem Moment,
geschah, was sich im Film zugetragen hatte.
Das greise Paar erzählte mir: Unser Kind, unser einziger Junge, ist ein verlorener
Sohn. Beim Glücksspiel hat er zu guter letzt unsere Grabstelle verpfändet, zu der wir
gehen sollten, wenn wir sterben...
Ich kam wieder zu mir und saß mit zusammengebissenen Zähnen im Zug. Ich kam
wieder zu mir, weil der Zug jetzt bergab fuhr und seine Geschwindigkeit erhöht hatte.
Bis zur Station NIJÔZAN waren es nur noch zehn, fünfzehn Sekunden. Ich merkte,
wie eine andere Grenze vom Fenster her eindrang, und bewegte meinen
Kugelschreiber in großer Eile über das Papier, bewegte meinen Kugelschreiber über
das Papier.
Verläßt man den mit nur einem Beamten besetzten Bahnhof und wendet sich nach
rechts, hat man den NIJÔZAN vor sich.
Es ist ein Doppelberg, von Grün bedeckt. Ein Berg mit geröteten Wangen und zart
gerundet. Ob das Flüstern von dem ägyptischen Paar kam oder von mir, ich weiß es
nicht. Gott Osiris, eine Frau (?), stand am Wegrand.
Seltsamerweise waren dieser Vater und diese Mutter (Eltern) nicht traurig darüber,
daß der verlorene Sohn ihr Domizil für die Zeit nach dem Tod veräußert hatte.
Es gibt keinen Ort, an den wir uns nach dem Tod begeben können, aber das macht
nichts. Und sie gingen weg, einen Weg entlang einer Felsmauer in meinem Innern.
Ist jener wunderschöne Berg, der aussieht wie eine doppelte Lidfalte, der
NIJÔZAN...? fragte ich lächelnd eine junge, gleichwohl mit einer lavendelfarbenen
Bluse bekleidete Frau, die an der Straße vielleicht auf ein Taxi wartete. Ich unterhielt
mich ein wenig mit ihr und ging zurück zum Bahnhof.

Es macht nichts.

Ich bin nicht aus dieser Gegend.
Osiris.


Es war eine lavendelfarbene Bluse.
Ein wunderschöner Berg.


Ich stieg einen leicht abschüssigen Pfad hinab zum Bahnhof. Bis zum nächsten Zug
sind es noch etwa 30 Minuten. Der Stationsbeamte spricht mit einer Frau,
offensichtlich aus der Nachbarschaft, über Geldangelegenheiten, über sein neues
Haus. Ihnen lauschend ging ich zum Bahnübergang hinunter und hob so, daß ich
dabei nicht gesehen wurde, zwei Steine auf. Hob sie auf und steckte sie rasch in die
Tasche.
Ich gehe auf die andere Seite des Bahnsteigs, setze mich auf eine Holzbank, eine
überdachte Bank, und fange an zu schreiben, und der grüne, weiche und schöne Berg
schaut mir dabei zu. Dort saß ich und hatte wieder begonnen, konzentriert zu
schreiben.
Daß ich wieder zu mir kam, lag vielleicht an dem Zug, der langsam bergab fuhr und
seine Geschwindigkeit erhöhte. Hastig griff ich meine Habseligkeiten und wollte
einsteigen, aber die Bank ließ mich nicht los. Der Beschlag meines Anzugkoffers
hatte sich in einem Spalt der Holzbank verklemmt.
Als ich es gewahrte, war das Holz schon gebrochen und ragte nach oben. Ich stürzte
mit Macht in den Zug, und gegenüber dem Fenster war das Holz der Bank gebrochen
und ragte nach oben. Das Holz, gebrochen, stand nun aufrecht.
Mich ergriff ein Gefühl wie Ärger, wodurch die Szenerie des Bahnhofs mit dem einen
Beamten bei mir den Schein (den Anblick?) einer visionären Welt unter Wasser
hinterließ.
Der mit zusammengebissen Zähnen geschrieben hatte, war ich. Das Holz war
gebrochen und ragte nach oben.
Abermals vernahm man die Stimmen des greisen Paares aus dem alten Ägypten.

Es macht nichts, unser verlorener Sohn...

Es war eine lavendelfarbene Bluse.
Ein wunderschöner Berg.

Bin ich der Erzähler? War ich es, der im Zug (auf der Holzbank am Bahnhof
NIJÔZAN) saß, (oder wer war) die sitzende Gestalt?

Das Holz war gebrochen und ragte nach oben.
Darum herum glitt eine Schlange. Sie hatte zwei Steine verschluckt und glitt leise
umher.

Aus dem Japanischen von Bernd Riessland mit Dank an Tomoko Blech

Orihime

japonês | Gozo Yoshimasu

© Gozo Yoshimasu
from: Oshirisu, Ishi no Kami
Tokyo: Icho-sha, 1984
Audio production: 2002 M. Mechner, literaturWERKstatt berlin

Orihime

alemão

Teru-san! Teru-san!
Am Ende eines Tages mit heftigem Herbstregen (wohl Vorbote eines Taifuns) stieg
ich, wie von Rufen aus den Tiefen der Berge gelockt, in die Chûô-Linie. Mein
zweites Ich trat mit einem Fuß auf die Bremse und brachte durch die Gegenbewegung
den Waggon ins Schlingern.
Ein schwärzlicher Schatten. Vor gut zehn Stunden hatte man mir am Ausgang der U-Bahn
ein Flugblatt "Bergwerk YÛBARI überlebt!" in die Hand gedrückt. Das Wanken der
beiden Bergleute (tatsächlich!) an den Seiten des Ausgangs, ihre Körper, all das war
mir noch gegenwärtig und (die Zeit) kam in Fluß.
Gelockt von Rufen aus den Tiefen der Berge, der Herbstregen war heftig.
Von der Wasserscheide in diesen Tiefen kamen die Rufe des DAIBOSATSU-Passes.
Ich lief durch den Regen, stellte mir die Form eines Berges vor, den es in diesem
Universum nicht gibt. Die Regentropfen schlugen wie kleine Kiesel an meine
Kapuze, und ich nahm die Form des nicht existierenden Berges an.
Die Form des Berges, Regen, der an die Kapuze (meines dünnen Blousons) schlägt.
Die beiden kleinen Kiesel in meiner Tasche. So stieg ich an der Station
ISHIGAMIMAE aus und lief (angezogen vom Geräusch der Flußströmung) bis zur
Mitte – der HIKARI-Brücke, der Brücke des Lichts?

Brücke
, des Lichts

Ich blickte durch die matte Beleuchtung – der Brücke der Phantom-Ringe
(KUMONBASHI) – und überquerte den (Fußgänger-) Überweg. Jemand warf seinen
ganzen Körper auf die Hilfsbremse. Ein anderer trat zweimal (dagegen). Die beiden
YÛBARI-Männer, die am Stolleneingang des Bergwerks standen, zeichneten
verschwommen eine Schleife in die Luft.
Näherte sich um diese Zeit das Schaffnerabteil des Zugs aus Richtung TÔKYÔ der
Station ÔME, durchtränkt von Blumenfarben?
Der Berg webt.
Ich strecke die Arme aus, und das Brückengeländer (der KUMONBASHI) berührt
meine Hände. Von ISHIGAMIMAE (einem Bahnhof ohne Personal) gehe ich,
angelockt von der Flußströmung, in den heftigen Regen, über die HIKARI-Brücke
stromauf, über die KUMONBASHI stromab – und schaue in die Tiefe. Stimme des
Lichts.
In der Mitte blieb ich stehen – warum weiß ich nicht – und weil mich niemand sah,
hüpfte ich einige Male. Ich zaubere die undeutliche Form des nicht existierenden
Berges hundert Meter weiter unten hervor – Regen, der an meine Kapuze schlägt.
Heftiger Herbstregen.
Der Berg webt.
An der Station ISHIGAMIMAE stand ein Briefkasten (Abrechnungskasten). Der
unbesetzte Bahnhof war naß vom Herbstregen. Vor langer Zeit befand er sich
inmitten des Geruchs einiger Hundert Tonnen Kalk, mit blauen Blumen, auch
Muscheln und Fischfossilien, und die ÔME-Linie lief ganz allmählich bergab.
Zwei Bänke waren übriggeblieben. Ich ging zur nächsten Station, FUTAMATAO,
besorgte mir ein Dosenbier, saß dann vierzig oder fünfzig Minuten auf einer dieser
Bänke und dachte nach. Damals verstand ich nichts.

ISHIGAMIMAE, einst ein Rastplatz am Fuß eines dunklen Berges.
Teru-san! Teru-san!

Teru-san! Teru-san!
Ein Ruf aus den Tiefen der Berge, vielleicht von der roten Mauer widerhallend. Die
Stimme der Weberprinzessin, wie ich sie im Gedächtnis habe (Teruko-san?).
FUTAMATAO...Heißt das nicht "Gegabelter Schweif"?
Letzte Nacht war ich zweimal Güterzügen begegnet.
War das eben ein Güterzug? Wer war da vorbeigekommen, mit einem Schirm?
Jemand, der seinem Fernweh folgte und mit einem Schirm an den Gleisen stand.
Warum sind wir schließlich zusammen eingestiegen. (Shimoyama-san?) Es gab eine
Holzbank, an einer Seite ein Steilhang, ISHIGAMIMAE war wie ein Arbeitszimmer.
Dann kam der nächste "Hikari" (Zug), Richtung TÔKYÔ, und in den lockte man
mich hinein. An der nächsten Tür sah ich drei Mädchen einsteigen und hätte sofort
wissen müssen, daß ISHIGAMIMAE ruhiger werden würde, wenn diese Mädchen die
Station verlassen. Aber ich wurde verleitet und bestieg den "Hikari" in Richtung
TÔKYÔ.
Die drei Mädchen, wohl Erstkläßler am Gymnasium, lösten sich im Licht des Abteils
auf.
Ein Förderwagen?
Der Laut von Kieseln im Gleisbett. Mehrere Male hob ich den Blick zu den von
Wasser durchtränkten Röcken.
Ein Förderwagen,
Ein "Truck"?
Teru-san! Teru-san!


_______

Anmerkung des Übersetzers Bernd Riessland zu Orihime:
"Orihime" könnte mit "Weberin" oder "Weberprinzessin" übersetzt werden. Sie ist eine
Schlüsselfigur des Tanabata-Festes (Sternenfest), das am 7. Juli gefeiert wird. Dann
treffen sich am Himmel zwei Sterne (Altair und Wega), die normalerweise durch die
Milchstraße voneinander getrennt sind. Das Fest geht auf eine chinesische Legende
zurück: Orihime, die Tochter des Himmelsherrn (Tentei) lebte östlich der Milchstraße
und verbrachte ihre Zeit mit dem Weben von Stoffen. Tentei bestimmte einen Hirten
(Kengyû) von der anderen Seite der Galaxis zu ihrem Gatten. Über ihre Liebe vergaß
Orihime dann ihre Arbeit, das Weben. Ihr Vater bestrafte sie dafür, und sie durfte ihren
Geliebten fortan nur einmal im Jahr, in der 7. Nacht des 7. Monats, sehen. Dann breitete
ein Rabe seine Flügel über die Milchstraße, damit sie sich treffen konnten.

Aus dem Japanischen von Bernd Riessland mit Dank an Tomoko Blech

Burning

japonês | Gozo Yoshimasu

© Gozo Yoshimasu
Audio production: 2002 M. Mechner, literaturWERKstatt berlin

Brennen

alemão

Das goldene Schwert blickt direkt in die Sonne
Ah!
Die Birnenblüte passiert einen Fixstern!

Der Wind weht
in einer Gegend Asiens

Die Seele ist ein Rad, das über Wolken rollt

Mein Wille ist
blind zu werden
Sonne und Apfel zu werden
und ihnen nicht zu ähneln
weibliche Brust zu werden, Sonne, Apfel, Papier, Feder, Tinte, Traum!
Am besten ein unheimlicher Rhythmus

Heute Abend fährst du
In einem Sportwagen
Eine Sternschnuppe fliegt dir entgegen
Kannst du sie auf dein Gesicht tätowieren? Du!

Aus dem Japanischen von Bernd Riessland mit Dank an Tomoko Blech

Mad in the morning

japonês | Gozo Yoshimasu

© Gozo Yoshimasu
Audio production: 2002 M. Mechner, literaturWERKstatt berlin

Morgentoll

alemão

Ich schreibe ein Gedicht
Ich schreibe die erste Zeile
Ein Schnitzmesser richtet sich morgentoll auf
Das ist mein Recht!

Die Morgenröte und die Brüste einer Frau sind nicht immer schön
Schönheit ist nicht immer das wichtigste
Alle Musik ist eine Lüge!
Ach, vor allem die Blütenblätter, laßt sie uns schließen und zur Erde stürzen!

Heute morgen, am 24. September 1966
Schrieb ich einen Brief an meinen besten Freund
Über Erbsünde
Über das perfekte Verbrechen und die Methoden der Wissenstilgung

Ah!
Was für ein Wassertropfen, der in meiner rosafarbenen Hand rollt!
Die Brüste spiegeln sich in einer Kaffeeschale!
Oh, ich kann nicht stürzen!
Ich bin über die Schwertklinge gerannt, aber die Welt ist nicht verschwunden!

Aus dem Japanischen von Bernd Riessland mit Dank an Tomoko Blech