Werner Söllner
Zweite Natur
Zweite Natur
Staunend
über die Ausdauer, mit der das Lebendige
lebt, über die Phantasie
der Triebe, schau ich zu, wie der Garten
langsam verwildert.
Ich weiß, ohne irgendein Recht, da
zu sein, bin ich hier. Fristlos kündbar
sitz ich am Zaun, arglos fertig
gemacht unter einem fremden Stern, herbeizitiert
in die Haut, diese einmalige Geschichte,
und bereite mich vor, während
der fleißige Nachbar das Gras
von der Klinge wischt, damit sie
nicht rostet.
Im gemieteten Paradies nenn ich
nichts Nennenswertes mein eigen, nur
eine machtlose Art Liebe, die fremd gehen wird
mit dem Tod, nur die paar gepackten
Buchstaben, auf denen ich sitze, nur
die Erinnerung, das fleißige Lieschen
meiner Irrtümer, stetig wachsende
Zweifel, meine zweite Natur.
Sicher, auch traurig geworden
auf natürliche Weise, als ich erwachte
und den Schlüssel blutrot im Gras
sah, ohne mich bücken zu können. Wenn
ich wüßte, wer das getan hat, ich würde
hingehn. Aber so bleibe ich, ungefragt
staunend, am Zaun, so beuge ich mich
vorläufig über ein Blatt, verliebt
in etwas, ohne Hoffnung
auf mehr.