Alexandru Bulucz
Vorrat verbraucht
Vorrat verbraucht
Schreiben heißt jetzt, etwas über sich vermögen, denn was schreiben,
… wo ein, ich weiß nicht woher genommener, ungeheurer Vorrath
von Leid, Verzweiflung, Opferung und Noth im Großen verbraucht
wird, als gäb es irgendwo Alle im Ganzen und nirgends den Einen;
nirgends mehr ist das Maaß des einzelnen Herzens anzulegen,
das doch sonst die Einheit war der Erde und des Himmels und aller
Weiten und Abgründe. … Wie unvordenklich ist alles geworden,
Heiligendamm, Zeiten wie die Kindheit selbst, so entlegen und
arglos, wer wird wieder je (so) fühlen!?
Rainer Maria Rilke
Die Sensen, die Sicheln, die Forken, die Axt, sie alle verrosten.
Noch steht auf dem Hügel ein Manderl fürs Heu, es vermorscht.
Kein Nutztier zertrampelt Getreide. Die Milchkuh, sie wurde verkauft.
Von den Mandlern blieb einer, u. zwar unterm Holzkreuz am Bach.
Um die Scheune steht’s schlecht, denn kein Strohlicht mehr deutelt
von innen die Wände, u. Brennholz im Stapel zum Kochen
fehlt auch. Niemand ersucht um getrocknetes Reisig die Wälder.
Inmitten von Eden stand keinem der Sinn, nach dem Vorrat
an Wonne zu fragen, ob schier unerschöpflich, ob eher auf Zeit.
Agafia u. Petrus sind weg. Auch Majka ist weg. Wer bespricht
ihre Werte, begeht ihre Wege u. liest ihr gemeinsames Werk?
Die Schmerzen des Wachstums, sie kamen verspätet, zur Nachtzeit
wie Reif. Die Behauptung, des Menschensohns Lösegeld würde
auf immer u. ewig uns alle von Qualen befreien, ist so was von falsch.
Denn der Messie-Messias kann nicht im Entferntesten horten
im heiligen Vorratsverschlag jene Arten von Schmerz, die bei drei
auf den Bäumen nicht sind. Verbraucht sind die Vorratsgefühle,
das Brombeergelee in den Gläsern von Mutter! Verrat an der Süße!
… im Andenken an Werner Hamacher,
dessen unvollendet gebliebener Aufsatz „Andere Schmerzen“
u. a. auch das Kapitel „Vorrat verbraucht (Rilke, 1915)“ vorsah.