Ursula Krechel
Verbeugungen vor der Luft
Verbeugungen vor der Luft
Hier, in diesem Luftraum, in dem die Atemwolken aufrecht gehen
hier zwischen dem Ungesehenen, das sich sichtbar machen will
zwischen Einatmen und Ausatmen unwillkürlich
hier, wo ein auf Sicherheit bedachter Schlittschuhläufer
einen metallenen Einkaufswagen auf den Teich schob
der stehenblieb mittendrin in klirrender Einsamkeit
und nicht sank (wohin ist der Schlittschuhläufer geglitten?)
hier, wo am Rand der Insel hochrangige Enten
ihre Hälse vorstrecken wie frisch promoviert
hier, wo ein Hauch von Luft in feine Scheiben geschnitten
kaum den Tag übersteht und im Nachtdunkel verfliegt
luftpostleicht, vogelhaft, ja verräterisch leicht
in Länder, aus denen Leute kommen mit prall buntem Gepäck
Gesichter von der Anstrengung, etwas erlebt zu haben, gerötet
Briefmarkenrollen hinter sich herziehend und zahm
angeleinte Koffer, Polaroidphotos verblassen packenweise
wo der verehrte Herr Federn ließ, Luftikus, Luftikus
guckt in die Luft, gibt eine Hand
schlaganfällig, aber doch altersmutig
er läßt sich einen Wind um die Nase wehen, der nicht weht.
Niemand kam, niemand ging, den Einkaufswagen zu holen
übers grau geritzte Eis, auf dem auch Tüten lagen
von schnell Essenden, das Leben Verdauenden, die ich sah
und beschrieb, hier, jetzt verletzend schnell.
Luft war da in großen, weichen Lappen.
Geordnete Spaziergänger-Ödnis am Nachmittag
wo die Wörter sich klamm erkältet aneinanderschmiegen
(eines sucht das andere in Ermangelung eines anderen anderen).
Seiltänzer sind die natürlichen Feinde der Fliegenbeinzähler
die sich auch ein Bein brechen – beim Treppensturz oder auf Eis
egal. Höhere Einkommen, weniger Nachkommen
doziert der Bevölkerungswissenschaftler. Gratuliere.
Die Stimme des Windes (ein Allegro con brio) fällt flach.
Männlich ist der Wind in vielen bekannten Sprachen
und die Luft aria, aria, Ariel
bestreicht das weibliche Geschlecht.
Einer, für dessen Ohr der Wind bläst ...
in dieser Ausschließlichkeit vom Leder gezogen, gelogen.
Jetzt im Luftarmen ist es leicht, aufrecht zu gehen.
Kritiker an Gott und der Welt werden zugeben:
kein Stoßen an Wolkenbänke, Luftsäulen, die plötzlich umfallen
kein Verschwimmen im milchigen Bodennebel der Wiesen.
An der Böschung Froschaugen
blank erstaunt ob dieser, ob jeglicher Veränderung.
Wäre die Luft nur Larifari, ein Stoff, um Atemlust zu erzeugen
Brennmaterial für das Feuer und die Pflanzen
zu unstofflich für eine Elegie vor dem Auge der Zeit:
sie entwiche hier mit einem sanften Zischen.
Tiefhängende Wolken haben keinen Geruch
wie Luft, die zum Schneiden ist unter dem Horizont.
Von Ameisen ist nichts zu lernen
wie von abgelegten Geliebten, einer Mondfinsternis, leider
alles muß bedacht werden, der fliegende Wechsel
der Entenpaare und Bläßhühner: würgende Brotrestepickerei
wie man Blätter umdreht, ihre Chlorophyll-Adern benetzt
die schilpenden Schimpfkanonaden im Park
Elstern, beredte Finkenfeinde
Planeten sammeln sich und werfen Gesteinsbrocken ab.
Modrig ist der Teich, der aus dem Blickwinkel rückt
langsam wie geschoben, doch leis knirschend vor Anstrengung.
Vögel sind die Ornamente der Luft.