Silke Scheuermann
Uraniafalter
Welches Ziel hatten wir; wir waren nachts unentwegt
mit Verspätung unterwegs, damals, als die Diskotheken uns
einen Tick zu laut die Liebe erklärten, und uns das nicht auffiel,
weil wir im Mittelpunkt der Strahlung standen; damals war
immer helllichter Tag, wir unentwegt mit unseren Körpern
beschäftigt, die unendlich viel stärker waren als angenommen,
prätentiös, schön; der Traum löste sich in Zeit auf;
wir standen uns zur Verfügung. Wir wollten vergessen,
wollten den Fluch unsrer Herkunft vergessen. Wie der
Priester das Blut trank, die Sonntage unser Fleisch brieten,
Vater grillte, während Mama das Brot brach. Im Garten
reiften Tomaten, wir wuchsen heran, Schmetterlinge
an natürlichen Blüten. Aber dann: verkehrte Welt,
neue Naturerlebnisse. Licht kickte, Steine wurden geraucht.
Welches Ziel, ich erinnere mich nicht, und wieso glaubten
wir damals, alles erreicht zu haben? Weil wir, in den
Städten, immer vom Licht gesteuert waren, von
Autoscheinwerfern, Werbetafeln, glitzernd
spiegelnden Shoppingcentern? Weil wir
in hellen Wohnungen tote Insekten vom Boden auflasen,
Freunde verabschiedeten, die von Müdigkeit sprachen?
Sie sagten, sie balancierten am Rand der Erschöpfung,
bekämen dafür nicht einmal Applaus. Welches Ziel nur,
heute sehe ich fremde Männer durch die Straßen eilen,
weiß nicht, wohin, und du bist einer von ihnen.