Andre Rudolph
destruktive interferenz
dass wir relativ komplexe wesen sind,
siehst du zum beispiel am morgen,
wenn du über eine rolltreppe läufst,
die noch steht, dein körper sich aber
noch an ihre fahrenden stufen erinnert,
so dass du unmerklich schwankst…
wenig später ist der bahnhof längst
außer sichtweite, und der typ, der dir
gegenübersitzt, versucht vergeblich, eine
compact disk aus ihrer haut zu schälen,
die den titel healing harmony trägt.
jetzt hält er sie ans ohr, scheint ihrem
versilberten herzschlag zu lauschen. –
ich sehe es auch, das herz, wie es
auf der spiralbahn des datenträgers
von innen nach außen die pits und
lands abscannt, bis es einmal ganz durch-
gelaufen ist – und steht. nennen wir es,
wie es ist: destruktive interferenz.
(das alles ist völlig sinnlos und gegen
die natur.)
auf der straße, die parallel zur bahn-
strecke verläuft, fahren die autos
noch mit der alten, sehr soliden
klangwalzentechnik; unterm
spielkamm der lider. ihr klingendes,
berührtes, unausgesetztes zucken…
nebenbei schreibe ich jetzt übrigens,
in der bahn, an einem aufsatz
über die nebenwirkungen des
enzyms invertase, das unsere augen
steuert und alles, was wir sehen,
in feinen fruchtzucker ver-
wandelt. meine jüngsten erfolge:
endlich habe ich der zeit eine un-
befristete anstellung verschaffen
können, in meiner firma. sie arbeitet
sich gerade ein. ich selbst mache
eigentlich die meiste zeit gar nichts,
und auch das fällt mir schwer.
eben hat der zug seinen zielbahnhof
erreicht.