ZANG Di

Jeden Morgen sind die Schneeberge schneller, sie füllen
mein Fenster, bevor die Sonne steigt. Autogeräusche dimmen
den letzten Rest Nacht auf ein Minimum. Die Schatten der Zeit
werden pausenlos gegen die Schatten von Kirschblüten getauscht.

Unnötig zu erwähnen: Dieses Fenster hatte der Winter geliehen,
jetzt kriegt es der Frühling zurück. Auf dem Fenster liegt
ein Blatt Papier: das Schicksal. Es bleibt immer gleich, egal ob man
drin bohrt oder nicht. Im Papier gibt es ein kleines Loch: das Gedicht.

Weil es dieses Luftloch gibt, kannst du weiter sehen als ich.
Mithilfe weit entfernter Dinge bleibst du den Widersprüchen um mich treu.
In Beijing denke ich nach Westen, wenn es um Schneeberge geht;
in Kanazawa tauchen sie nur im Osten auf, was ich üben muss.

Jeden Morgen sehe ich, wie eine Bergkette im Fenster
langsam ihre Flagge steigen lässt. Dann ist die Sonne dran,
sie überquert schrittweise den Rücken der Berge
und akupunktiert alle Nerven der Welt mit Gold.

(April 2011)

Every morning the snow mountains will fill up my window
before the sun rises. Automobile sounds turn down the volume
of night to the minimum, yet the shadows of cherry blossoms
will at any moment replace the shadows of time.
 
Needless to say this window had been taken by the winter
but returned to the spring. On the window is a piece of paper
that tells fortune, but it will say the same thing whether you poke it
or not. On the paper is a small hole of poetry.
 
And because of this small vent you can see much further than me.
You stay remote but faithful to the contradictions around me.
In Beijing, I would think toward west when it’s about snow mountains,
but here in Kanazawa, I must get used to the east where snow rises.
 
Every morning I see from the window
the mountain range that slowly raises its flag,
and then the sun will take its turn to climb the ridge of
the snow mountains while its golden needles stab the nerves of all.
 
2011. Kanazawa