Alexandru Bulucz
Stundenholz
Stundenholz
Seid gegrüßt, Rose, erbarmt Euch, hab’ Euch verwechselt, gestern
für was denn gehalten, einen Stein, einen Stein im Vogelzug.
Der war ein Wasservogel, u. ich im Kehlsack eine wurzellose
Zwerglinse, um an anderen Orten, in anderen Wassern zu blühen.
Habt Gnade mit mir Verborgenem. Ich bin der Herr, der bei Euch
u. bei ihr zugleich gewesen. Wir flogen Karpatenhügel entlang,
über den Südlichen Bug. Den bukowinischen Fragen, wo Heimat
beginne, Erinnerung ende, glaub’ ich die Fragezeichen. Wir flogen
über Holzrauch von Klöstern, über liturgische Rufe aus Stunden-
trommeln von Mönchen, toaca-Klänge spannten eine Himmelsleiter
auf uns zu u. über uns hinaus. Wir beteten mit den Orthodoxen,
den Mönchen, die zu uns heraufkletterten, den Kopten, Griechen,
Armeniern, Bulgaren, Russen (den Litauern, Letten u. Esten).
Ahnt Ihr, Rose, was ich glaube? Dass die rumänischen Mütter
ihre Söhne zu Mönchen erziehen. Früh schon zeigen sie ihnen,
wie salată de vinete gemacht wird. Mit dem aus der Buche
geschnitzten Äxtlein klöppelt der kleine Mönch das Fruchtfleisch
der gegrillten Aubergine klein auf dem Brett aus Stundenholz.
Er lernt die Schlagtechnik u. erste freie Rhythmen für die toaca.
So also betet er u. weiß es nicht. So also lehnen sie die Gegenleiter
an die Wand der Erinnerungskapelle. Wäre ich gestern hinunter-
geklettert, ich hätte, was unter der Schädeldecke begraben liegt,
aufsuchen können. Aber vielleicht wäre sie geschlossen gewesen.
Ihr wisst ja, was Kafkas Kutscher – o. war der Kutscher Kafka? –
sagte, als er an die hohe Mauer kam u. die Fahrt einstellen musste.
Er sagte, es sei eine Stirn. Nur rückwärts steht nichts im Wege,
sodass wir verrückt vor Kummer werden. Also flogen wir weiter
über Lust, Lust u. Verlust, über den Schmerz, den nicht gespiegelten.
Wir flogen über das Gedächtnis, das schmerzlich erinnerte, flogen
eine Löschfluglinie stracks nach Năvodari ans Schwarze Meer.
Dieses Meer scheint mir wie ein Sammelbecken der Augenblicke,
der Augenblicke Maria Magdalenas. Die meinen Augenblicke
Madeleines sind gesalzener Kukuruz u. Wassermelonen.
In Siebenbürgen nennt man die Wassermelone Wasserpäddem.
Rumänisch lubeniță. Ich nannte sie stets lebeniță, als ob
ich deutschlos nicht wusste, was heute Leben heißt. Gesalzener
Kukuruz u. Wassermelonen also. In dieser Reihenfolge. Jener vor
diesen, diese nach jenem, Salz vor Süße nach Salz. Ich leckte
gesalzenen Kukuruz wie das Wild Bergkerne, dann fraß ich
Körner, u. nach Aussaugen des Kolbens, des weichgekochten,
fraß ich Teile des Kolbens selbst. Mit dem Tier im Mönch erging
es den Wassermelonen noch schlimmer. Die Milchzähne
machten Halt vor nichts. Grüne Fruchtrinde, rotes Fleisch,
schwarze Kerne, ein Ende aus nichts. Aber muss man den Augen-
blick nicht aus zeitlicher Distanz betrachten, damit er überhaupt
zu einem solchen wird? Die einen reden von der Präexistenz Christi,
vielleicht sollten die anderen, die ich bin, von derjenigen Madeleines
reden. Eine Art verschränktes Erinnern, wie die zum Gebet
gefalteten Hände, u. was zu was u. was zu wem u. wer zu wem
warum u. wann gehört, tut nichts zur Sache. Es spielt keine Rolle,
ob ich den Kukuruz auch in Năvodari … In dieser Reihenfolge
also. Salz vor Süße nach Salz. Wie eine irreparable Verkalkung
von Gefäßen im Hirn, die das Gefühl für Chronologien löscht.
Also stelle ich mir vor, dass es Demenzaugenblicke sind. Dunkel
u. leuchtend zugleich. Noch einmal, Rose, seid gegrüßt u. erbarmt
Euch, ich habe Euch verwechselt, für eine andere gehalten,
eine Wasserzugvogelerscheinung, u. ich im Kehlsack die wurzellose
Zwerglinse, da ich andernorts blühen sollte. Habt Gnade,
denn ich bin der Herr, der bei Euch u. bei ihr zugleich gewesen,
irrtümlich göttlicher Fremdgeher. Wie es zur Verwechslung kam?!
Ich dachte an ihren Satz der Identität, in dem Euer Name vier Mal
genannt ist, u. Ihr verschwindet von Mal zu Mal. Sie hat Euch
wie ein Missverständnis ausgeräumt u. es mir einverleibt.
Seid gegrüßt, Rose u. Stein, voll der Gnade, gebenedeit seid ihr
unter den Menschen, gebenedeit sei euer Leib u. Korpus.