Zsuzsanna Gahse
Donauwürfel - Erster Würfel
1.
Silbern ist sie manchmal, die Donau, auf
Deutsch zweisilbig, lateinisch viersilbig,
zudem noch männlich, wechselt das Geschlecht
wie die Filmfiguren Almodovars,
wie ein vorbei fließendes Spiegelbild
von Michael Jackson, mal Frau, mal Mann und
lacht dabei in sich hinein, Fluss abwärts,
das Lachen schlägt Wellen, und zehn Silben
mal zehn Zeilen sind ein Quadrat aus der
Donau. Noch schöner wäre ein Würfel.
2.
Silbern ist sie selten, oft mittelbraun,
schlammig treibt sie voran auf der weiten
Strecke, will zwischendurch stehen bleiben,
mal in Linz, in Esztergom und weiter
unten in Belgrad oder noch lieber
irgendwo im Niemandsland, um keine
Städte zu sehen, einfach stehen und
schauen, aber sobald die Donau mal
liegen will, wird sie bedrängt von einer
nachfolgenden Donau, in der der Inn
3.
mitfließt, und der Inn, der in Passau in
die Donau eintritt, wie er da eintritt!,
ist eine Geschichte für sich, da kann
man nicht wegschauen, er kommt, fordernd kommt
er mit einem Tempo, dass man meinen
könnte, ihm ginge die Puste bald aus,
aber er lässt nicht nach, und ihm strömt die
Donau schier ohnmächtig entgegen, in
einer merkwürdigen Haltung, die man
nicht verhöhnen sollte, weil Haltungen
4.
zur Privatsphäre gehören, Fremde
kümmern sich besser um die eigenen
Angelegenheiten. Vielleicht sollte
die Donau fortan Inn genannt werden,
von Passau an, weil der Inn wuchtiger
ist, groß drückt er sich in ihre Flanken,
so dass sie nicht zur Ruhe kommt, sie muss
weiter. Würde sie sich zwischendurch auch
einmal ausruhen, bei blauem Himmel,
dann wäre sie blau, die blaue Donau,
5.
wie gewünscht, auch von ihr gewünscht, sie fließt
aber weiter, wird vorangeschoben,
schlittert in ihr Schicksal, schlittert, fließt und
wird täglich bewundert. Täglich stehen
Leute am Ufer und sagen ständig:
da bist du, du meine Güte, da bist
du. Doch dann schielt die Donau, das ist das
Merkwürdigste, und natürlich schweigt sie,
trotzdem wird es an ihren Ufern so
laut, dass man die eigenen Wörter nicht
6.
versteht. Laut ist sie in ihrer Eile.
Na ja, mit dem Inn im Rücken und mit
weiteren neuen Nebenflüssen, mit
der Ybbs zum Beispiel, mit der Theiß dann, und
unverwechselbar ist die Save bei
Belgrad, kaum zu schlucken, so breit ist sie.
Bis zur Mündung meint man, sie könnte der
Donau entkommen. Hell sieht sie aus, ein
selbständiger Fluss. Aber so sind sie
alle, zunächst vor allem bei sich selbst.
7.
Sie fließen einfach voran, als merkten
sie nicht, wen sie unterwegs mitreißen,
wem sie den Mund stopfen mit Schlamm oder
mit dem eigenen Wasserschwall, mit der
Wucht, die sie haben, oder als würden
sie niemals sehen, wen sie zu Tode
erschrecken. Hoheitsrechte haben sie
in ihrem Flussbett, insbesondere
die langen, besinnungslosen Ströme.
Im Vergleich ist die Donau trotz Mord und
8.
Totschlag noch sonnig. Wirft in einer Bucht
bei Wien die Leichen hinaus, liefert sie
in der Ebene ab und drängt sich im
flachen Land weiter, schiebt dabei mal am
linken, mal am rechten Ufer einen
Wasserstrudel voran, schwingt die Hüften
mal links, mal rechts oder zweimal rechts, das
tut sie nebenbei, scheinbar versonnen,
ist trotzdem eitel mit ihren Ufern,
vergisst die Eitelkeit dann schnell wieder.
9.
Könnte man sagen, dieses Wasser sei
eine Horde? Alle Teile rennen
anderen nach, große Vereinigung,
immer größer, die weidet die Fische
ab, oder grad umgekehrt, die Fische
weiden die Horde ab, und vor lauter
Eifer schlagen sie sich die Köpfe an
den Brückenpfeilern an, sind dann eine
Weile benommen wie auch der Fluss, und
später erholen sie sich wahrscheinlich.
10.
Flüsse sind keine Menschen, sind sicher
nichts Menschenähnliches, und es fehlte
grade noch, dass sich die liebe blonde
oder womöglich dunkel gelockte
Allegorie hinterrücks einschleicht. Dann
pack ich sie am Schopf und werfe sie zum
Grünmüll, dort darf sie sich zersetzen. Wenn
ich die Donau sehe, sehe ich die
Donau, aber ich habe für sie nicht
mehr Wörter, als ich ansonsten kenne.