Ulla Hahn
Elegie auf einen Dichter
Hatte er Kinder? Eine Frau? Hund Vogel Katze? Hatte
sein Haus ein Dach?
War er von denen einer die aus Limousinen steigen
hinunter in die Bar ins Grab und
tiefer dahin wo Gut und Böse ihren blondgelockten
Unterschied verlieren Stieg er so weit hinab?
Ein Bauer schaut den Feldern dankbar zu
Was kümmern ihn die Wurzeln Er sieht
wie Korn die Halme füllt und stellt sich
Mittags in der Bäume Schatten
Tat das der Dichter auch? Stieß er das Fenster auf
wenn ihm nichts mehr gelang und setzte sich dem Schatten
eines größeren Schöpfers aus? Ließ er sein einsames
Gesicht vom Mond bestrahlen wenn er es nicht mehr aushielt
das Geschrei der Toten in den Büchern
Der Jäger jagt sein Wild mit Schlingen und mit Fallen
der Fischer reißt den Haken aus dem Maul zu kleiner Fische
wirft sie zurück und deckt die Augen dem der daliegt zu
im eisigen Bach
Tat das der Dichter auch? Hat er die Folianten durchgestürmt?
Das Leben? Lebte er Aug
in Auge? Oder Wort für Wort? Sprach er das Wort aus
leicht sprach er es schwer schnell langsam mit Bedacht Sprach er so
wie man das Korn sät für das Brot? Nahm er
den Wörtern ihre Dornen gab er sie zurück?
Hat er gespart? Für andere? Für sich? Hat er den Hut gezogen? Zahlte
er die Steuern? In frostigen Zeiten raschelte
das Alphabet wie steifgefrorenes Gras wenn er hindurchging
und schnitt in seine bloße Haut
Der Clown verschluckt sein Lachen Unter der Kuppel
keucht der Akrobat fiebrig und strahlend
auf den Bänken muht die Meute und leckt die Lippen
nach Blut Schlagzeilen und nach Epitaphen
Für einen Dichter? Der die Augen zukniff wenn
er in die Sonne sah Wie kleine Kinder
die am Fuße eines Sockels stehen auf dem ein Mann
steht steinern und auf dessen Schultern ein Kopf
so wie die Sonn am Himmel steht So
blinzelte er wenn er Großes sah (und groß war
größer als er selbst) Zum Beispiel: Beete
frischer Blumen brachten ihn zum Blinzeln dass
ihm das Wasser aus den Augen trat
Oder am Fuß des Sockels
eine Rose bevor man sie im Herbst
im Dung verscharrt nach dem Gesetz
dass die Materie zerfällt und dass
das Wort ersetzbar ist und nicht die Dinge
Im Sommer lächeln schöne Frauen in den Straßen
wie von Altären oder Illustrierten tief in die Körper
ihrer Männer bis dahin wo man Kinder macht.
Über dem Nacken junger Mädchen
geht die Sonne auf Es beben
die Planeten von all den Hände-
Füße- Lippenzärtlichkeiten und später
führen Mütter Kinder aller Wege
im Wagen zu Fuft in den Bäumen im Bach Hat er
da mitgelebt damit gelebt? Ließ er sich fällen
von der Liebe Not? Hat er den Brand gekannt
den Hirnfraß wie von ungelöschtem Kalk? Lippen
aus denen Lächeln abgefeuert wird wie Projektile?
Mitten im Winter den Geruch von Sonne
auf nackter Haut und Heidelbeeren? Geschrei
aus einem Kinderwagen? Oder
ging er ein schöner Mann daran vorbei? Schlug
seinen Kragen hoch? Knallte die Tür?
Verkniff die Lippen? Galt ihm
das schwarze Wort mehr als der lichte Augenblick
Hat er am Ende nur für dieses Schwarz gelebt?
Hat er am Ende nur durch dieses Schwarz gelebt?
Nur schwarzes Wort gelebt? Hat ihn das Schwarz gelebt?
Hatte er Kinder? Eine Frau? Hund Vogel Katze? Hatte
sein Haus ein Dach? Ein Ende? Glücklich so
wie im Bilderbuch so wenn der böse Wicht stirbt und wir
leben weiter Man sagt man habe ihn gefunden
lächelnd Lächelnd zuletzt wie einer der zuletzt lacht
Eitelkeit Staub und Asche auf einer leeren Seite.
(aus: Wiɘderworte, 2011)