پوروا آنچل

© Fahmida Riaz
Extrait de: Four Walls and a Black Veil
Karachi, Pakistan : Ameena Saiyid, Oxford University Press, 2004
ISBN: 0 19 597711 4
Production audio: 2005, M.Mechner / Literaturwerkstatt Berlin

Purva Anchal - Das Land im Osten

Wie schön ist diese Erde
diese schöne traurige Erde
die grüne Erde des Ostens
in sanftem Glanz
fliegt sie am Zug vorbei
wiegt leise sich im Wind

Soweit das Auge reicht, grüne Felder, Kornspeicher
sie ist eine Bäuerin, diese Erde
die mit schwerer Last auf dem Kopf
durch die Felder nach Haus geht

Nach Haus, wo über dem Dach heut
der Geier des Hasses kreist,
mal um mal herabstößt und wieder abzieht

Feucht vom Tau das Grün
feucht meine zwei Augen
Moschee wie Tempel, am Ende
bleibt von ihnen nichts als ein Haufen Lehm und Steine
sieht er die Menschen mit zorngeschwollener Stirn
dann erwacht, der in dieser Erde ruht, ihr treuer Sohn
euch zu versöhnen
Kabir mahnt zur Einsicht

»Wo im Haß einer den anderen abschlachtet
weilt Gott nicht länger
einen solchen Ort sieht Rahim nicht mehr an
zu ihm kommt Ram nicht mehr«

Flehend neigt er das Haupt
bis auf den Boden
Kabir mahnt zur Einsicht

Am anderen Ufer der Sarju
zwischen schattigen Lotusteichen
und grünen Bambushainen
steht Gautamas Botschaft geschrieben
inmitten der Blumenpracht des Frühlings
steht in Stein gemeißelt die Lehre

»Sind zwei Seiten unversöhnlich verfeindet
jede bereit, das Leben zu geben
ist wahrer Sieg nur möglich
wenn beide dabei gleichermaßen gewinnen

Ein Krieg, den die eine Seite verliert,
wird dauern
bis beide ausgelöscht sind
beide gleichermaßen besiegt sind«

Das ist das Gesetz des Krieges
so lautet die erhabene Weisheit des Gautama
vor dem eine ganze Welt
in Ehrfurcht sich verneigt
ihr, die ihr seine Erben seid
warum vergeßt ihr sie

Die Mullas bekommen einen Ehrenturban
den Pandits hängt man Blumenketten um
bei denen brennt der Herd jeden Tag
bei denen ist die Vorratskammer immer voll
warum läßt du Narr immer wieder
trotz besseren Wissens dich betrügen
und badest dich in Blut!


Anmerkungen des Übersetzers:

Kabir: Dichter des 15./16. Jh.s, aus einer muslimischen Weberkaste
am unteren Rand der Gesellschaftsordnung stammend und von einem hinduistischen Lehrer
in eine esoterische Form des Yoga eingeführt.

Rahim: ›der Barmherzige‹, einer der Namen Gottes im Islam.

Ram: Inkarnation des hinduistischen Gottes Vishnu, für viele Hindus
ein Name Gottes überhaupt. In den Gedichten Kabirs und anderer Dichter stehen
die so ähnlich klingenden, in ihrem religiösen und kulturellen Hintergrund jedoch völlig
verschiedenen Namen Ram und Rahim oft nebeneinander als Chiffren
für die orthodoxen Gottesvorstellungen des Hinduismus und des Islam.

Sarju: Name eines Flusses, auf dessen nordöstlicher Seite die Stadt Ayodhya liegt,
wo 1991 fanatische Hindus eine Moschee zerstörten, um an der angeblichen Geburtsstätte
des Gottes Ram einen Tempel zu errichten.

Gautama: Name des Buddha

Pandit: brahmanischer Gelehrter

Aus dem Urdu übersetzt von Rainer Kimmig