Daniel Falb
Svalbard Paem
Svalbard Paem
(2018)
Tael 1
Svalbard Paem übergibt sich in den tauenden Gang von Svalbard,
an dessen Ende die drei Tresore mit den Saaten sind, zeigt,
was in seinem Magen ist: klimawandelresistentes metallisches Sorghum,
Stücke von Okra-Gravur in einer Wolke aus brodelndem
Messing unter dem Mandat des Global Crop Diversity
Trusts. Und Coke Light. Svalbard Paem ist dein, oder mein,
Leben, das sich in Generationen wiederholt, unter der Haube
*aus Linnen*, da, wo auch Svalbard Paems nassgeschwitztes
Haar ist, übergibt sich ins sich umwendende Krebsgesicht
und auf die sommersprossigen Schultern von Cis-Cary Fowler,
das ist einer der Initiator*innen, der, apriorisch,
30 cm direkt vor Paems Nase
den Gang runtergeht, mit seinem lockigen Haar, mit seinem Haar,
und nettchen labert. Bei einer Führung. Mit einer Ledertasche.
Und wie ein helles Tattoo, von dem ich glaub’, dass es auf seiner Wange
hin- und herwandert und sich „lichtend“ vertieft, erblickt Svalbard Paem
das große Kreuz, das ist das vertikal durchgestrichene Kreuzsymbol,
von dem sein Gesicht mit Licht fast durchlöchert ist wie ein
Moscheeraum. Svalbard Paem übergibt sich direkt
in sein Gesicht. Aber Cis-Cary Fowler merkt es nicht, ist
Augmented Reality von Paem, wird auf sein’ „Netzhaut“ im
Gegenlicht angezeigt mit Schilfgras, egal
wohin und an wen es sich wendet.
Svalbard Paem ist, empirisch, im Südtiroler Archäologiemuseum
in Bozen, das Erbrochene fällt warm
in die eingeknüllten eingesternten Augenhöhlen
von Ötzi – Erste Samenbank für mtDNA mit Arm-Chiffre –, fällt
in seinen Mund, an dem die Weltbevölkerung wächst,
mit seinen schwarzen Herzen pulsierend in der trockenen Armmuskulatur,
da Fowler seine kleine Führung auf dem
Ersten Zufälligen Saatguttresor fortsetzt, „its
stomach content yellowish to brownish colored and mushy
with some bigger pieces of grain and meat,“ namentlich Kleie oder
Brot vom Einkorn, Gerste, Adlerfarn, Pollen
von Kiefernartigen und Hopfenbuchen, getrocknetes oder
geräuchertes Fleisch vom wilden Alpensteinbock
Capra Ibex, organs like the spleen, liver or brain from red
deer was also Teil seines Mahls, die Eier
des Peitschenwurms. Gehirn breitet sich wuschig wuschig
aus an seinem, vom Klimawandel frei-gelegten Mund. Immer mehr
Paeme stehn an seinem Käfig, wippen mit breiter Hose
in der Hocke. Sein Sperma, weiß im Schnee der italienischen
Alpen. Svalbard Paem übergibt sich heftig in eine Felswand. Svalbard
Paem übergibt sich in ein Gesicht. Svalbard Paem
übergibt sich in einen Wasserfilm, wo unten,
in zusammenlaufenden Kanten, alles Wäss’rige im Dunkel
zusammenfloss.
In eine Ledertasche, die
dein Leben war.
Tael 2
Die Schwimmende Schildkröte
das Trinkgefäß aus Knochen,
schwimmt auf dem Rücken
vor Svalbard Paem,
mit ihrer Einbauküche,
in ihrer Ledertasche,
und ihr Bauchpanzer wird aufgeschnitten,
-gesägt und gestemmt, die
Platte abgehoben, das Hohlgefäß,
dunkel wie eine Kirche, wird
zum vollen Menü der Organe,
mit zwölf schwarzen Herzen,
rotierendem Natostern,
Sonnensystemen-Modellen aus Messing,
die Schildkröte strampelt und schwimmt, und
da C. Fowler sich auf ihr umdreht und
mit seinen Fäustlingen da hindeutet,
wird sie leergeschaufelt mit Schaufeln, den
offenen Bauch gen purpurnen Himmel.
Svalbard Paem trinkt aus der offenen Schale,
wie wenn eine Zunge im Glas wedelt, es
ausleckt. Aber das Blut läuft nicht in seinen
Körper, sondern bildet eine Blutwolke
im flachen Tropenwasser unter der *linnenen*
Spitzenhaube, im Wirkungsbereich der
Sea Turtle Conservancy (STC) und ihrer
Schutzanstrengungen. Sie erbricht sich, aber da ist nichts.
Insofern taucht hier eine zweite Idee auf, die Idee
von Storage in Praxis.
Die in deinem Leben als Bäuer*in bei deinem
vertäfelten Gesicht gespeicherten Sorten
der vorindustriellen Landwirtschaft
fließen aus den vier Taelern von Svalbard
Paem in die Konstellation von Saatguttresoren, das
geometrische Raumschiff under der linnenen
Spitzenhaube des Mars Science Lab (MSL), nämlich
(1) die punktförmigen Nationentresore im
rötlichen Erdenstaub which contain
the seeds of individual countries,
wie Syrien oder Afghanistan,
darüber
(2) die 11 internationalen Saatgutbibliotheken, sogenannte
CGIAR centers founded by some sixty countries
and organizations, managed by the Consultative
Group on International Agricultural Research,
which store specific crops, und
eompor, mit taubengroßen Eiern gefüllte Schale,
die Schwimmende Schildkröte,
(3) der Svalbard Saatentresor.
Dieser Übergang der gespeicherten Agro-Biodiversität von
Lebenswirklichkeit
in pure Möglichkeit
ist
Das Große Kreuz
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von
Svalbard Paem,
der volatilste Durchgangspunkt der Ernährungssicherheit
unserer heutigen Bevölkerung von 11,2 Mrd.
Gedichtchen:
sie bemerken das, in ihre Netz-Haut gebrannte,
Kreuz und gehen darauf zu
wie auf einen Tannenbaum,
laufen in ihn rein
wie in einen riesigen stacheligen Strohstern
einen Licht-Raum-Modulator von
Moholy-Nagy.
Tael 3
Wie hast du dieses Gedicht gefunden?
Was hat dich hierher geführt?
Wie hast du es, lebend, gefunden
in der roten Wüste?
Zwischen gelegten Schildkröteneiern?
In einem Gelege schwarzer Schildkrötenherzen?
Under der Haube, da, wo auch
die ausgeatmete warme
Luft des gesprochenen …
und der Geruch eines Apfels
Cis-Heiko Strunk, dieses Gedicht
muss auf lyrikline.org, sonst
muss ich es andauernd sprechen. *Thanks*
lyrikline.org ist DOBES, das VolkswagenStiftunggeförderte
Documentation of Endangered Languages
Project bei meinem durchnässten Haar.
Die Saaten der Wörter Sorghum, Okra,
Einkorn und Gerste, Hopfenbuchen, Tannenbaum etc.
verschwinden ja mit den sterbenden
Sprachen, in denen sie gelagert sind. Am
Ende bleibt dann nur das „Deutsche“ übrig – wenn
das hier immer nur in Deiner Gegenwart
gelesen werden kann ;-) –, in dessen tauendem Gang
im Haus für Poesie
ein SUPERZERFLEDDERTES, MIT
GUMMI ZUSAMMENGEHALTENES ODER -GEBUNDENES
BUCH / BRAUNES BLATTKONVOLUT / EIN
BUCH WIE EIN GLÄNZENDER BABY-ÖTZI
auf der Schwelle liegt, in dem ich meine
Wiki Searches nach „Grimm’sches Wörterbuch“
ausgedruckt habe, und die Etymologie der
Foodbegriffe darin, ohne die mein Beitrag f
ür KOOK.MONO,
„Svalbard Paem“,
ganz weiß und leer
geblieben wär.
lyrikline.org ist der Quell, aus dem dein Leben geflossen ist,
oder der Same, aus dem es gesprossen ist,
das ist der eine Prozess, der ihm sozusagen vorhergeht,
bei dem sich eine Kugel bildet mit ungesehener Höhlenmalerei,
das ist der Prozess, bei dem sich der Mars-Rover
bootet, bevor er angeschaltet wird und sich wahrnimmt,
der eine Prozess, den er dann überhaupt nur beobachten kann, der
auf seiner Retina eintätowiert ist – so würde man das vielleicht sagen –.
Es geht um die Sprache, aber es geht um das Leben,
und insofern um, irgendwie so, den intimsten Punkt
des Anthropischen Prinzips, sozusagen, und wenn irgendwie,
sozusagen, die Etymologie von einem Wort – wie „geboren“
zum Beispiel –, ‘ne andere wäre, dann wäre man nicht
geboren worden.
Und wenn die Etymologie irgendwelcher Foodstuffs oder so
eine andere wäre, dann wäre man nicht
geboren worden, dann hätte es quasi kein Paem gegeben,
hätte es in dem Sinne, äh, gewissermaßen auch nichts zu essen gegeben,
es wäre eine vollkommen andere Geschichte gewesen.
Und ich denke das ist irgendwie die, die Dimension, Etymologie ist
Geschichte,
einfach, und wenn deine Existenz sozusagen
textualistisch ist, wie das in gewissem Sinne hier behauptet wird –
Paem ist dein Leben –, äh,
dann ist eben diese Textgeschichte, diese Etymologie, die Dimension,
in den sich – in der das extramentale Apriori spielt, und
eben insbesondere – sagt man dann quasi – in den
Etymologien, jetzt in dem Fall,
der Foodbegriffe.
lyrikline.org ist der Quell, aus dem dein Leben geflossen ist,
das Licht in Ötzis Magen,
wenn Svalbard Paem durch
seine Bauchdecke stößt, das Licht,
das durch Cis-Cary Fowlers Kreuz auf seiner Stirn
und Wange leuchtet,
wenn er seine Führung betreffend sein Lebenswerk gibt in diesem
Gedicht,
abrufbar auf www.lyrikline.org und zuletzt abgerufen am
21/06/4.541.736.978
– das ist der Tag,
an dem ich gehen darf –.
Tael 4
Die Nachfolger*innen von Heiko Strunk (Projektleiter*in)
und Juliane Otto (Internationale Kommunikation),
Mira Lina Simon (Presse), Michael Mechner
(Audioproduktion), Kevin Nagel (Audioproduktion)
von lyrikline.org beim Haus für Poesie
und die Nachfolger*innen (R.I.P. Fowler, der immer noch
an dieser Stelle entlanggeht) des Leitungsteams
im Bonner Crop Trust, der Svalbard managed,
also
Marie Hager (Executive Director) und Bernhard
Stocker (Executive Assistant) aus dem Executive Office,
Timothy Andrew Fisher (Chair of the
Executive Board), Charlotte Lusty
(Head of Programs, Genebank Platform
Coordinator), HRH, the Prince of Wales (der Patron) …
und all die anderen –
gründen eine Kita,
gehen an den Strand, an dem Die Schwimmende Schildkröte
ihre Eier vergräbt.
Dort ist das Loch im Sand, wo sie
ihre Eier vergräbt.
Dort reinigt sie ihr Gefieder,
atmet Luft sich
in den Magen
(Sprechen ist Essen).
Dort ist die Grabestelle
in Cis-Cary Fowlers
Gesicht,
neben dem Kreuz,
an der vertäfelten Wunde.
Dort ist der Ort, an dem der Mars-Rover
Curiosity stehen geblieben ist
und an dem meine Neugier an ein Ende
gekommen ist,
an einem Ball mit ungesehener Höhlenmalerei.
Dort aber schlüpfst du
und zeigst mir ungefragt
den Inhalt deines „Magens“
– er ist noch weiß
und leer –,
da sich Svalbard Paem,
dein Leben,
– Dir –
übergibt.
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