Sylvia Geist
Moabiter Nachlass
Moabiter Nachlass
Drei Wochen nach deinem Abgang
der Exodus in blaue Plastiktüten
legt unter altem Staub Verstecktes frei, aufklärerisch
Illustriertes, Esoterisches, meine Irritation
über Märchenberge aus Rasierklingen
verschmutzte Wäsche, Abführpillen. Fußnoten
einer These, die schon erwiesen schien.
Zwischen Händewaschen und Margarinebrot
die Balken der Überschriften im Auge. Wieder eine
Vergewaltigung, sagtest du, und: Abdeckerei
über die Anstalten die sie machten um einen
der sogar Kirschlikör für ein Suchtmittel hielt
und das Schnellfeuer der Nachrichtensprecher
für eine Verschwörung. Eine Manie dagegen
das Sammeln von Papier. Rechnungen, Wetterzettel
Kataloge der Erscheinungen, jeder Fahrschein
ein Notat der Rebellion, an der vorbei du durch
Berlin schmuggeltest, das Porträt Georges, Gott, dickleibig
hinter den Gestirnen der Buchdeckel, die Unfähigkeit
mitzusingen rudimentär wie der seitenweis geborgte Rest
Wissen über Chancen, es dir schwer zu machen.
Was hielt dich in den letzten Sommern
vier Treppen über den Markierungen des Tags
der Ausblick auf den Hof des Gebrauchtwagenhändlers
beschlagen von sechzehn Dioptrien, ein Teergarten
zwischen den Furchen der Straßenzüge mit dem Glanz
von Kunststoff oder unsinnig gedehnter Haut, jedes Ding
sagtest du, ist gebannt vom eigenen Zustand.
Ich konnte dir nichts beschreiben. Ich las dir nicht vor.
Es genügte das Echo aus deinen Zitaten
kein Glück, das nicht zu zügeln war, du ließest
dir keine neue Brille verschreiben, es genügte
ein Bild ohne Abzug gerettet in die Erinnerung
an Ruhe und Feiertagsschnee.
Vergeblich brachte dein Nachbar dir Süßes.
Sowieso war jede Speise dir bekannt
vom Hörensagen. Du hieltest den Mund
du konntest sonstwas beschreiben, Sonne und Milben
in den Papieren sind mir zuvorgekommen, das bleibt
für die Fütterung der Plastiksäcke.
Was würdest du jetzt sagen, nach den Veränderungen
durch Lungenwasser, Stillstand, Zeit?
Wärst du erstaunt über diesen Treffpunkt
diese Bäume im August, nicht weit
vom Güterbahnhof, der Stillegung
deiner Küche, der Gardine
in der noch eine Gummispinne hängt
wie ein hinterbliebener Witz? Nicht mehr
als sonst. Orte waren dir immer Chimären
Abwesenheiten ein natürliches Programm
und mich würdest du begrüßen mit der Geste
mit der die Dinge zu quittieren sind, im Fadenschein
den hellgetragnen Jackenrücken fröstelnd rund:
Streuselkuchen, mitgebrachtes Obst, die Gedanken
der Straßenköter über Gerüche genau
wie ein Schüttelreim aufs Überleben.