Dorothea Grünzweig
Fluchtwasser
Fluchtwasser
Wasser vesi vettä seine Geschichte
als See- Moor-Flussgeschichte
in diesem Land ist eine reiche gewesen
sickernd fliessend strömend
Das Volk mit der reichen Wassergeschichte
geht in die Knie
in den Saunas den Küchen in den Ställen bei dem Vieh
in den Bädern vor den Brunnen Wiesenbrunnen Waldbrunnen
Wasser vesi vettä verlass uns nicht
Der Himmel ist seit dem Sommer aus Stein
aus blauem orangem grauem Stein
aus Wolkenmoränen
Die Brunnen sind offene Krägen
die aus der Erde ragen hechelnd
röchelnd ihr Rachenraum glüht
Das Volk mit der reichen Wassergeschichte
fährt zu den Seen mit
Becken Zubern Schöpfern Schläuchen Pumpen
geht in die Knie
Wasser vesi vettä du besamst sonst die Erde
jetzt lässt du Wurzeln dursten
Wiesenwurzeln Waldwurzeln Gras und Bäume sterben
für uns selber wenigstens
holen wir uns dich
Die Seen fallen in sich zusammen
Wasser vesi vettä verlass uns nicht
du Fruchtwasser der Fische die in uns keimen
trocknen wir aus wird Fruchtmord geschehen
die Ufer der Seen treten hervor
um sie gelegte Leidenswülste
da tritt mit Macht der Winter ein
der sie bedeckt verschliesst
Wasser vesi vettä erbarm dich vedenarmo
wir wissen von den Fluten die im Süden toben
hätten wir nur ein paar Tropfen davon
Das Volk mit der reichen Wassergeschichte hat
keine Riten es dankt nicht auf den Knien
für schon erhaltenes Wasser
es opfert nicht
tätschelt das steinerne Himmelsgesicht
Wasser vesi vettä verlass uns nicht
trommelt schlägt auf es ein
Austritt tatsächlich ein kleiner Regen
nicht stärker als kläglich geweinte Tränen
der Regen dringt in den Boden
der Frost packt zu
lässt das Wasser zu Eis erstarren
Eis wird es bis zur Aprilschmelze sein