Actaeon 2

(für Mauritius Wenner)


so wird die akte Actaeons geschlossen. an einem fluß.
ein schlechtgetarnter und ertappter voyeur, der haar
und haut der badenden genau betrachtet hat. ihr pfiff:

schon springen Actaeon die eigenen hunde an, die haben
ihn sofort an hals und gurgel. es geht dann alles superschnell:
die linse eingespritzt, nicht nur mit speichel. hundegeifer

hat im nu dem seinen körper überzogen. gebisse, risse
gehen durch den Actaeon; die beinah stumme männer-
gurgel. so ohne körper, ohne strom; dabei beguckt: der

löst, als hirschenschrei, sich auf: die blicktransfusionen,
die nichts nützen können; kann, mit neuen, lauten augen,
Actaeon sehen die augen der frau? schweigsame  augen.

ohne lust. es mag die meute ihren Actaeon! wie sie sein
hirschfleisch lieben, seine augenkamera! und hören nicht
auf ihre namen so wird die akte Actaeon geschlossen.

© 1999 DuMont Buchverlag, Köln
De: Fernhandel
Köln: DuMont Literatur und Kunst Verlag, 1999
ISBN: 3-7701-4952-1
Producción de Audio: 1999 DeutschlandRadio

POETISCHES ASYL

Du, der du über die wege der migration
in unserem land meinst bestimmen zu dürfen,
wer rein darf und wer draußen bleibt,
dir will ich sagen,
ganz Belgien wird von einer poesiebewegung erfasst,
sanft und widerspenstig,
wie eine seismische woge;
wir werden immer mehr,
denn unser innerstes wesen erwacht,
dank der poesie.
Bald werden wir 10 millionen sein
wir dichter dieses landes;
die wörter verlangen-willkommen-drang-
anwesenheit-offenheit-widerstandhallen
in unseren sprachen wieder,
wollen sich im grundgesetz verankern;
wir ersetzen das wort grenze
durch willkommenslinie,
wir wollen köstliche mehrsprachigkeit
in jeder schule dieses landes,
jedes kind von hier
soll die kunst des friedens und der poesie erlernen;
wir wollen weiter
dass du in die stadt hineingehst,
die botschaft von einem passanten vernimmst,
dem spaziergänger, reisenden oder flaneur;
wir wollen, dass kein einwohner hier
an kälte oder hunger leidet,
wollen, dass der wind, der durch uns hindurchweht
zur kraft unseres leuchtens wird;
wir, die 10 millionen dichter,
wollen das aus tiefstem herzen.
Ich will dir verraten:
nichts kann unseren willen brechen,
das leben zu wollen;
unsere sanfte, widerspenstige,
seismische woge
ist eine sprache des feuers, täglich
von den zahlreichen reisenden
aus aller welt angeschürt;
wir wollen weiter,
dass jeder bewohner dieses landes
an die tür seiner wohnung
– seines hauses-baums-appartements-
autos-zelts oder hütte –
dieses schild nagelt
DOMO DE POEZIA
Mindestens einmal im Jahr
wehen hier dichterworte
durchs offene fenster,
wache wut wider das verlöschen des lichts.

Übersetzung: das Übersetzerkollektiv von Passa Porta