Last Ink

In certain countries aromas pierce the heart and one dies
half waking in the night as an owl and a murderer's cart go by

the way someone in your life will talk out love and grief
then leave your company laughing.

In certain languages the calligraphy celebrates
where you met the plum blossom and moon by chance

—the dusk light, the cloud pattern,
recorded always in your heart

and the rest of the world—chaos,
circling your winter boat.

Night of the Plum and Moon.

Years later you shared it
on a scroll or nudged
the ink onto stone
to hold the vista of a life.

A condensary of time in the mountains
—your rain-swollen gate, a summer
scarce with human meeting.
Just bells from another village.

The memory of a woman walking down stairs.

Life on an ancient leaf
or a crowded 5th-century seal

this mirror-world of art
—lying on it as if a bed.

When you first saw her,
the night of moon and plum,
you could speak of this to no one.
You cut your desire
against a river stone.
You caught yourself
in a cicada-wing rubbing,
lightly inked.
The indelible darker self.

A seal, the Masters said,
must contain bowing and leaping,
"and that which hides in waters."

Yellow, drunk with ink,
the scroll unrolls to the west
a river journey, each story
an owl in the dark, its child-howl

unreachable now
—that father and daughter,
that lover walking naked down blue stairs
each step jarring the humming from her mouth.

I want to die on your chest but not yet,
she wrote, sometime in the 13 th century
of our love

before the yellow age of paper

before her story became a song,
lost in imprecise reproductions

until caught in jade,

whose spectrum could hold the black greens
the chalk-blue of her eyes in daylight.


Our altering love, our moonless faith.

Last ink in the pen.

My body on this hard bed.

The moment in the heart
where I roam restless, searching
for the thin border of the fence
to break through or leap.

Leaping and bowing.

© Michael Ondaatje
Published with permission of the author
De: Handwriting
Toronto: McClelland and Stewart, 1998
Producción de Audio: Literaturwerkstatt Berlin 2010

Letzte Tinte

In manchen Ländern durchdringen Aromen das Herz

       und man stirbt

nachts im Halbschlaf, während eine Eule und die

       Karre eines Mörders vorbeiziehen

auf die Art, wie jemand in deinem Leben sich Liebe und Kummer

       von der Seele spricht,

dann lachend deine Gesellschaft verläßt.

In manchen Sprachen feiert die Kalligraphie den Ort,

wo du zufällig Pflaumenblüte und Mond getroffen hast

– das Dämmerlicht, das Wolkenmuster,

für immer aufgezeichnet in deinem Herzen

und der Rest der Welt – Chaos,

das dein Winterboot umkreist.

Nacht von Pflaume und Mond.

Jahre später teiltest du es mit

auf einer Schriftrolle oder schnicktest

die Tinte gegen Stein,

um den Ausblick auf ein Leben festzuhalten.

Ein Kondensat von Zeit in den Bergen

– dein regengeschwollenes Tor, ein Sommer

karg an Menschentreffen.

Nur die Glocken von einem anderen Dorf.

Die Erinnerung an eine Frau, die eine Treppe hinunterging.

Das Leben auf einem alten Blatt

oder ein überfülltes Siegel des fünften Jahrhunderts

diese Spiegelwelt der Kunst

– darauf liegend wie auf einem Bett.

Als du sie zum erstenmal sahst,

in der Nacht von Mond und Pflaume,

konntest du zu niemandem davon sprechen.

Du schnittest dein Begehren

in einen Flußstein.

Du ertapptest dich selbst

bei einem Reiben von Zikadenflügeln,

leicht mit Tinte gefärbt.

Das unzerstörbare dunklere Selbst.

Ein Siegel, sagten die Meister,

muß enthalten Verbeugung und Sprung

»und das, was sich im Wasser verbirgt«.

Gelb, trunken vor Tinte,

entrollt sich die Schriftrolle gen Westen,

eine Flußreise, jede Geschichte

eine Eule im Dunkeln, ihr Kindergeheul

jetzt unerreichbar

– jener Vater mit Tochter,

jene Verliebte, die nackt eine blaue Treppe hinuntergeht,

bei jeder Stufe verzerrt sich leicht das Summen aus ihrem Mund.

Ich möchte auf deiner Brust sterben, aber noch nicht jetzt,

schrieb sie irgendwann im dreizehnten Jahrhundert

von unserer Liebe

vor der gelben Epoche des Papiers

bevor ihre Geschichte zu einem Lied wurde,

verloren in ungenauen Wiedergaben

bis es gefaßt war in Jade,

deren Spektrum die schwarzen Grüntöne enthalten konnte,

das Kalkblau ihrer Augen bei Tageslicht


Unsere sich wandelnde Liebe, unser mondloser Glaube.

Letzte Tinte in der Feder.

Mein Körper auf diesem harten Bett.

Der Augenblick im Herzen,

da ich ruhelos umherirre auf der Suche

nach der dünnen Grenze des Zauns,

um durchzubrechen oder darüberzuspringen.

Sprung und Verbeugung.

Aus dem Englischen von Simon Werle Aus: Handschrift, Gedichte © Hanser Verlag, München 2001