Leo Tuor

retorrománico

Mort

mia pli cara amitga
ti che vas enta letg cun tuts
tei hai jeu il pli bugen
ti spetgas mei di e notg
jeu vegnel aunc buc
aber jeu vegnel
jeu sai, cara
che ti rias cu ti vegnas per mei
aber jeu lahrognel lu ella ragogna
mia pli cara amitga
il davos turnier s'auda mo a ti
perquei ch'jeu hai tei il pli bugen
perquei che ti eis gesta
e dormas cun tuts

jeu spetgel vess sin tes dents rients,
cara

© Leo Tuor
De: metaphorá. Zeitschrift für Literatur und Übertragung. Heft 3/4
München: Hrsg. J. G. Blum, M. v. Killisch-Horn, 1998
ISBN: 3-923646-99-2
Producción de Audio: 2000 M. Mechner, literaturWERKstatt berlin

Das dritte Kind

Ich bin dein unbekanntes Kind.
Ich bin das Negativ
zwischen deinen beiden blauäugigen Kindern,
die gegen den Hintergrund meiner Dunkelheit strahlen.
Ich bin, was du vergessen, was dir entschwunden, ich bin,
was du verstoßen hast.
Ich knie nieder – indes sie die Augen schließen
und die Hände nach dem Geschenk ausstrecken –
als flehten sie um den Schlag, der nicht kommt.
Ernähre mich von der Kakaospur, die sie hinterlassen,
vom Rascheln des Zellophanpapiers.
In der Nacht schrumpfe ich in der Ecke
ihrer Betten zusammen, dort umgeben sie
winzige Plüschtiere
wie Basteien gegen alles Böse,
lauere auf die Zeit für das nächtliche Ritual,
wenn du, ohne es zu wissen, auf meine Finger trittst
und dich nach vorne beugst, ihre aufgebauschten Plümos zu glätten.
Wenn du deine Augen schließt
(die grün sind wie meine!)
stehle ich mich unter deine Lider und flüstere:
Mama.
Versuchst du, den Alptraum meines Gesichts zu verbannen,
wirst du voll Schande entdecken,
dass du noch nicht einmal meinen Namen kennst.

Aus dem Hebräischen von Gundula Schiffer in Zusammenarbeit mit Tal Nitzán