الانتحار

© Abbas Beydoun
Producción de Audio: Literaturwerkstatt Berlin 2005

Der Selbstmord

Der Koffer wurde ihm zunehmend schwer in der Hand, je länger er lief
und als er hinaufstieg
bemerkte er, dass die Treppe sich hinter ihm zusammenfaltete
doch er schaute nicht zurück
im Zimmer machte er Licht und sah eine Kerze stehen
er hatte die Vorstellung, sie stecke in seinem Kopf
dann
spürte er im Koffer das plötzliche Gewicht eines gewaltigen Lärms
als rede eine gesamte Stadt darin
den ganzen Tag lang war er herumgelaufen
als suche er ein Loch in seinem Inneren
und von irgendwoher
waren Gewirr und endlose Gespräche geprasselt

Den ganzen Tag lang hatte er gespürt, wie Dinge sich
in seine Kleidung und in seinen Koffer verirrten
meist las er seine Gedanken von der Straße auf
oder griff sie aus der Luft
ebenso verlor er Dinge, auf die er nicht Acht gab
wie ein Gewand, das sich heimlich davonschlich

Dann merkte er, dass er den Blick nicht fassen konnte
aus der Leere
und ihm etwas davon in den Wimpern hängen blieb
wie ein Wort auf der Zungenspitze

Die Luft war warm
die Häuser
und die Stadt
folgten aufeinander
er konnte sich nicht erinnern, doch die Dinge stürzten auf ihn ein
als entstiegen sie einem Loch in der Zeit
er bahnte sich den Weg zu einer Straße, die aus der Ferne näher kam
Toren entgegen, die plötzlich aufleuchteten in der Finsternis
aus allen Richtungen vernahm er das Gemurmel
von Zeugen, die ihn identifizierten

Sie diskutierten, und geistesabwesend schnappte er
Fetzen ihrer Stimmen auf
unfähig, den Kopf aus dem Dunst zu heben

Er lief im Gestern
sie sprachen miteinander, und er würgte die Worte hervor
überholte Worte
er hatte die Sprache verloren
wandelte im Gedächtnis
als liefe er durch eine Ausstellung
in der ihm nichts gehörte
vergeblich musste er von neuem beginnen und wieder seinen Namen buchstabieren
und dies vom gegenüberliegenden Gehweg aus
doch immer, wenn er ansetzte
beengte ihn sogar der Schatten seines Hutes
und wann immer er merkte, dass seine Bewegungen stürzten und sich wiederholten
dass er den Atem anhalten musste
damit sein Rückgrat nicht jedes Mal klirrte, wenn er darauf achtete
und im Echo wogte
war dies zweifellos keine Bagatelle

Er musste also nichts tun
musste nur das Ende der Straße erklimmen
hinterließ dabei eine Schnur von Schritten, die er sich von den Füßen löste
er musste sich dort aufstellen wie ein Mast
(was an ein mittlerweile fernes Meer erinnerte)
und hinter sich
die Lampen eine nach der anderen erlöschen lassen

Am Morgen lag er ausgestreckt da
die Brille zerbrochen
doch aus seinen Augen strömte es weiß
auf dem Tisch befanden sich eine Zeitung und ein aufgeschlagenes Buch
eine Flasche und zwei leere Gläser
eine Schlaftablette
kleine Zeichnungen auf einem Blatt und der Versuch
ein Wort mit großen Buchstaben zu schreiben
und auf dem Tisch lag auch
ein blankpolierter Revolver
die Schuhe standen bereit
das Hemd lag gefaltet
und die Uhr auf einem Stuhl

Er trug halb einen Pyjama und halb Straßenkleidung
offensichtlich war er in mancherlei Hinsicht unentschlossen
als er sich erschoss
war das Zimmer im Großen und Ganzen aufgeräumt
die Zeit kroch langsam voran
wie eine Fliege eine Scheibe empor
auf der Straße rollten wie eine Welle ein Arzt, Polizisten und Genossen heran
die Polizisten waren sehr verärgert
denn er hatte ihnen nichts hinterlassen
der Arzt entdeckte keine Anzeichen für einen Komplott
die Genossen nahmen ihn streng ins Gericht
und auch wenn schon alle von seinem Selbstmord wussten
redeten sie unaufhörlich von seiner Leiche
und rezitierten – vielleicht – aus seinem Werk
ein Gedicht über die Zukunft

Aus dem Arabischen von Leila Chammaa