"...sagen die Luftwurzeln"

I

Vielleicht

ist es das Erzittern,

mit dem wir beginnen und enden,

während die Augen am Himmel saugen

im Rhythmus einer Sprache

ohne persönliche Besitzanzeige:

Kupfer, Zimt, ein türkisfarbenes

Fliegengewicht, sagen die Luftwurzeln,

und wir zerstäuben im Lichtfächer

des Kolibris, im Nonstoppflug, Jetlag:

drei Gramm Flugtöne und –rausch,

Variationen in Kalliopes Stimme.

So bleiben wir stehen

in der Luft, in einer Schleife

ohne toten Umkehrpunkt, während

unter uns die Landschaft

weiterzieht.                

II

Ein Fragebogen

ist deine Braue, in deinen Augen

das Gespräch der Leuchtkäfer:

Sag, wächst uns eine andere Haut,

wenn du mich so ansiehst

und wir beginnen

uns zu steigern, zu verdoppeln:

motmot, die Schwingen

des Paradieses, rotrot,

die Blüten des Flammenbaums,

und die Leuchtkäfer fragen:

Ist der Kolibri eine Metapher

für einen Schwarm um sich selbst

kreisender Fische, schillernd

im bunten Schlaf, ein Aufglühen

der Farben unter den Lidern,

wenn wir im Sprechen

rotieren: Kommkomm,

jeder bleibt für sich

in seinem Aufwachraum

halbiert.

III

Die Hitze,

eine große Hand,

gebacken aus Licht. Wir

trinken Kokoswasser, hören

den Durst, der gelöscht wird

längs der Schweißnähte

der Körper: Der eigene

Name trennt sich

auf unter den Luftwurzeln,

ist nur ein geteiltes Wort

wie Kupfer oder Zimt

ohne persönliche Besitzanzeige

und ein Vibrieren

auf dem Zungengrund

in der Rotation

der Flügel. Klangschalen

sind deine Lippen,

an deren Enden das sichtbare

Licht verschwindet,

wenn nur noch die Zeit

mit uns unterwegs ist.


IV

Der Regen

bindet seine Schnüre

zu einer klopfenden Wand:

ein grauer Dauerton

liegt über uns, dem Grün,

den Dingen: eine Haut,

unter der wir uns verlaufen.

Betäubt, als hätte

das gewaltige Alleinsein

seine Schleusen geöffnet,

faltet unser Atem

das Restlicht wie eine Tischdecke

zusammen: wir beginnen uns

aus der Erinnerung

zu begleiten, während wir reden

vom Nonstoppflug, eine erklärbare

Reihenfolge suchen, einen Handlauf

ins Dunkle und niemand

mit bloßem Auge

die Liebe erkennt.

V

Terracottafliese,

der Abdruck deines nassen Fußes.

Die Gegenwart ist ein Verdunsten

in diesem Gebäude aus Hitze

und Regen: Feine Luftwege

führen ins türkisfarbene

Fliegengewicht, durch die Kammern

der Knochen, wenn das Erzittern

uns füttert jenseits der Lichtschranken.

Reden wir also vom Kolibri,

der tausendmal schon

gesagt worden ist, vom Tisch,

der tausendmal schon

gesagt worden ist, von tausendmal:

Nie haben wir genug Hände                                                

uns zu begreifen.

VI

Der Abend

versammelt sich

im Regenbaum. Gelb lockt

zwischen Blattpaaren

die Königin der Nacht

wie eine verlassene

Empfindung, die uns entdeckt,

wenn der Schlaf uns spricht:

Das Laken haben wir gespannt

und uns in der Umdrehung.

Kontaktschlaf, so gehen wir auf

Federfühlung, gefiedert

mit dem Radius der Entfernung,

bis wir bei Tageslicht

ermüden unter der Last

der getrennten

Körper.

VII                 

Ein Schwirrflug                                                        

ist das Stakkato der Fristen:                                     

Tausendmal saugen die Augen

am Himmel, werfen wir

Luftwurzeln aus, suchen

Tiefenwärme mit einem Refrain

aus Gesagtem und Stille

am Ende der Skala

des sichtbaren Lichts. Tausendmal

wischen Wolken über alles

hinweg, sieht das Sterben

uns zu im Spiegel,                                                                

und jedes Mal noch

wölbt sich dein Atem

über dieses Bild hinaus,

spannt deine Brust

Bogen, Braue und Bucht:

Kommkomm,

sagt das Erzittern,

lass uns balancieren

auf dieser Frequenz

wo wir enden.

 VIII

Vielleicht

wird uns einmal gefallen

die Art, wie Ameisen

aus unserem Schatten treten.

Einmal, wenn deine Haut

nicht mehr durchblutet ist,

wird sie weiß sein

wie das Papier, auf dem ich

schreibe, auf dem du

liest, weiß und still:

Ein abgelegtes Hochzeitskleid

wird sie sein, immer schon

mit dir beschrieben,

und wenn der Umkehrpunkt

gestorben ist, das Laken

in letzter Umdrehung verharrt

unter einer Landschaft

aus Träumen,

die über uns hinwegzieht,

dann frag ich dich:

wieviel Belichtungszeit

braucht das Glück, bevor

die Augen uns schließen.

 

© Jürgen Nendza
De: Die Rotation des Kolibris
Weilerswist: Landpresse, 2008
Producción de Audio: M.Mechner / literaturWERKstatt berlin 2005