Oliver Mertins
Was Claude erzählt
Mein Leben, so entschlossen geworfen, kannte nur ein frühes Du,
einen Samenkern, dem sollte alles entspringen, doch blieb mir,
da nun in Todesnähe die letzten Wunden verschorfen,
vom Weinberg nur der Ruf seiner Erde und lange noch
der Traum aus Reben, weithin umflossen vom Sonnenraum,
und in meinem Garten hinter dem verfallenen Zaun
ziehe ich bitteres Johanniskraut, scharfen Rettich
und hüte einen jungen Mirabellenbaum, dessen Früchte
weisen über mich hinaus mit goldenem Flaum von Zärtlichkeit –
wenn der nächste Frühling blaut im Loch der Meisenringe
bin ich schon taub für die Blüten, die erste Hummelkönigin
und dein Schatten wird nicht länger dieses Haus bewohnen.
Da ich am Küchentisch sitze bei der Morgengrütze
oder in Mittagshitze Wassermelonen schneide
sehe ich auf das einzige Bild das mir blieb von dir
und ein Fremder im Angesicht deiner Elfenmaske
hielte dich wohl für meine Enkelin, doch erkenne ich
das Lauern hinter deinen Kinderaugen, schwarze Feuer
der Passionen, wie auch das Hungerwerk des Herzens,
seine Eisenschlinge um das meine, nichts als Gedächtnisschmerzen,
und wenn im Garten bei Gewitterschwüle die Bienen singen
schweifen meine Gedanken zu deinen bronzenen Schenkeln hin
in deren Mitte dein Schoß sich meiner Zunge geöffnet
wie dem Zitronenfalter die Lupine im Juli
und eiskalter Schweiß tritt mir aus den Poren, das Grauen
über unser Greisenalter, die Fährte der Jahre, verloren
an Härte und Leere, bitter im Mund wie das Fährgeld für Charon,
niemand der mehr abhelfen könnte zum Schmatzen der Stangen,
und heftig decke ich dich ab mit meiner Baskenmütze.
Wie ich der Liebe, von dir im Haß verlacht, hast Ewigkeit
diesem auch du zugedacht, dabei sind wir Kinder des Schlamms
nur Raub der Zeit, woran wir hochmütig unser Schicksal festgemacht
erweist sich als Kahn über den Fluß da schwarze Hunde heulen,
gerät uns zur Quelle von Trauer und Leid, lethevergifteter
Mnemosyne unter wimmernden Schatten, da wir verrannt
aneinander die Worte verloren, uns nicht gemeinsam
Sprache oder Schrift erfanden, ertaubten endgültig die Sinne
und es gellte uns im Ohr von allen Stimmen der Welt
nur glaszermahlende Vergeblichkeit, ein Chor der Qualen.
Nun spinn ich den Schnee meiner Jahre hier, sterngesättigt,
mir bleibt noch soviel Salz zurück von all den Flügeln
die ich bestreute, graue Strähnen zu bedecken
an jenem Fleck, da wir den roten Wein vergossen, oder war es
Blut, oder, ich weiß nicht, deine Wunde, meine einst, nun da du weinst
und aufhörst mich zu hassen, sind meine Hände längst schon welk
und helfen niemandem mehr als den Jahren beim Verblassen.
Von meinem Leben, seinen Träumen unterm pfauenblauen Sommer
blieb bloß mein Bart aus Rauch und die zerbrochene Lende,
kaum mehr die Taubentöne, wenn Tage im nahen Meer aufschäumen,
von Fallwinden geblasen auf dem Rohrblatt des Abends,
der lila Staub der Lavendelfelder, ein Mundvoll dürres Laub
und weiße Schreie von Felsenhähnen unter der Stundenbrandung,
nur der Durst nach dir, ein Auge in mir, lidlos, unstillbar,
eine Tränengallerte, ein gähnender Mund, der Seelen löschte,
und von den Händen, welche dich einst über die Schwelle getragen
wie auch später vor Verzweiflung mit der Suppenkelle
zu Boden geschlagen daß die Lippe dir aufsprang zum Spaltwort
mit dem Axtblitzen unseres widerstrebigen Begehrens,
dem Zähneblecken gemeinsamer Zwiespältigkeit,
und dem fauchenden Ohne Wiederkehr rächenden Schreckens,
nur Aderknoten und Flächen, weiß und kraus wie Pferdemähnen.