Armin Senser
Notiz für eine Biographie
1
Du bist begraben, Rainer, sicher, nur anders als
deine Knochen sind deine Lettern schon jetzt
ein gefundenes archäologisches Fressen; id est
draus werden Hieroglyphen einer neuen Zeit.
Sichtlich gezeichnet wirst du wohl, Gott weiß,
nicht auferstehen und in diesem Aufzug vor
die Sprache treten. Obwohl Dekadenz dir
zugetan war, hast du sie nicht darum gebeten.
Da Sinn und Leben noch immer am Subjekt
festhalten, sind, dir zur Feier, Mutmaßungen
über deine Zukunft und Vergangenheit
nichts, das dich aus der Ruhe bringen könnte.
Überhaupt spricht es sich freier in
Abwesenheit von Gedanken oder Musen
schon nur, weil der Schrei im Intimkontakt
zum Höhepunkt von beiden gehört –
und Ausrufe einen überdies, ach, postvaginal
allzusehr nostalgisch stimmen.
Im Grunde hat man sich nur in die Höhe
jedoch nicht vom Fleck bewegt.
2
In Paris, wo ich dich zeichne, krankt
das Transport- und Immunsystem
am Menschen – dem Erreger, übertragen
von seinen leblosen Habseligkeiten,
daß die Sehnsucht nach der Natur schon
greifbar wird in Abgasen und einem
Stück Rasen, wobei ihn nur Ameisen und
andere Sektenmitglieder betreten dürfen.
Sicher, Zäune grenzen noch immer ab. Drüben
wie hier bleibt die Kreatur auf sich gestellt.
Drum liegt der Poetik das Verschlossene zugrunde,
sahst du es auch umgekehrt.
Was Poesie nicht nur dir vormachte:
ihre Hand berührte die Nacktheit, läßt uns
heute anstatt Erotik eher Methodik spüren
von Eurydike bis zu den Elegien.
Deshalb wohl ist nur das Ohr Maß. Und
gefühllos schlägt es ab, was einer berührt
hat. War Rhythmus dein Stil, hättest du bei
Standardtänzen glatt das Parkett verkratzt.
3
War die Sprache allzuoft auch Mittel,
wurde sie dadurch nicht selten mittellos, was Bällen
und Karussellen jedoch dazu verhalf, von
Abbildern zu platonischen Originalen aufzusteigen,
wo, was schwebt, wie Engel und Bedeutung nun einmal,
kaum berührt wird von Schwerkraft, Demut oder
Traurigkeit, sondern einzig von der Druckerschwärze,
was die Leere an dir und allem anderen festhalten läßt.
Ob im Himmel oder auf Erden deine Stärke, das
Geheimnisvolle, liegt uns noch am nächsten, sind wir
verliebt oder leicht melancholisch irritiert, und schwächt
sich ab bei Zahnfleischschwund und Steuerlast.
Von Freud bis Freude ist Unverträgliches am
Anfang wie am Ende, trotz Alliteration, eine stete
Konfusion und verlangt entweder nach einer
Stellungnahme oder poetischen Ausnahme,
die du, seit nur Bibliotheken ewig sind, mit so
manchen deinesgleichen teilen mußt.
Dein Nachteil ist vielleicht: zum Leben erweckt,
Auferstehen ist dir zum Alltag geworden