Zsuzsanna Gahse
Donauwürfel - Vierter Würfel
1.
Wenn jemand in Passau genau hinschaut,
sieht er die unterschiedlichen Farben
der drei Flüsse in den Mündungen, denn
die Ilz ist viel dunkler, der Inn heller
als die Donau, und dreifarbig fließen
sie ein Stück weiter, dann vermischen sich
die Farben, erkennbar ist das aus der
Vogelperspektive, aber der Blick
lohnt sich auch vom Ufer her, nur muss man
sich etwas Zeit lassen und zuschauen.
2.
Während also jemand dort stehen bleibt,
bei den beiden Mündungen, wundert er
sich (vielleicht), warum die Donau von der
Quelle bis zum Schwarzen Meer Donau heißt.
Neben der Donau gibt es andernorts
die Duena, die Dwina, den Dnepr,
den Don. Merkwürdig wie sich die Namen
ähneln, und am Ende heißen alle
Flüsse gleich, ursprünglich einfach nur Fluss.
Die Donau hat einen besonderen
3.
Glanz, aber was bedeutet das schon, wenn
entlegene Gewässer ebenso
heißen, und die Isar, die klein beigibt
und in die relativ junge Donau
mündet (beigeben bedeutet trotzdem
nicht immer münden), diese Isar hat
ebenfalls mehrere Namensvetter,
die Iser und die Isère in Frankreich.
Durch die Ähnlichkeiten wird es einem
schwindlig, ein Wirrwarr entsteht, völliges
4.
Durcheinander, als gäbe es keine
eindeutigen Flussbetten mit einem
ordentlichen Wasser darin, sondern
nur Orientierungsverlust weit und
breit. Andererseits hat es was für sich,
dass Tausende Kilometer entfernt
Leute ihre Flüsse ähnlich nennen.
Sicher war einst ein charismatischer
Mann die Donau entlanggefahren, der
mit einmaliger Überzeugungskraft
5.
die Fahne schwingen konnte, und auf der
Fahne stand das Losungswort, die Donau.
Da kam er, alle winkten ihm zu und
wiederholten, was er sagte. Jedoch
sein Gegner war ebenfalls unterwegs,
schön stand er auf dem Floß und hielt seine
Fahne hoch, endlose Kilometer
lang. Iser, rief er, Iser, zwischendurch
auch mal Ister, dieses Wort stand auch auf
der Fahne. So hieß die Donau früher.
6.
Eine Zeit lang war das Flussbenennen
ein allgemein beliebter Sport, Männer
waren unterwegs, gut gewachsene,
weise Männer, Frauen nicht, es war die
Zeit der Namensgebung, so wie es die
Zeit der Schnurkeramik gibt oder die
Eiszeit, die Neandertaler und die
Renaissance. Diese Zeiten muss jeder
auswendig lernen und ebenso, dass
alle Flüsse einen Namen haben.
7.
Tausende Frauen nennen sich Rose,
viele Männer namens Georg leben
gut, die Namen Ahmed und Maria
stören niemanden, und man könnte auch
Jaffa und Affe heißen und später
beweisen, wer man wirklich ist, das schon,
das müsste man. Bei dem Wort Donau hat
es auch eine ganze Weile gebraucht,
bis jeder aufmerksam hinhörte, die
nordische Dwina hat eine solche
8.
Zuneigung nie erfahren. Sie ist schön,
wie sollte sie nicht schön sein, damit hat
sich die Angelegenheit. Flussschönheit,
weder weiblich, noch männlich, vom Alter
spricht man auch nicht viel, die Vorzeiten der
Flüsse werden nicht diskutiert, was gilt,
ist die Durchsetzungskraft der Namen, und
das ist auch bei Personen vergleichbar,
ohne viel zu fragen, was der Name
bedeutet. Beispielsweise heißt Agnes
9.
die Keusche, Reine, was niemand wissen
muss. Bekannt ist von der braunen Agnes
(in manchen Kreisen), dass sie einmal mit
ihrem Liebsten im Bett lag, tagsüber,
sie lag in völliger Sicherheit, wie
sie meinte, endlich neben dem Liebsten,
als die Tür aufging. In der Tür ihr Mann.
Schwer zu sagen, was sich in Sekunden
dann abspielte, und warum der Liebste
den Mann erschlug und Agnes den Toten
10.
schnell in ein Leintuch wickelte, aus dem
Blut tropfte, allerdings gestanden den
Mord hinterher beide, bleich gestanden
sie, was geschehen war. Das heißt, vorher
ging Agnes noch zum Fluss, um das Laken
zu waschen, zu waschen, um das Leintuch
zu waschen, es endlos zu waschen, sie
konnte daher nicht verurteilt werden,
denn sie stand im Fluss und kam nicht heraus,
so dass die Geschichte kein Ende hat.