Boris Sandler (באָריס סאַנדלער)

Es ist die Schuld meiner Mutter, dass sie mir Jiddisch,
ihre Sprache, mit ihrer Milch in den Mund gespritzt hat.
Ich hab mich dagegen gewehrt, meine Zunge gewunden,
mit den Füßen ausgeschlagen, mir die Kehle aus dem Hals geschrien …
Es hat nichts etwas geholfen – die Milch der Mutter
drang in das Blut und vermischte sich mit dem Blut.
Seit damals lebe ich als ein mit Jiddisch Vergifteter,
ein Gift, für das es keinerlei Gegengift gibt.
Es helfen keine Pillen, keinerlei Vitamine –
eine so unglaubliche Hinterlassenschaft ist darin aufgespart.
Ein Jude ist doch gewohnt, in all den Zores
auch ein Tröpfchen Ergötzen zu suchen, um das Herz zu erquicken.
Es genügt, stellt sich heraus, ein Tröpfchen Jiddisch,
um die Kümmernis vergangener Tage wegzuschmelzen.
In meinen Adern pocht und nimmt mich mit sich
auf gewundenen Pfaden das herbe Gemisch.
Das Heute ist doch taub oder stellt sich unwissend:
Wer braucht denn heut Jiddisch – ein Quälgeist im Hirn!
Meine Mutter ist schuld dran, und ich bin das Überbleibsel,
ich schlag wieder um mich, ich schreie laut …
Sobald ich meine sündige Zunge winde,
spür ich auf den Lippen den Geschmack ihres Jiddisch.

März 2015

My mother is to blame
for spraying Yiddish, her language,
into my mouth with her milk.
I resisted, twisted my little tongue,
kicked my little feet, yelled…
It didn’t do any good--
my mother’s milk went into my blood
and mixed with it.
Since then I live poisoned with Yiddish,
a poison to which there is no antidote--
pills don’t help, nor any vitamins.
What a legacy I’ve accumulated!
A Jew, after all,
is used to looking for a droplet of joy even amid troubles,
to refresh his heart.
It turns out that a droplet of Yiddish
is enough to dissolve the sorrow of yesteryear.
That bitter mixture pulses in my arteries
and carries me onto twisted paths.
The now, after all, is deaf—
or pretends not to know.
Who needs Yiddish?! It’s a calamity!
My mother is to blame,
but I’m the one who suffers.
I still kick my feet and yell out loud,
but however I twist my sinful little tongue
I still sense the taste of her milk.