Schnee, der auf mich rieselt
wie Blütenblätter
Brennholz, das knistert
um die Zeit, wenn der gefrorene Himmel sich verdunkelt
Schnee, der auf mich rieselt
mit ausgestreckten Händen
so anmutig und vertraut
Schnee, der auf mich rieselt
fiel auf meine heiße Stirn
wie Tränen
Schnee, der auf mich rieselt
ich dankte ihm aus tiefstem Herzen
und bat Gott um ein langes Leben
Schnee, der auf mich rieselt
so ungemein keusch und rein
Den Rücken an die Tür gelehnt
Du, angetan mit einer
Rüstung –
Mitternacht am 23. November
dem Monat des Frosts
Dada* ist tot
ach, wo spielt
der Flohwalzer?
Die Abende in diesem Herbst
vergehen bedeutungsleer
Das Unbeständige im
Rascheln der Baumwipfel –
Wer weiß, vielleicht
ist sie schon die Frau
eines anderen
»Schnee in Tokio.«
Diese Nachricht
schmerzt jedes Mal
doch sage ich
nichts
Schnee, der aufs Hoteldach fällt
Wie einst ihre Hand, ihr Wispern
Rauchwölkchen steigen aus dem Schornstein
und rote Funken sprühen auf
Pechschwarz ist die Nacht
Schnee, der aus dem dunklen Himmel fällt
Sie, die sich von mir trennte
was mag sie jetzt tun?
Von der Geliebten
verlassen, verschlinge ich Träume
kälter noch als der Baku
dieses Albtraum-fressende
Fabeltier
Wie lieb sie mir war …
Und doch
die Gardenie
tut nichts als
Träume weiß erblühen lassen
Deine Brüste sind
der weiße Regen
am Morgen und
die wütenden Trommeln
die mein Herz erregen
Sie, die sich von mir trennte
wird sie zu mir zurückkehren?
Still trinke ich den Sake
Reue über Reue, und mein Körper flirrt
Still, ganz still trinke ich den Sake
heimgesucht von Leidenschaft
Nicht gehen
nicht bleiben
einfach da sein und
ab dem Morgen
trinken
So süß ist
Trennungsweh –
ihr meine Schmerzensblüten!
meine skandalöse
Freundin
Das nachtschwarze
prachtvolle Haar
abgeschnitten liegt es da
führ meine Lippen
zu ihm hinunter
Schnee, der aufs Hoteldach fällt
Wie einst ihre Hand, ihr Wispern
Rauchwölkchen steigen aus dem Schornstein
und rote Funken sprühen auf
Der Qualm einer
allein gerauchten Zigarette
ein Baumwollhut
Melancholie rollt heran
mit Wolkenmassen
Der Schnee, der auf mich fiel
war so weich wie Watte
Der Schnee, der auf mich fiel
benetzte mich wie Griesel
Der Schnee, der auf mich fiel
prasselte wie Graupel
Der Schnee, der auf mich fiel
traf mich wie Hagel
Griesel, Graupel und Hagel
Verwandlungen –
Und dann bin ich zwanzig
Schneesturm, ich
stelle mich
Der Schnee, der auf mich fiel
wuchs zum gewaltigen Blizzard
Der Schnee, der auf mich fiel
wurde ganz zart und mild
Nach dem sanft
wie Blütenblätter fallenden Schnee
strecke ich
die Hände aus –
vergeblich
Willst du wissen
wie es um mein Leben steht
frag nicht mich –
die wirbelnden Wolken aus
Blütenblättern im Frühlingsdunst
Der Schnee, der auf mich fiel
wurde ganz sachte und mild
Schnee, der auf mich rieselt
so ungemein keusch und rein
Ach hätt ich bloß den
Brummschädel nicht!
Fahr bitte
anständig
du Zug
Nun werde ich den dicken Sirup trinken
Ihn kalt durch einen Strohhalm trinken
Ihn schlürfen, ohne aufzusehen
Nichts, rein gar nichts werde ich verlangen!
Nur für eine einzige
Frau
ließ ich sie hell
und ohne Unterlass brennen –
die Laterne
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* Der Dichter Nakahara Chūya war tief beeindruckt von dem Band »Gedichte des Dadaisten Shinkichi« des Dichters Takahashi Shinkichi (1901–1987), der 1923 erschien. Für Nakahara war es eine Initialzündung: Der Sechzehnjährige schrieb fortan ebenfalls im Dada-Stil. Im selben Jahr begegnet er auch der drei Jahre älteren Hasegawa Yasuko, im Folgejahr zieht er mit ihr zusammen, verliert sie jedoch an den später als Kritiker und Intellektuellen berühmt gewordenen Studenten der Universität Tokio, Kobayashi Hideo. (Die Übersetzerin dankt Yasuki Fukushima für entsprechende Hinweise.)