Donna Stonecipher 
Translator

on Lyrikline: 19 poems translated

from: german to: english

Original

Translation

Betonstufen, die Meere

german | Steffen Popp

 

Bewegung (Luft), Meerfarbe (grün), ein Igel (die Technik eines Coyoten
ihn auf den Rücken zu drehen) – dein Herz, der nahe Hafen
dehnt sich an seinen Schlafkanten. Futter in Säcken, Munitionskisten
der gespaltene Huf eines Esels im Brackwasser –

das Meer zeigt dir Ufer (die Grenzen), du schläfst in deinen Staaten
es gibt Geheimzeichen, Türme (auf See blickend), Flugabwehr
Ingenieure mit Fliegerkappen – du zählst sie an Stränden, es sind Gelenke
und sie verbinden dich (wie eine Schrift) mit allen Dingen.

© kookbooks
from: Wie Alpen. Gedichte
Idstein: kookbooks, 2004
Audio production: Literaturwerkstatt 2006

concrete steps, the seas

english

Movement (air), sea color (green), a hedgehog (the technique of a coyote
to flip it onto its back) — your heart, the nearby port
stretches itself on its sleep-edges. Feed in sacks, munitions boxes
the unnatural hoof of a donkey in brackish water —

the sea shows you banks (the borders), you sleep in your states
there are secret symbols, towers (looking out at the sea), antiaircraft defense
engineers with airman caps — you count them on the beaches
they are hinges, and they connect you (like script) to all things.

Translated by Donna Stonecipher

Silvae (gelichtet)

german | Steffen Popp

Das Harz läuft aus den Bäumen, wie gewohnt
stehen die Wälder, hölzern und grün
vor meinem Fenster, und überall auf der Erde
wo kein Feld ist, kein Garten
                            kein Haus wie das meine.

Manchmal ein Tier, an der Blattunterkante
eine rehbraune Schießscheibe mit wenigen
Treffern vom Vorjahr –
                                       zwei uralte Pferde
ziehn Holz aus dem Windbruch, mit der Dunkelheit
kommen die Jäger, man sieht ihre gelben
                                             Turnschuhe leuchten.

© kookbooks
from: Wie Alpen. Gedichte
Idstein: kookbooks, 2004
Audio production: Literaturwerkstatt 2006

Silvae (lit)

english

Sap runs out of the trees, as usual
the forests stand, wooden and green
before my window, and everywhere on the earth
where there is no field, no garden
                                                no house like mine.

Sometimes an insect, on the underedge of a leaf,
a fawn-brown target with few
bull’s-eyes from last year –
                                              two ancient horses
pull wood out of the debris, with the darkness
come the hunters, you can see their yellow
                                                      tennis shoes shine.

Translated by Donna Stonecipher

Elegie für K.

german | Steffen Popp

 

Müd ist mein Auge, müd müd
wie Alpen. Eine verwunschene Strecke
aus Jahren ist mein Gesicht
Felder, in denen ich schlief –

gelbe Lampions, ein verrätseltes Kinderfest
alles ist außer mir, ein Stausee
in dem geflutete Dörfer nachts leuchten.

Die Erde gibt Farben
die Haut gibt Einheit
in den Plantagen rüsten die Obstbäume kühn
gegen das Weltall –

ringsum die Wiesen
                       reiben sich an meinen Füßen
der Fluss
an meiner Seite, unmerklich zieht ihn
ein fernes Meer.

© kookbooks
from: Wie Alpen. Gedichte
Idstein: kookbooks, 2004
Audio production: Literaturwerkstatt 2006

Elegie for K.

english

Tired is my eye, tired tired
like Alps. An enchanted distance
of years is my face,
fields, in which I slept –

yellow Chinese lanterns, a puzzling children’s party
everything is outside me, a reservoir
in which flooded towns glow at night.

The earth gives colors
the skin gives unity
in the plantations the fruit-trees are valiantly armed
against the universe –

all around, the meadows
                            rub against my feet
the river by my side
is pulled, imperceptibly,
by a far sea.

Translated by Donna Stonecipher

[du schläfst]

german | Gerhard Falkner

du schläfst und liegst bei deinem haar
dein weißes bein ist aufgestellt
und ich, darauf es ruht, ich bin die welt
bedrückt von deinem schlaf, bin die gefahr
die leise deinen traum in atem hält.

du schläfst und liegst bei deinem haar
ich hab ein flüstern in dein ohr gebettet
es spricht zu dir, daß ich der abend war
die trunkenheit, das zittern im pessar
es spricht zu dir die sprache, die mich rettet

© Suhrkamp Verlag
from: Xte Person Einzahl
Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 1996
ISBN: 3-518-11996-6
Audio production: 1999 M. Mechner, literaturWERKstatt berlin

[you sleep]

english

you sleep and lie next to your hair
your white leg is propped up
and i, on whom it rests, i am the world
made glum by your sleep, am the danger
that keeps your dream quietly in suspense.

you sleep and lie next to your hair
i embedded a whisper in your ear
it speaks to you, that i was the evening
the drunkenness, the quivering in the pessary
it speaks to you the speech that rescues me

Translated by Donna Stonecipher

Ziegenmelker

german | Nora Bossong

Durch die Straßen liefen Hunde, beizeiten
wünschte man sich Ziegen herbei, dreimal auch
suchten wir schwarze Katzen, zumindest
das Kopfsteinpflaster wäre Gebirgsersatz.
Wir horchten auf Hufschläge hinter den Fenstern,
da flogen die Nachtschwalben tief und
Ziegenmelker nannte sie einer. Es roch
wie das Haar in der Suppe, als die Ziegen
die Stadt einnahmen. Sie fraßen Blätter, Federn,
Hundeknochen. Es war Herbst, da sich die Ziegen
vor unseren Häusern paarten. Und die Katzen
vergessen und die Nachtschwalben tief. Es war
nur Volksglaube, dass jene Vögel
sich an Ziegenzitzen säugten. Das Zaubern
nur ein schlechter Scherz, und die Welt
war den Ziegen im Bauch geplatzt.
Sie gaben noch Milch drei Tage,
dann waren sie tot.

© Zu Klampen Verlag
from: Reglose Jagd
Springe: zu Klampen! Verlag, 2007
Audio production: 2007, Literaturwerkstatt Berlin

Goatsuckers

english

Dogs trotted through the streets, betimes
goats were conjured up, thrice
we looked for black cats, at least
the cobblestones could serve as substitutes
for mountains. We listened for hoofbeats behind the windows,
the nightjars flew down deep and someone said
they were called goatsuckers. It smelled
like the fly in the ointment as the goats occupied
the city. They ate leaves, feathers,
dog bones. It was autumn when the goats
started mating in front of our house. And the cats
forgotten, and the nightjars deep. It was
only an old wives’ tale, that these birds
nursed at the teats of goats. The magic tricks
just a bad joke, and the world
burst in the goat’s bellies.
They continued to give milk for three days,
then they were dead.

Translated by Donna Stonecipher

Tyrolean Airways

german | Dagmar Leupold

Sounds of Silence
steht unter den Propellern
ein Versprecher
kein Versprechen und

alle Passagiere lächeln
in die aufgerissenen
Zeitungen hinein
die Männer in die Börse
die Frauen in Vermischtes

in den Gängen
Schwaden zu früh
zerstreuter Träume

Dort unten
Wien, seine Schlösser, die Gärten
in bestechender Geometrie
der Friedhof voller Helden

© Dagmar Leupold
from: Byrons Feldbett
Frankfurt am Main: S. Fischer / Fischer TB, 2001
Audio production: 2007, M.Mechner / Literaturwerkstatt Berlin

Tyrolean Airways

english

Sounds of Silence
it says under the propellers
a slip of the tongue
not silver-tongued and

all of the passengers smile
into their wide-open
newspapers
the men in the stock quotes
the women in miscellaneous

in the aisles
vapor trails of dreams
scattered too early

Down below
Vienna, its castles, the gardens
in irresistible geometries
the graveyard full of heroes

Translated by Donna Stonecipher

Standort

german | Nora Bossong

Wir leben in einer Stadt ohne Fluss, es gibt
Grenzen hier nur aus Wind
oder Regenschauern. Meine Schwester
ängstigt das nachts, doch es lässt sich
in unserem Haus nicht weinen, vielleicht
hülfe es ihr, vielleicht brächte es sie
um den Verstand. Es ist frostig
in ihrer Stimme. Ließen sich Entfernungen
ohne Fluss beschreiben, wären zum Wenigsten
die Ahnungen haltbar: Niemand
nähert sich unserem Haus und die Eltern
haben wir lang nicht gesehen.
Doch es gibt keinen Halt, diese Stadt ist
wie ein Schneerest im März. Nur der Wind,
der den Regen in seine Form treibt,
deutet ein Ortsende an. Unser Haus bleibt
von Eis bedeckt und verschwunden.

© Zu Klampen Verlag
from: Reglose Jagd
Springe: zu Klampen! Verlag, 2007
Audio production: 2007, Literaturwerkstatt Berlin

Location

english

We live in a city without a river, there are
borders here made only of wind
or rainshowers. At night
this frightens my sister, but in our house
there is no weeping, perhaps
it would help her, perhaps it would drive her
over the edge. It is frosty
in her voice. If distances could be described
without rivers, at least the ideas
would be sustainable: No one
comes near our house and we haven’t
seen our parents for years.
But there is no rest, this city is
like remaindered snow in March. Only the wind,
which drives the rain into its shape,
hints at a city limit. Our house remains
locked in ice and vanished.

Translated by Donna Stonecipher

sieben geliebte

german | Gerhard Falkner

meine erste geliebte
heißt nicht laura und nicht liliana
sie tanzt nicht und schläft nicht und lebt nicht
gleicht sie nicht gott

meine zweite geliebte
öffnet die fenster zum jungen april
ich seh die jubelnden lerchen steigen
wie schön muß sie sein

meine dritte geliebte
ist reich bis über die schultern
sie schenkt mir ruhe und lust, ganz wie sie will
ihre bekanntschaft bleibt sie mir schuldig

meine vierte geliebte
lahmt. als ich mich umblickte
da wir die gestrafte stadt verließen
streifte mein blick ihr bein

meine fünfte geliebte
ist mir beim küssen
ins weinglas gefallen. sie ist dahin
und kommt nicht mehr woher

meine siebte geliebte
ist dieselbe wie die sechste
ich habe sie doppelt. immer müssen
sie wegen sich weinen

© Suhrkamp Verlag
from: Xte Person Einzahl
Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 1996
ISBN: 3-518-11996-6
Audio production: 1999 M. Mechner, literaturWERKstatt berlin

seven beloveds

english

my first beloved
is not named laura and not liliana
she doesn’t dance and doesn’t sleep and isn’t alive
she does not resemble god

my second beloved
opens the window to youthful april
i see the joyful larks rise
how beautiful they must be

my third beloved
is rich beyond her shoulders
she gives me peace and desire, just as she likes
she still owes me her acquaintance

my fourth beloved
limps. as i looked around me
as we were leaving the chastised city
my gaze grazed her leg

my fifth beloved
fell into my wineglass
as she kissed me. she’s in there
and will never come thence

my seventh beloved
is the same as the sixth
i doubled her. they keep having
to weep over themselves

Translated by Donna Stonecipher

Russische Einheiten

german | Steffen Popp

Eine Art Liebe, zwischen den Blocks
mit Schneeohren: unwirklich, außer der Zeit
liegen die Steine unter dem Eis
die gefrorene Bremsspur, die Pirouette
                               des Betrunkenen –
in meinem Herz
dröhnt ein Finale, ich weiß nicht
                   von welchem Stück
durch das Balkonfenster
blickt die Geranie, reglos, ein schläfriges Kind
sagt: Wir haben Lenin gesehen …

und jedes Licht ist eine Münze Glück/Unglück
die Dinge zerfallen, in ihre stoische Schönheit

eine träumende Schaffnerin
mit eisernem Münzkasten
man sieht den Schnee und möchte sich losreißen

wenn wir in kleinen Gefährten
durch Städte reisen, bleiben Ringlinien
die letzten Einheiten
atmet der ausgebeutete Raum
ein Massiv aus toten Bienen.

© kookbooks
from: Wie Alpen. Gedichte
Idstein: kookbooks, 2004
Audio production: Literaturwerkstatt 2006

Russian units

english

A kind of love, between the apartment-blocks
with snow-ears: unreal, outside time
the stones lie under the ice
the frozen brake-marks, the drunkard’s
pirouette –

in my heart
roars a finale, I don’t know
from what piece
through the balcony window
gazes the geranium, motionless, a sleepy child
says: We saw Lenin . . .


and every light is a coin, good luck/bad luck
things decay into their stoical beauty

a dreaming conductor
with iron coinbox
we look at the snow and we want to escape

when, in little vehicles
we travel through cities, concentric rings remain
the last units
the exploited space breathes:
a massif of dead bees.

Translated by Donna Stonecipher

Reglose Jagd

german | Nora Bossong

Die Ställe hangabwärts, es heißt, den Hasen
habe ein Marder geholt, ein Fuchs, niemand
ist sicher, man lebt hier selten
des Nachts. Das Haus zu groß
für ein Haus, die Menschen zu reich,
nicht aus meiner Zeit. Dennoch gehen wir
auf die Jagd gemeinsam, durch die verwachsenen
Ränder des Familienerbes, kein Tier
knackt das Unterholz, kein Kadaver
legt seinen Geruch wie ein spukender Ahne
an die Grenze des Grundstücks. Ich glaube, alles
hält die Terrasse verborgen, niemand
folgt mir nach, wie sollten sie auch, meine Tage
liegen anderswo. Nur die Seeadler auf den Pfosten
lassen mich nicht aus dem Blick, ich fühle
ihre gefeilten Augen mir in den Nacken starren,
bis ich stürze, doch das ist unwesentlich, nur
eine kurzfristige Veränderung des alten Gebäudes.

© Zu Klampen Verlag
from: Reglose Jagd
Springe: zu Klampen! Verlag, 2007
Audio production: 2007, Literaturwerkstatt Berlin

Motionless Hunt

english

The stables down from the slope, they say
that a marten or a fox got the rabbit, no one
is sure, it’s rare that anyone stays here
at night. The house too large
for a house, the people too rich,
not of my time. But still we go
hunting together, through the overgrown
edges of the family estate, no animals
crack twigs in the undergrowth, no cadaver
leaves its smell like a spooky ancestor
on the boundaries of the grounds. I believe that the terrace
hides everything, no one
is following me, and why should they, my days
lie elsewhere. Only the white-tailed eagles on the poles
don’t let me out of their sight, I feel
their sharp eyes staring at my nape,
until I stumble, but that is immaterial, just
a short-term alteration of the old edifice.

Translated by Donna Stonecipher

Rattenfänger

german | Nora Bossong

Zwei Jungen traf ich
unterm Brückenbogen nachts,
die pinkelten den Pfosten an und
sagten, dass sie sieben seien
sagten, dass sie Läuse hätten.
Sie lachten über mich, als ich
es glauben wollte. Nichts zu holen
außer Läuse, verriet der Kleinere.
Er zeigte aufs Gebüsch und trat
mir auf den Spann. Ich hätt mich gern
in ihn verliebt, so billig war
in jener Nacht sonst nichts mehr
zu erleben. Der Große fragte, ob es stimmt,
dass auch das Tier allein
nicht sterben kann. Es war
zu spät für Jungen unter dieser Brücke.

© Zu Klampen Verlag
from: Reglose Jagd
Springe: zu Klampen! Verlag, 2007
Audio production: 2007, Literaturwerkstatt Berlin

Pied Piper

english

I met two boys
under the arch of the bridge at night
who peed on the pillars and
said that they were seven
said that they were lice-infested.
They laughed at me when I
believed it. Nothing to gain
but lice, the smaller one revealed.
He pointed to the bushes and stepped
on my instep. I would have loved
to fall in love with him, nothing else
that night was to be had
so cheaply. The bigger one asked me if it were true
that even animals cannot
die alone. It was much too late
for boys to be out under that bridge.

Translated by Donna Stonecipher

Plankton

german | Dagmar Leupold

Tage verstreichen
weit
aufgerissenen Mauls
besinnungslos Verschlucktes
zerdichten.

Es sind unser
aller Geschichten:
Mit geringer Eigenbewegung
Umherirrendes

wie im Kehlsack
des Pelikans
gehortet.

Die Zunge ist ein
guter Polizist.
Für jede Korruption
zu haben.

© Dagmar Leupold
from: Destillate
Frankfurt am Main: S. Fischer / Fischer TB, 1996
Audio production: 2007, M.Mechner / Literaturwerkstatt Berlin

Plankton

english

Days go by
mouths torn open
wide
insensate the swallowed-up
de-compose.

The story
is our story:
With limited capacity for independent movement
drifting

As if hoarded
in the pelican’s
throat pouch.

The tongue is a good
policeman.
Can be had
at any price.

Translated by Donna Stonecipher

Neu-Englands Töchter

german | Dagmar Leupold

Wie aus alten Gemälden schauen
sie uns an: weiß und rot, mit lauem
Fleisch und fahlem Haar, das
geflochten auf schmalen Schultern lastet. Wie Glas

der helle Blick auf ferne Wasser,
den die lange Geschichte nicht trübt.
Die weichen, runden Arme sind blasser,
die Hüften ruhiger, schwer. Es gibt

eine Anmut in ihrer Trägheit
gleich der des Schlafs oder stiller Lügen,
der wir uns wortlos fügen:
als wäre das die Seligkeit.

© Dagmar Leupold
from: Die Lust der Frauen auf Seite 13
Frankfurt am Main: S. Fischer / Fischer TB, 1994
Audio production: 2007, M.Mechner / Literaturwerkstatt Berlin

New England’s Daughters

english

They look at us, white and red,
as if from old paintings: their tepid
flesh and dun hair in braids
burdening their narrow shoulders. Like glass

their bright gaze on faraway waters,
unclouded by long history.
Their round whiteT arms are paler,
their hips calmer, heavier. We see

a grace in their languidness
like that of sleep, or of quiet lies
with which we wordlessly comply:
as if this were blessedness.

Translated by Donna Stonecipher

Die Dominospieler

german | Barbara Köhler

ein spiel mit den augen ein spiel mit den händen
die rede der gesten ins netz der blicke geknüpft
verfängliches & gelöstes wie fragen zu antworten
gewendet der nächsten frage zu einer fortsetzung
der gegenwart um einen stein um eine möglichkeit
um ein ornament wachsen zu lassen auf dem grünen
blechquadrat zwischen den spielern ein labyrinth
mit zwei ausgängen & vergessener mitte die figur
die ein gespräch beschreibt die form nimmt es an
teilt es mit den steinen den doppelquadraten mit
augen schwarzen auf abgegriffnem weiß zählen sie
gleich zu gleich zählen auf grün neben rot sechs
neben eins zu eins neben nichts zu nichts zählen
erzählen einander eine gegenwart ein geschenk um
presente: die mischung aus zufall & geschick das
mischen der steine ein ritual ihr teilen in zwei
gleiche teile & einen gemeinsamen vorrat aus dem
nimmt wer nicht mehr geben kann wer nichts hinzu
zufügen hat nimmt von einer hoffnung die bis zum
letzten stein nicht weniger wird eine antwort zu
finden ein zeichen ein gleiches eine wendung die
das gespräch fortsetzt in das ornament sich fügt
zum bild vielleicht das dann deutlich erscheinen
würde mitten in der nacht in der kleinen bar mit
den grünen tischen an einem zwei die nicht krieg
spielen nicht um herrschaft & macht dieses spiel
gewinnt wer alles geben kann wer wach bleibt wer
sieht wie gleiches zugleich sich ändert eins das
andere erwidert am tisch mit den gleichen seiten
die gesten die blicke die blicke die gesten kein
wort aber ein anderes stilles vernehmen zwischen
zwei gebenden das muster ergibt eine ordnung der
zufälle nimmt wer gibt wahr: verwirklicht sie zu
gleich verbindlich & offen sichtlich fortsetzbar
auf beiden seiten ein hingegebenes als könnte es
ums ganze gehen bei einem dominospiel: ums leben

© bei der Autorin
from: cor responde. Gedichte dt./portugies. Gemeinsam mit Ueli Michel (fotos/farben)
Duisburg & Berlin: pict. Im, 1998
Audio production: 2000 M. Mechner, literaturWERKstatt berlin

The Domino Players

english

a game with the eyes a game with the hands
the talk of gestures tied to the net of glances
captious and resolved as if turned to answer
questions the next question to a continuation
of the present to let a piece to let a possibility
to let an ornament grow on the green tin
square between the players a maze with two
exits and a forgotten middle the figure that
depicts a conversation it takes on the form
shares it with the pieces the double squares
with eyes black on worn white count same
to same count on green next to red six next to
one to one next to nothing to nothing count
recount each other a present a gift um
presente
: the mix of chance and fate and skill
the mixing of pieces a ritual the division into
two equal parts and a common kitty out of
which the one who can no longer give takes
the one who has nothing to add takes out of
a hope that doesn’t fade till the last piece is
played to find an answer a sign a sameness
a turn that continues the conversation that fits
into the ornament that perhaps becomes a
picture that then appears clearly in the middle
of the night in the small bar with the green tables
at one of which two play not at war, not for
mastery or power the one who wins this game
is the one who can give everything who stays
awake who sees how sameness changes at
the same time the one who answers the other
at the table with the same sides and the
gestures the glances the glances the gestures
no words but another quiet hearing between two
givers and the pattern gives an order to chance it
perceives who gives: realizes it at the same time
bindingly and yet clearly open on both sides
something that is given as if everything could
depend on a game of dominoes: life itself

translated by Donna Stonecipher

In Grüningen. nichts wie Schmerzen.

german | Gerhard Falkner

Barfuß trete ich vor die Deutsche Bank
und spreche vom gerippten Mann –
den gerippten Mann überrascht morgens
vor einem Beet voller Knochen
der klägliche Einklang
von Vergeblichkeit und Vogelgezwitscher
der gerippte Mann sieht
wie das Leben seine Borsten bewegt
er sieht, wie die Knochen Wurzeln schlagen
und hochkochen
wie die Vergeblichkeit auf ihrem Lieblingsfelsen
Platz nimmt und singt
er blickt in die Schale seiner hohlen Hand
auf die gesponnenen Fäden
und liest: Jan 97. In Grüningen.
Nichts wie Schmerzen

© 2000 DuMont Buchverlag, Köln
from: Endogene Gedichte
Köln: DuMont Literatur und Kunst Verlag, 2000
ISBN: 3-7701-5414-2
Audio production: 1999 M. Mechner, literaturWERKstatt berlin

In Grüningen. Nothing but pain

english

Barefoot I walk in front of the Deutsche Bank
and speak of the ribbed man—
the ribbed man surprises in the morning
before a plot full of bones
the pitiful harmony
of futility and bird twitter
the ribbed man sees
how life moves its bristles
he sees how the bones put out roots
and boil over
how futility sits down among its beloved
rocks and sings
he looks into the bowl of his cupped hand
looks at the spun threads
and reads: Jan 97. In Grüningen.
Nothing but pain.

Translated by Donna Stonecipher

Hohelied

german | Dagmar Leupold

Zieh mich dir nach, so laufen wir
bis Spitzbergen
auch dort
grünt unser Bett

ich bin dir
unter jedem Himmel
geneigt

© Dagmar Leupold
from: Byrons Feldbett
Frankfurt am Main: S. Fischer / Fischer TB, 2001
Audio production: 2007, M.Mechner / Literaturwerkstatt Berlin

Song of Songs

english

Draw me, we will run after thee
to Spitsbergen
there too
our bed blossoms

I tilt
towards you
under any and all skies

Translated by Donna Stonecipher

Geweihe

german | Nora Bossong

Das Spiel ist abgebrochen. Wie sollen wir
jetzt noch an Märchen glauben? Die Äste
splittern nachts nicht mehr, kein Wild,
das durch die Wälder zieht und das Gewitter
löst sich in Fliegenschwärmen auf. Gleichwohl,
es bleibt dabei: Das Jucken unter unsern Füßen
ist kein Tannenrest, kein Nesselblatt, wir folgen noch
dem Dreierschritt, den sieben Bergen und auch
dem Rehkitz Brüderchen und seiner Liebsten.
Erzähl mir die Geweihe an die Wand, erzähl mir
Nadeln in die Fliegen. Im rechten Moment
vergaßen wir zu stolpern.
Schneewittchen schläft.

© Zu Klampen Verlag
from: Reglose Jagd
Springe: zu Klampen! Verlag, 2007
Audio production: 2007, Literaturwerkstatt Berlin

Antlers

english

The game is called off. How can we
still believe in fairy tales? The branches
no longer shiver at night, no wild game
trundles through the woods and the thunderstorm
dissolves into clouds of flies. Nevertheless,
it holds fast: The itching under our feet
is not fir vestiges, not nettle leaf, we still follow
the rule of three, the seven mountains and
the fawn Little Brother and his beloved.
Tell me about the antlers on the wall, tell me
needles in the flies. At the right moment
we forgot to stumble.
Snow White is asleep.

Translated by Donna Stonecipher

Crazy Sexy

german | Dagmar Leupold

Der Schulweg im Bus führt jeden
Morgen am Mainzer Puff vorbei:
die Haltestelle genau vor dem Hauptportal
hic habitat felicitas
dahinter pelziges Rot

Habe ich mir immer gewünscht
zu den lärmenden Schülern stiege
eine dazu mit müden Augen und
geschminktem Gesicht und vor allem:
der Illusion von Leben?
Ich weiß es nicht mehr
und wenn ich es wüßte
hätte ich mich geirrt

© Dagmar Leupold
from: Byrons Feldbett
Frankfurt am Main: S. Fischer / Fischer TB, 2001
Audio production: 2007, M.Mechner / Literaturwerkstatt Berlin

Crazy Sexy

english

Every morning the bus to school
drives past the Mainz brothel:
the bus stop is right in front of the main gate
hic habitat felicitas
behind it, furry red

I always wished
that along with the noisy schoolkids
one of them would board
the bus, with tired eyes and made-up
face and especially:
the illusion of life?
I don’t know any more
and if I knew
I would be mistaken

Translated by Donna Stonecipher

Angel

german | Barbara Köhler

für Beat Reichlin

die dinge die mit mir nichts zu tun haben
wollen die menschen die gehen sie bleiben
mir: befremdlich die ordnung & die andere
hälfte des lebens eine zeit die halbwerts
zeit ist gleich gültig zerfall & strahlung
von dingen, die aus der habhaft entlassen
sind heruntergekommen & kontaminieren die
gründe auf denen ich gehe: abgefallen vom
glauben ans unbedingte das nicht gehalten
hat wie alles versprochene versagt das am
boden liegende ding die auskunft: distanz
halten & loslassen aufheben die erdung in
augenschein nehmen die dinge die menschen
leere zeit zu vergessen was gut & böse war
zu erfüllen – die dinge lassen mich gehen
mich sehen ein ding der unmöglichkeit das
unding mensch es könnt lieben könnte gehn

© bei der Autorin
from: orts zeit
[katalog a.renger-patzsch, b.köhler, b.reichlin]

Duisburg & Berlin: pict. Im, 1996
Audio production: 2000 M. Mechner, literaturWERKstatt berlin

Hinge-Angel

english

for Beat Reichlin

things which have nothing to do
with me nor wish to the people
coming and going they remain
strange to me: order and the other
half of life and a time like a half-
life in different disintegration radi-
ation of things let go from the gotten-
hold-of come down and contaminate
the grounds over which i go: fallen
from a faith in the absolute that did
not hold like all promises with
held the thing lying on the ground
the facts: keep one’s distance and let
go lift up the grounding keep it in
sight things people empty time
to forget what was good or evil
to fulfill – things let me go and
see a thing of impossibility a no-
thing it could love it could go

translated by Donna Stonecipher