Bradley Schmidt 
Translator

on Lyrikline: 80 poems translated

from: german to: english

Original

Translation

wenn der verstand das gespräch verlässt

german | Özlem Özgül Dündar

© Özlem Özgül Dündar
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin, 2015

when reason leaves the conversation

english


Translated by Bradley Schmidt

eine schiefe beobachtung

german | Özlem Özgül Dündar

© Özlem Özgül Dündar
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin, 2015

a skewed observation

english


Translated by Bradley Schmidt

die worte senken den blick

german | Özlem Özgül Dündar

© Özlem Özgül Dündar
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin, 2015

the words lower the gaze

english


Translated by Bradley Schmidt

gedanken zerren

german | Özlem Özgül Dündar

© Özlem Özgül Dündar
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin, 2015

straining thoughts

english


Translated by Bradley Schmidt

wenn die worte stolpern

german | Özlem Özgül Dündar

© Özlem Özgül Dündar
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin, 2015

when words stumble

english


Translated by Bradley Schmidt

etwas das n ankommt

german | Özlem Özgül Dündar

© Özlem Özgül Dündar
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin, 2015

something that does n reach

english


Translated by Bradley Schmidt

[Kräftige Muskeln]

german | Martina Hefter

Kräftige Muskeln, schöne Haut macht das Obst,
schleust Vitamine ins Blut, also
essen wir es.

Wovon leben die Trauben? Dass Geister sie beäugen.
Jemand im Speisesaal hat die Früchte neu gemischt,
das Spiel beginnt von vorn,

runde Orange, gelbe Birne,
nichts davon wird ewig leben,
in einer Schüssel leuchtets dennoch.

Die Pfleger schneiden Äpfel in Schnitze.
Was lässt die Menschen eigentlich wie Jahrtausende alt wirken?
Wer isst das Obst mit Messer und Gabel,
während andere alles mit Händen zerpflücken?

Da, der Tod bringt einen Teller herein.
Man hört nie, wenn die Tür geht.

Eine Wand so dick wie zwei
Kiesel aus einem Fluss.

© Kookbooks
from: Es könnte auch schön werden
Berlin: Kookbooks, 2018
Audio production: Haus für Poesie / 2018

[Strong muscles]

english

Fruit makes muscles strong, skin beautiful,
circulating vitamins through the blood, so
we eat it.

What do the grapes live on? From spirits eyeing them.
Someone in the dining room has sorted the fruit anew,
the game starts once again,

round orange, yellow pear,
none of it will live forever,
still it shimmers in a bowl.

The caregivers cut apples into slices.
What actually makes people look thousands of years old?
Who eats the fruit with a knife and fork,
while others pick everything to pieces with their hands?

There, death is bringing in a plate.
You never hear when the door moves.

A wall as thick as two
pebbles from a river.

Translated by Bradley Schmidt

[Ich möchte ein guter Mensch sein]

german | Martina Hefter

Ich möchte ein guter Mensch sein, ich spreche deutlich ins Telefon.
Was ich sage, sei durchtränkt von guten Taten,
und was ich tue, durchtränkt von guter Sprache,
in diesem Sinn wollt ich seit jeher handeln.

Ich ruf dich gleich zurück.

Als es klingelt, plötzlich
vor dem Fenster das Feuer, das die Teufel begleitet,
mitten im gemächlichen Abend, oder ists nur Widerschein der Lage,
es leuchten eigentlich meine Haare,
reale Frisur, im Lampenlicht lodernd.

Ich nochmal, ich wiederhole mich, aber
kein Teufel trägt seinen Körper sacht fließend die Straße hinunter,
er flitzt, strauchelt, poltert in die nächste Bewegung

plump auf Hufen oder barfuß in einem Schauer,
wie er jagt, treppt, trippt, Tierchen fängt und sofort zischt die Luft,
man rückt zusammen, macht die Gruppe eng,

zwei, drei Ideen fliegen hin und her, jede lassen wir irgendwann ziehen.
Auch jetzt hab ich an die stillen Flussfahrten gedacht,
auch jetzt, während wir sprechen, Teufel, Teufel, ich nicht gut bin,
als Igelball überall aneck.

© Kookbooks
from: Es könnte auch schön werden
Berlin: Kookbooks, 2018
Audio production: Haus für Poesie / 2018

[I’d like to be a good person]

english

I’d like to be a good person, I state clearly into the telephone.
What I say is imbued with good deeds,
and what I do imbued with good words,
I have always wanted to act in kind.

I’ll call you right back.

When it rings, suddenly
outside the window the fire that accompanies the devils,
in the middle of a leisurely evening, or is it just a reflection of the situation,
my hair really glowing,
actual haircut ablaze in lamplight.

It’s me again, I repeat, but
no devil gently carries its body, flowing down the street,
it darts, stumbles, crashing into the next motion

clumsy on hooves or barefoot in a shower,
how it hunts, steps, trips, catching small animals and the air immediately sizzles,
making people move closer, bringing the group in tight,

two or three ideas fly back and forth, at some point we let each of them go.
Even now I was thinking about gliding over the placid river,
even now, as we’re talking, devil, devil, I am not good,
bristling as a massage ball.

Translated by Bradley Schmidt

[Das ganze Jahr über kaum an anderes denken]

german | Martina Hefter

Das ganze Jahr über kaum an anderes denken,
lästiger Schluckauf.

Wie der Fluss hochsteigt, wogt, gegen Hauswände klatscht,
hinaufbrüllt zur Brücke, in der nächsten Sekunde grün
mit winzigen Flächen blinkend heiter die Freizeit
schaukeln lässt,

die Struktur von etwas ernst wie sterben.
Schraffiert, geschabt, gebürstet mit Splittern
vom Sonnenlicht, durch die Haut gezwängt,
flieht und treibt Scherze mit Ferne,

ich denke an Fortkommen und
ahme geschäftige Leben nach,
großtuende Posen.

Sie liegt in ihrem Zimmer, kann die Fernsehzeitung nicht halten.

Ich lebe oft in ihrem Zimmer.
Der Fluss winkt herüber, von Weitem wirkt, was er bringt,
freundlich.

© Kookbooks
from: Es könnte auch schön werden
Berlin: Kookbooks, 2018
Audio production: Haus für Poesie / 2018

[Hardly able to think of anything else all year long]

english

Hardly able to think of anything else all year long,
irksome hiccup.

How the river rises, surges, slaps against the sides of buildings,
roars up to the bridge, green the next second
with small specks flickering cheerfully, making recreation
rock,

the structure of something serious like dying.
Hatched, scraped, brushed with shards
of sunlight, squeezed through the skin,
flees and plays pranks with the distance,

I think about moving on and
mimic having a busy life,
boastful poses.

She lies in her room, unable to hold the TV magazine.

I often live in her room.
The river beckons, what it brings seems friendly
from afar.

Translated by Bradley Schmidt

[Sie spricht nicht mehr]

german | Martina Hefter

Sie spricht nicht mehr, aber ihr Blick schießt herbei, trete ich ins Zimmer.

Wie gehts dir? Was gabs zu Mittag?
Am Ende einer Frage geht der Ton hoch, so sind wirs gewohnt.

Der Park hinterm Fenster zeigt die gepflasterten Wege plötzlich alle
in ihrer tatsächlichen Länge, mehrfach parallel nebeneinandergelegt oder
verschnörkelt in engen Schnecken, so oft rollten wir da entlang,
ließen das Kräuterbeet welken,
den Kirschbaum sterben, wie oft?

Dass der Fernseher ausgeschaltet ist, färbt das Zimmer,
dunkel schon um eins, schwarz um zwei,
um drei Krähen auf der Wiese.

Die Pfleger kommen rein, spielen die guten Geister,
aber spielen nur, das hier ist die materielle Welt.
Sie mittendrin, ich neben ihr
entschließe mich zum Heimweg.

© Kookbooks
from: Es könnte auch schön werden
Berlin: Kookbooks, 2018
Audio production: Haus für Poesie / 2018

[She no longer speaks]

english

She no longer speaks, but her gaze shoots past me as I step into the room.

How are you? What was for lunch?
The pitch rises at the end of a question, that’s what we’re used to.

The park beyond the window suddenly shows all the stone-paved
paths in their true length, laid parallel several times over or
ornately twisted into tight curls, we rolled along so often,
leaving the bed of herbs to wilt,
the cherry tree to die, how often?

That the television is turned off, colors the room,
already dark by one, black by two,
by three crows on the meadow.

The caregivers come in, playing good goblins,
but only playing, this here is the material world.
She is in the middle of it, and I’m next to her
I decide to go home.

Translated by Bradley Schmidt

Alles was wir tun ist Musik, John Cage

german | Volker Sielaff

Der Regentag bietet sich an gebietet sich der Regentag
für eine Unternehmung das Tropfentrommeln der Tropfen
ans Fenster ans gekippte Fenster Und die triefenden Blätter
der trompetenartigen weißen Blumen weißen Blüten
in dem Garten unter dem gekippten Fenster: will nur
zu Haus bleiben, sagst du und dem Regen lauschen
älter als das Auge: der Gehörsinn blätternder umblätternder
Regen draußen durchweichte Trompetenblumen Trompeten-
blüten: dein Trommeln mit Fingern Fingerspitzen auf den
Tisch auf das weiße Blatt Papier malst eine Blüte trompeten-
artige einer weißen ungeschützten Unternehmung (Blüte:)
Spaziergang über die Dörfer hinaus im Regen.

© Volker Sielaff
from: Glossar des Prinzen
luxbooks, 2015
Audio production: Haus für Poesie / 2017

Everything we do is music, John Cage

english

The rainy day offers itself, orders the rainy day
for an undertaking, the drumming of the drops
on the window, on the tilted window And the dripping leaves
of the trumpet-like white flowers, white flowers
in the garden under the tilted window: just want
to stay home, you say, and listen to the rain
older than the eye: the sense of hearing leafing turning over
rain outside soaked trumpet flowers trumpeting
blossoms: your drumming with fingers fingertips on the table
on the white sheet of paper you draw a blossom trumpet-
like of an unprotected white undertaking (blossom:)
Stroll past the villages out into the rain.

Translated by Bradly Schmidt

Narziss denkt nach und beginnt von vorn

german | Volker Sielaff

Keine Sorge, ich werde nicht in dem Spiegel verschwinden.
Keine Sorge, ich werde nicht aus dem Spiegel heraustreten.
Auch werde ich nicht meinem eigenen Spiegelbild verfallen,
ich habe keins: Der Spiegel ist leer, sooft ich in ihn hineinschaue.

Alle Dinge in diesem Zimmer gehen durch alle Spiegel hindurch
ohne dass auch nur einer sie abweist, ohne dass auch nur einer sie
festhält.
Die Leere ist ein Faden und geht auch durch die Spiegel hindurch.

Die Spinne spinnt draußen ihr Netz.
Sogar in diesem Tropfen: tausend Spiegel – und nichts!

© Volker Sielaff
from: Glossar des Prinzen
luxbooks, 2015
Audio production: Haus für Poesie / 2017

Narcissus thinks it over and starts again

english

Don’t worry, I won’t disappear into the mirror.
Don’t worry, I won’t step out of the mirror.
Nor will I fall for my own reflection,
I have none: the mirror is empty whenever I gaze into it.

All things in this room pass through all mirrors.
without anyone at all rejecting them, without anyone at all holding them
back.

The void is a thread and passes through the mirror as well.

Outside, the spider spins its web.
Even in these droplets: a thousand mirrors – and nothing!

Translated by Bradley Schmidt

Das Weltall ist ein großer Wald in dem die Angst keine Ohren hat

german | Volker Sielaff

Ich stehe allein auf einer Lichtung und starre die Lupinen an
wie eine Gotteserscheinung.
Ihr müsst mir keine Sprache eintrichtern, ich sehe ganz von selbst!
Anaximenes glaubte, dass die Götter aus der Luft zu uns kommen.
Auf einem gekrümmten Blatt schweben die göttlichen Heerscharen herab.
Der Wald beginnt zu glänzen wie ein pausbäckiger Apfel.
Das leise Knacken im Unterholz, und meine Adern gegen die Sonne
gehalten.
Meine Nichtangst gegen die Sonne gehalten, ein großer Kürbis. 
Quelle bin ich, die Rehe sollen aus mir trinken.
Meine ehrgeizige Sprache wird das Schweigen der Lupinen sein.
Ich könnte dich mit in den Wald nehmen, um dir die Angst von der Haut
zu schälen,
bevor die Sonne uns beide austrocknet.
Den Wald gibt es nicht, das Es und das Ich gibt es nicht. 
Aber jetzt stehe ich auf dieser Lichtung und starre die Lupinen an,
ihr utopisches Dekor.   
Wenn ich auf den Baum klettere,
kann ich das Zittern eines Mückenflügels hören.

© Volker Sielaff
from: Glossar des Prinzen
luxbooks, 2015
Audio production: Haus für Poesie / 2017

The universe is a large forest where fear has no ears

english

I stand alone in a clearing and stare at the lupines
like an apparition of God.
You don’t have to force a language on me, I can see for myself!
Anaximenes believed that the gods come to us from the air.
The holy hosts float down on a curved leaf.
The forest begins to shine like a plump apple.
The quiet snapping in the undergrowth, and my veins held against
the sun.
My non-fear held against the sun, a large pumpkin.
I am a spring, the deer shall drink from me.
My ambitious language will become the silence of the lupines.
I could take you into the forest to peel the fear from your
skin,
before the sun causes us both to wither.
There is no forest, there is no Id and Ego.
But now I stand in this clearing and stare at the lupines,
their utopian décor.
When I climb the tree,
I can hear the trembling of a mosquito’s wing.

Translated by Bradley Schmidt

ich lebe in einem wasserturm am meer, was albern ist (Auswahl)

german | Carl-Christian Elze

die kampfflieger über den klippen sind ein schönes paar
sie fliegen langsam, was nicht leicht ist, ihre bäuche blitzen.
ich habe mich schwindlig gerieben letzte nacht & schmutzig.
ich kann keine schwäne mehr sehen, diese köchinnenhälse.
ich liebe dich längst, weil mein kampfflieger abgestürzt ist.
er flog viel zu langsam am meer & die strömung riss ab.
man kann auch in den wellen seine knochen verlieren.
manchmal bin ich schön, wenn der mond blutig aufgeht.
in den taschen trag ich ausgestorbene tiere mit mir herum.
eines tages werde ich auferstehen mit der macht einer wolke.

*

ich habe eine kraft, die nach zwei seiten ausschlägt.
ich habe die kraft, still zu sitzen & mir den kopf abzudrehn
ihn zu verlieren wie ein taschentuch, das nur knittert.
& ich habe die kraft, meinen kopf überall zu suchen
wo immer ich ihn verloren habe, ich finde ihn wieder
um ihn aufzufüllen mit irrlichternden gedanken.
manchmal nehme ich meinen kopf & verschenk ihn
mit allen juwelen, weil ich arm sein will, um zu lieben.
manchmal finde ich meinen kopf in einem blühenden busch
& frage ihn, ob er nun immer blühen will für mich.

*

ich hab noch nie in mir geruht. wie wär das schön.
da tobten stürme, ruhm & ehre, eitelkeiten im gewölk
& ich: ich sitze da & schau dem gras beim wachsen zu.
wie wär das gut, in sich zu ruhen, auf einem stuhl
zu sitzen wie.. ja wie denn nun?.. wie diese kröte.
ich denk, die kröte aus dem gartenteich hat innre ruh.
& auch der stuhl, auf dem sie sitzt mit meinem gesicht.
ich sitze da & schau zum gartenteich & hör ihm zu –
kleine blasen steigen von den goldnen fischen auf.
wie wär das gut, in sich zu ruhen. wie wär das leicht..

*

ich habe fickende fliegen im kopf
, ich habe so viele
fickende fliegen im kopf, alles brummt & legt kleine eier.
ich habe dinge zu regeln, wenn ich wieder im haus bin.
wie kann es sein, dass fickende fliegen in mich geraten?
das system muss offen sein. wie liebestoll ist dieses system?
& wenn es offen ist, kann ich mit dem kleinen finger hinein?
& reicht es aus, wenn ich nur einer einzigen fickenden fliege,
während sie fickt, mit dem kleinen finger übers rückenfell fahre
dass es knistert, um selber glücklich zu sein?, weil fickende fliegen
glücklich sind, so steht es geschrieben, & alles glück abstrahlt –

*

ich bin heut aufgewacht & war lebendig, einfach so.
bin nicht gestorben über nacht, bin noch ganz so
wie gestern spät, als ich das licht mit einem fingerdruck
auslöschte. weil ich so müd war & die augen fielen
wie zwei soldaten reglos ins gebüsch –
& bin doch aufgewacht, ein häufchen licht
das durch die zweige fiel & auf die umgestürzten beine.
alle zeilen wurden sanft erschreckt & durchgezählt
& ausgestreckt. jetzt steigt die herrschaft aus dem bett
wie kleine wolken. schwebt schritt vor schritt – fast mühelos.

*

ich habe karl roßmann gesehen, halb zwei in der frühe
im hotel occidental, hellwach, das messing blank im lift
wie nirgendwo in new york city. der fall robinson,
der cholerische oberkellner, der sadistische oberportier,
therese, die den koffer packt – alles ist noch ungeschehn.
karl fährt meinen kopf mit seinem lift aufs dach. ein frosch
mein kopf, der auf die leiter muss, wenn sich das wetter dreht
hier in amerika. ich habe karl wie meinen bruder lieb.
ich steh ja selbst hier in amerika, verrückt erwacht  
auf einem bein herum, auf einem dach, & heiße robinson.

*

warum verhält sich mein herz wie ein idiot?
weil es ein idiot ist, mein herz, von grund auf.
die idiotie meines herzens ist ein osterwunder.
es stirbt & steht auf, stirbt & steht auf & so fort.
manchmal klingt es von außen fast blechern.
dann weiß ich, eines tages stirbt es für immer.
ist mein herz auch idiotisch, so ist mein kopf
ein idiot vor dem herrn! dumm wie er ist
flüstert er meinem herzen & mir gewissheiten zu.
wie sträflich verhält sich dieser kopf, der nichts weiß!  

*

wir sind aufeinander gestimmt
, wir haben zeichen im blut
die abdrücke von zwei hufen, die beim gleichen schmied waren.
du kannst wegkriechen, aber welches halbe pferd kann springen?
wenn du so halb im sand liegst, verschmelzen wir wieder.
auch ich will weglaufen, weil wir wahnsinnig werden im schnee.
niemand, der uns sieht, ist auf die klebrigen fäden gefasst
die uns verbinden wie unterseeische kabel die kontinente.
ich werde ruhig, wenn wir im auto sitzen & fast einschlafen.
ich denke, wir sind ein tier mit zwei herzen & zwei augen.
wollen wir vernünftig sein, müssen wir zum schlachthof gehen.

*

immer denke ich an deine sommersprossen unterm kinn
die dort im schatten liegen – kleine hunde
auf deinen weißen augenschonern, deckelchen, deckchen
liegen sie auch. vielleicht auch mokkatassen, kleinste tässchen
die ganz reglos stehn. nur mit der zungenspitze
auszukosten. wie leicht verschwitzt das alles ungeheuer
mundet, duftet, still verwundert! angemalte gartenhäuschen.
läg ich im grab mit einer schnur an meiner hand
ich würde klingeln
für jede sommersprosse schrecklich klingeln!

*

heut hab ich mich getraut
. was ganz unmöglich schien.
nichts großes. nur hätte mir ein mensch heut früh gesagt:
du wirst dich trauen, ich hätte lachen müssen. & auch weinen.
heut hab ich mich getraut. was ganz unmöglich schien.
nichts großes. so klein, dass es mir nirgends aufgefallen ist
so versunken in mein nichttun. die tür geht auf
& jemand sagt: heut hast du dich getraut! was für ein tag!
heut hab ich mich getraut. was ganz unmöglich schien.
nichts großes. doch ist es ausgeströmt. bin nicht so tot
wie alle dachten. wie ich dachte. wie wir alle immer dachten.

© Carl-Christian Elze
from: ich lebe in einem wasserturm am meer, was albern ist
Wiesbaden: luxbooks, 2013
Audio production: Haus für Poesie / 2018

i have fucking flies in my head

english


translation of poem #4 of this cycle, see below





































i have fucking flies in my head, i have so many
fucking flies in my head, everything buzzes & lays little eggs.
i have things to take care of when i get back home.
how can it be that fucking flies have gotten into me?
the system must be open. how lovelorn is this system?
& if it’s open, can i just go in with my little finger?
& is it enough if i just touch a single fucking fly
while it fucks, run my little finger over its hairy back
so it rustles, enough to be happy myself? ’cause fucking flies
are happy, thus it is written, & all happiness rubs off.

 

Translated by Bradley Schmidt

Mozart

german | Thomas Rosenlöcher

Ein Tastengeklacker. Und rumms rumms die Treppe
stapft der Tod hoch. Doch der Kerl ist schon wieder
auf und davon über alle Oktaven,
dreht grinsend den Kopf im Triolengestöber.

Noch heute läuft der Tod durch Wien
und schlägt nach im Knöchelverzeichnis
und verkauft der ratlosen Fachwelt
den falschen Schädel als echt.

Doch wieder hört er den Unsterblichkeitstriller
und nimmt gleich den Fahrstuhl, den Falschen zu treffen,
der hier auch nur übte. Nicht traurig sein, Tod.
Kriegst ja sonst jeden, auch mich. – Lauf, da rennt er.

© Insel Verlag Berlin 2012
from: Hirschgefunkel. Gedichte
Berlin: Insel Verlag, 2012
ISBN: 978-3-458-19369-2
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin, 2013

Mozart

english

A clatter of keys. And death stomps thump
thump up the stairs. Yet once again the guy
is already up and away over all the octaves,
turning his head, grinning in the Tirolian flurry.

To this day, death walks through Vienna
and looks things up in the bone register
and convinces the clueless experts
that the fake skull is real.

Yet once again he hears the trill of immortality
and takes the elevator, meeting the false one,
who is also just practicing. Don’t be sad, death.
You’ll get everyone, even me. – Go, he’s running.

Translated by Bradley Schmidt

Der Hauskauf

german | Thomas Rosenlöcher

„Jetzt zeig ich Ihnen was Besondres“, sagte
der Makler und fuhr gleich durchs Hoftor, bis unter
den hoch übers eingesunkene Dach
blühenden Birnbaum. Hinterm Küchenfester
ein Teller, in dem der Löffel noch lag,
ein Bündel mit Briefen, die Brille, die jeder
einmal im Leben endgültig vergißt.
Im Schutt am Herd der Ahorn, der, im Tanz
ergrünend, seine durchscheinenden Blätter
zum Küchenschrank vorstreckte. „Wollten sie
nicht etwas Idyllisches?“ fragte der Makler
und gab mir den Schlüssel. Worauf ich prompt mit
der Tür ins Haus fiel. Jedoch je zaghafter
ich, ringsher von Kindheit und Plumpsklo umweht,
auftrat, desto existentieller das harsche
Ächzen der Stiege, nachkrachend quittiert
vom Rummsfuß des Maklers. Oben in der Kammer
Blümchentapete, Waschschüssel, Nachtschrank.
Im Bett lag ein Toter und schaute mich an.
Im kalkweißen Antlitz das imperiale
Kinn wackelte plötzlich, der schrumplige Mund
begann sich zu äußern: „Das wird aber Zeit,
daß ihr mich besucht, Jungs.“ Anhaltendes Rumpeln
als Treppensturz deutbar. Der hinter mir her
hinkende Makler halbierte den Preis.

© Insel Verlag Frankfurt/Leipzig 2007
from: Flockenkarussell. Blüten-Engel-Schnee-Gedichte
Frankfurt/Leipzig: Insel Verlag, 2007
ISBN: 3-458-19296-4
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin, 2013

The Home Purchase

english

“Now I’m going to show you something special,” said
the realtor and led straight through the yard gate, until
beneath the blossoming pear tree high over
the sagging roof. Behind the kitchen window
a plate in which the spoon still lay,
a bundle with letters, the glasses that
everyone forgets once in life for good.
In the detritus at the stove the maple,
greening while dancing, its transparent leaves
stretching toward the kitchen cabinet. “Don’t
you want something idyllic?” asked the realtor
and gives me the keys. After which I promptly
barged straight in. Yet the more tentatively
I behaved, wafted by childhood and outhouse,
the more existential the harsh creaking
of the staircase, acknowledging the realtor’s
banging foot with a groan. Up in the chamber
flowery wallpaper, washing bowl, bedside table.
Someone dead lay in bed and looked at me.
In its chalky white countenance the imperial
chin suddenly shook, the wizened mouth began
to articulate: “Boys, it’s about time that you
visit me.” Prolonged thumping perceptible
as a fall down the stair. The realtor
limping behind me cut the price in half.

Translated by Bradley Schmidt

Der Engel mit der Eisenbahnermütze

german | Thomas Rosenlöcher

Er steht im Schnee, wo alle Züge enden.
Und zählt die Toten, die man, Stück für Stück,
an ihm vorüberträgt, von links nach rechts.

Doch schon bei sieben weiß er nicht mehr weiter.

Daß man die Toten, die von links nach rechts
an ihm vorbeigetragen worden waren,
erneut vorüberträgt, von rechts nach links.

Doch schon bei sieben weiß er nicht mehr weiter.

So zählt er immer noch am letzten Krieg,
obwohl der nächste schon gesichert ist
und wieder Tote angeliefert werden.

© Insel Verlag Frankfurt/Leipzig 2007
from: Flockenkarussell. Blüten-Engel-Schnee-Gedichte
Frankfurt/Leipzig: Insel Verlag, 2007
ISBN: 3-458-19296-4
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin, 2013

The Angel with the Train Conductor’s Hat

english

He’s standing in the snow, where all the trains end.
And one by one, is counting the dead that
are carried past him, from left to right.

Yet by seven already he’s at a loss.

That the dead that had been carried past him,
from left to right, were once again carried
past, from right to left.

Yet by seven already he’s at a loss.

So he’s still counting through the last war,
although the next is already assured
and the dead are being delivered again.

Translated by Bradley Schmidt

Der Besuch der Schwiegermutter

german | Thomas Rosenlöcher

Das hab ich bei Überdübel gekauft.
Ja, Nappi ist billiger. Ehrlich gesagt.
Allerdings. Immerhin. Teils, teils.
Bloß keinen Kerl mehr ins Haus.
Am Tittisee. Allein der Name.
Der ganze Bus hat gelacht.
War früher auch lustiger bei euch.
Gibts hier kein Rollwoll Kaufhaus?
Wolln alle dasselbe, die Kerle.
Die Socken gewaschen. Das wars.
Obwohl. Na ja. Klappt vielleicht noch.
Was guckst du so, Schwiegersohn?
Schreib mal ein Gedicht über mich.
Nein, nicht von Goethe. Was Schönes.
Hätte so gern wieder einmal gelacht.

© Insel Verlag Berlin 2012
from: Hirschgefunkel. Gedichte
Berlin: Insel Verlag, 2012
ISBN: 978-3-458-19369-2
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin, 2013

The Mother-in-law’s Visit

english

I bought that at Super-Duper DIY.
Yes, Chappi is cheaper. Honestly.
Certainly. But still. More or less.
Just not a man in the house again.
At Titti Lake. The name alone.
The whole bus had laughed.
Used to be more amusing with you.
No Rolliwooli department store here?
They all want the same thing, the men.
Washed the socks. That’s it.
Although. Well. Maybe it’ll work out.
What’s that look for, son-in-law?
Write a poem about me for once.
No, not by Goethe. Something nice.
Love to laugh like that again.

Translated by Bradley Schmidt

Wie sich die Luftblasen aus den Ölen stießen

german | Claudia Gabler

Wie sich die Luftblasen aus den Ölen stießen und keiner

wußte, wohin mit dieser geilen Hand. Wir wollten nur


Zuschauer sein, redeten aber über die Hitze. Wie kokett,

einfach auf die Erfrischung im Garten hinzuweisen


oder die deutschen Hecken (es war halt der Nachbargarten).

Wie wir mit Badelatschen auf die Terrasse traten.


Die knallroten Kirschen, in die die Amseln pickten

im Schatten der Eichen, das hielt keinem Augenblick stand.


Wieviel Plastik mußte also noch schmelzen, bis das Areal

endlich abgeriegelt wurde? In wievielen Sprachen


konnte man zählen, was hier in die Sonne lief? Wir suchten

dann in den versteckten Winkeln der gefährlich dicht


angrenzenden Ateliers alle Mappen und Gläser als Schutz

vor ihren Zungen. Daß du Talent hast, haben wir immer


gewußt, aber ob es Menschen waren, die sich in diese Gegend

verrannten? Die Panik der Anwohner zeigte sich


in ihrem Zigarettenkonsum (dabei war es nur ein Warenlager,

das hier in Flammen stand). Sie vergaßen die Jacken


und Mützen in ihren Wohnungen die Tütchen mit

den Pigmenten tanzten in der Luft als hätten sie kein Gewicht.

© Claudia Gabler
from: Die kleinen Raubtiere unter ihrem Pelz
Aachen: Rimbaud Verlag, 2008
Audio production: Haus für Poesie, 2017

How the air bubbles emerge from the oils

english

How the air bubbles emerge from the oils and no one

knew where to put that horny hand. We just wanted


spectator, but talked about the heat. How coy to

simply refer to the refreshment in the garden


or the German hedges (it was just only the neighbor’s garden).

How we stepped onto the patio with flip-flops.


The bright red cherries the blackbirds picked away at

in the shadow of the oaks, it could resist a single moment.


So how much plastic still has to melt till the compound

is finally shut down? How many languages could you


use to count where went into the sun here? Then we

searched in the hidden corners of the dangerously close


adjacent atelier for all the portfolios and glasses as protection

against their tongues. We always knew that you have talent, but


whether those were humans who ran around in that

area? The denizens’ panic was demonstrated in their


consumption of cigarettes (even though it was just a warehouse

here that was in flames). They forgot their jackets and caps


in the apartments, the little packets with pigments

danced in the air as if they were weightless. 

Translated by Bradley Schmidt

Die heimischen Gärten hatten uns abgewiesen

german | Claudia Gabler

Die heimischen Gärten hatten uns abgewiesen,
auch die Blumen als unsere bisherigen Freunde waren jetzt abgetaucht.
Also entschieden wir uns für andere Städte,
maßgeblich waren dafür allein ihre Soundqualitäten.
–––
Die neuen Pools löschten kurzfristig unseren Duschwasserdurst,
doch vor Insekten schützte die grüne Grenze nicht.
Auch nicht vor wilderen Tieren.
Die Nachbarn waren echte Gefühlsterroristen.
–––
Wir selbst klagten über Bärengeräusche
und wurden ganz nebenbei zu unseren ärgsten Feinden.
Unser frühzeitiges Summen lag jetzt über den neuen Gärten wie eine Provinzsymphonie.
Doch wieder einmal war es das Wasser, das Rettung bot.
–––
Thermalquellen und die in ihnen zelebrierte, irgendwie zarische Lebenslust
verhinderten Schußwaffengebrauch. Ganz plötzlich waren wir heiter.
Wenn uns auch Pelzwaren umzäumten und wir deutlich wußten:
Hier bellt ein sibirischer Hund.

© Claudia Gabler
from: Wohlstandshasen
Angermünde: Horlemann Verlag, LYRIKPAPYRI, 2015
Audio production: Haus für Poesie, 2017

Our own gardens had rejected us

english

Our own gardens had rejected us,
even the flowers had now disappeared as our previous friends.
So we cast our lot with other cities,
their sound qualities were decisive.
–––
The new pools quickly quenched our shower water thirst,
but the green border doesn’t protect against insects.
Not even against wilder animals.
The neighbors were true emotional terrorists.
–––
We ourselves complain about bear noises
and became our arch rivals by accident.
Our premature humming now lay draped over the new gardens like a provincial symphony.
Yet once again it was the water that offered rescue.
–––
Thermal springs and those who celebrated them, somehow a czar’s zest for life
prevented the use of firearms. We were very suddenly jolly.
When we were even fenced in with luxurious furs and we clearly knew:
a Siberian dog is barking here.  

Translated by Bradley Schmidt

Wir wuchsen in Schafstrukturen

german | Claudia Gabler

Wir wuchsen in Schafstrukturen.
Die anschließenden Nachbarn stießen an ihre floralen Grenzen.
Zwischen den Halmen primäre Eier, aufgeblasen als Wohlstandshasen.
Hüte, Stickereien aus Gold und immer wieder: ein erster Eames.
Soviel Pomp lud zum Verweilen ein.
–––
Mittlerweile waren wir hart,
badeten stundenlang in einem Pool
aus gut aussehenden Lymphforschern.
Manche kamen aus rein kontemplativen Gründen hierher,
sie mußten sich ausweisen mit gültigen Viren.
–––
Die Optik von Sonne und Haaren im Gras
hatte eindeutig Lebendcharakter für viele Besucher.
Hier konnten Partnerschaften geschlossen werden als Beginn von Zoonosen.
Ein Leben im Q–Fieber.
Viele brachten Grillware aus labialer Dankbarkeit.

© Horlemann Verlag
from: Wohlstandshasen
Angermünde: Horlemann Verlag, LYRIKPAPYRI, 2015
Audio production: Haus für Poesie, 2017

We grew in sheep structures

english

We grew in sheep structures.
The next door neighbors hit their floral limits.
Between the blades of primary eggs, blown up as affluent rabbits.
Hats, gold embroidery and again and again: a first Eames.
So much pomp invites you to linger.
–––
By now we were hard,
bathed for hours on end in a pool
of good-looking lymph researchers.
Some came here out of purely contemplative reasons,
they had to prove themselves with valid viruses.
–––
The vision of sun and hair in the grass
clearly had living character for many visitors.
Partnerships could be sealed as the start of a cross-species infection.
A life in Q-fever.
Many brought along grilled goods out of unhinged gratitude.

Translated by Bradley Schmidt

Liebst du die mikroskopischen Dosen von Sprühwasser

german | Claudia Gabler

Liebst du die mikroskopischen Dosen von Sprühwasser, 
die aus den Blüten der Städte ziehen,
die domestizieren
und uns von bukolischen Landschaften berichten,
die sie auf ihren Mobbingtouren gestreift haben werden,
die sich ausbreiten
in unseren Wannen voll Glück?
–––
Wir aber sind schon lang in die Gärten gezogen,
wo früher Mönche grasten, 
artgerecht und hungrig in ihrem Gesang.
Wir einst gewesenen Metro–Polneure.
Wenn wir Menschenkinder jetzt Schuhe anziehen,
finden wir manchmal Blasen darin. 
–––
Lieben sagst du,
sei die falsche Vokabel.

© Horlemann Verlag
from: Wohlstandshasen
Angermünde: Horlemann Verlag, LYRIKPAPYRI, 2015
Audio production: Haus für Poesie, 2017

Do you love the microscopic doses of spray

english

Do you love the microscopic doses of spray
that emanate from the flowers of the city
that domesticize
and tell us about bucolic landscapes
that they’ve passed on their bullying tours
that spread out
in our tubs full of happiness?
–––
But we’ve moved to the garden long ago
where monks used to graze,
humane and hungry in their chants.
We who were once metropreneurs.
When we put on the shoes of human children
we sometimes find blisters inside.
–––
Love, you say,
is the wrong word.

Translated by Bradley Schmidt

Ist wirklich alles durch Beatmung begründet?

german | Claudia Gabler

Ist wirklich alles durch Beatmung begründet? Und was alles
 zwischen der Erde und dir bleibt eigentlich unausgesprochen?
–––
Schau, es ist doch nicht nur lustig
 mit der Vollendung.
–––
Nun ist schon wieder eine Sekunde vergangen,
 in der du kein Gedicht geschrieben hast.
–––
Schau, wie Personen reden.
 Wie die Dinge reden.
–––
Schon glitzert die Künstlichkeit
 und raubt dir den einen oder anderen Stern.
–––
Nach dem du greifen wolltest,
wenn die Balkone gestrichen sind.

© Claudia Gabler
Audio production: Haus für Poesie, 2017

Is everything really built on breathing?

english

Is everything really built on breathing? And what all
remains unspoken between you and the earth?
–––
Look, it’s not just fun and games
with completion.
–––
Now yet another second has past
in which you haven’t written a poem.
–––
Look how the people talk.
How things talk.
–––
The artificiality already sparkles
and robs you one star or another.
–––
That you wanted to reach for
when the balconies are freshly painted.

Translated by Bradley Schmidt

ABOUT HORST JANSSEN / By Storytelling

german | Claudia Gabler

By Storytelling
will ich mit Knut nichts mehr zum tun ham!
Weisch, weischt:
–––
"Bei gestauter Geilheit"
sollen sich, so K., Spielzeug–Landschaften aufbauen
oder Gebäude nach Vorlage des B. (also B wie Kunst) (?)
–––
Ach ist doch wurscht: Nur in diesem Ton jedenfalls geht die Gunst!
Das Bild muss sich zum Hirn neigen,
gähnende Schluchten, Lichtreflexe. Natürlich,
–––
natürlich, natürlich und später:
Orgasmuas. Muass sein, weischt: Ohne Eruption
kann dir auch keine Locke aus der Mutter fahrn.
–––
Freundschaft also mit Knut?
Nee,
lass uns lieber noch n bißchen weiter fighten!

© Claudia Gabler
Audio production: Haus für Poesie, 2017

ABOUT HORST JANSSEN / By Storytelling

english

By Storytelling
I don’t want nothing to do with Knut!
Y‘know, y‘know:
–––
"With a head full of hormones"
you should, according to K., construct toy landscapes
or buildings in keeping with B.’s plans (B as in art) (?)
–––
Oh, it doesn’t matter: but the goodwill disappears with that style!
The picture has to bend toward the brain,
gaping chasms, light reflexes. Of course,
–––
of course, of course and later:
orgashas ‘em. Hasta be, y‘know: without eruption
you can’t get no plume pumped out of the mother.
–––
So become friends with Knut?
Nah,
let’s fight a little longer instead!

Translated by Bradley Schmidt

ABOUT HORST JANSSEN / Weißt du – weisch

german | Claudia Gabler

Weißt du – weisch –
was da unter uns
so schnurrt.  
–––
Das sind 186 heiße Rappen,
flüsterte er – auch wenn er  wusste,
dass wieder jemand sagen würde: DU NARR, DU
–––
MIT DEINEN TALENTEN!
MIT DEINER TÜCKISCHEN TAKTIK!
Doch wie tumm, tieses Tenken
–––
Von den Talenten. Weisch,
das ist einfach zu groß, einige Meere zu groß
für die durchschnittlichen Leut.
–––
Der Wein ist zum Leben  
und nicht zum Käse da und da hängt
Onkelchen Bilder auf, unter denen steht groß:
–––
Kunscht
oder Knuscht
oder Knutsch
–––
Mir doch den A* weg –
Weg ––––
bietet grad keine Taste an. 

© Claudia Gabler
Audio production: Haus für Poesie, 2017

ABOUT HORST JANSSEN / You Know – Y’know

english

You know – y‘know –
what’s purring
beneath us.
–––
That’s 186 blazing black horses,
he whispered – even though he knew
that someone would say again: YOU FOOL, YOU
–––
WTH YOUR TALENTS!
WITH YOUR TRECHEROUS TACTIC!
How half-vitted, vat a vaste 
–––
Of talents. Y’know
it’s simply too much, several bridges too far
for average folks.
–––
Wine is for living
and not for the cheese and then
good ol’ uncle hangs up pictures, with captions:
–––
arty
or farty
or party
–––
My a** off
–––– off
Doesn’t offer a button to push at the moment. 

Translated by Bradley Schmidt

ABOUT HORST JANSSEN / Gegen verfluchtes Chaos geheiligte Ordnung

german | Claudia Gabler

Gegen verfluchtes Chaos geheiligte Ordnung
geile Gesundheit – geht alles anders.
Geht eigentlich gar nicht –  
––––
bei soviel Dante / bei soviel Tante –  
(das versteht jetzt wieder keiner)
aber nicht jeder hat Eltern
–––
Die einen vom Saufen abhalten.
Von der Krankheit Kunst, von der man in jungen Jahren
evtl. noch hätte geheilt werden können.
–––
Doch wenn sich die Elite solo
vorm Spiegel bläht
verspricht sich nur der Küsster
–––
Sicherheit vom Marschhalten
und ein blaues Bild
von vermuteten Himmelreichen.  
–––
Der Neffe dagegen ertränkt seine tückische Intelligenz
und sein zufälliges Talent
in 300 Dosen billig Bier.

© Claudia Gabler
Audio production: Haus für Poesie, 2017

ABOUT HORST JANSSEN / Against cursed chaos sacred order

english

Against cursed chaos sacred order
horny health – everything works out differently.
Actually doesn’t work at all –
––––
with so much Dante / with so much forte – 
(yet another thing no one gets)
but not everyone has parents
–––
Who keep you from boozing.
From the artistic illness that you might have been
cured of in younger years.  
–––
But when the elite individually
puff up in front of the mirror,
only the coastal kisser promises
–––
himself security from marching on
and a blue picture
of presumed kingdoms of heaven.
–––
However, the nephew drowned his treacherous intelligence
and his fortuitous talent
in 300 cans of cheap beer.
 

Translated by Bradley Schmidt

ABOUT NEO RAUCH / Re:

german | Claudia Gabler

Hier wurde beinah alles gemessen,
was förmlich verwildert war. Selbst insolvente Farbflächen
–––
und unfertige Meteoriten fielen zum Feierabend ins Feld.
Dieses Bild hatte viele Räume mit einer einzigen Frage,
–––
doch ob das ein falsches Blau war, war von hier drüben
nicht abzuschätzen. Metropolen gewannen im Kurs, aber
–––
dann ging einer mit Metalldetektoren in den Wald.
Seine Absicht war rein religiös und ich sah,
–––
wie sich unsere hl. Ichs entspannten im Schatten
der Tannen, das Muster der Zapfen unter unseren Rücken, 
–––
der Takt der Depressionen und überall Nadeln 
unter unseren Füßen und in unseren Taschen überall Nadeln
–––
und schließlich das Rufen der Hirsche nach Schlaf. 

© Claudia Gabler
Audio production: Haus für Poesie, 2017

ABOUT NEO RAUCH / Re:

english

Nearly everything here was measured,
was literally overgrown.  Even countless fields of color
–––
and unfinished meteorites fell to the field at the close of the day.
This picture had many rooms with a single question,
–––
yet it couldn’t be judged from here, whether that was
an off hue of blue. Metropolises gained currency, but
–––
then someone went into the woods with metal detectors.
His intentions were purely religious and I saw
–––
how our saintly egos relaxed in the shade
of the pines, the pattern of the cones under our backs,
–––
the cadence of depressions and needles everywhere
under our feet and in our pockets, needles everywhere
–––
and finally the stag’s call for sleep.

Translated by Bradley Schmidt

ABOUT NEO RAUCH / Periphere Zuneigung zu New York

german | Claudia Gabler

Im Moment der kleinen Schritte
ist es fortgeschrittene LIEBE,
sagte der Maler.
–––
Welch Gelegenheit!
Welch Chance,
welch Chance für weltumspannenden Applaus!
–––
Er wolle also, sagte der Maler,
einmal verzichten auf die großen Tore,
die sich öffnen für diese Kosmen von Traum und Gleichzeitigkeit.
–––
Stattdessen Sehschlitze,
Augenausschnitte,
Fragmente von wattierten, von schattigen Welten.
–––
Als Motivlage für Bilder,
die kleiner als üblich ihre Tests machten
in den kühlen Kreisen der Botanik.
–––
Und eigentlich Raum brauchen
für die fatalen Folgen,
die auf sie folgen.

© Claudia Gabler
Audio production: Haus für Poesie, 2017

ABOUT NEO RAUCH / Peripheral Nod to New York

english

In that moment of baby steps
it’s full-grown LOVE,
the painter said.
–––
What an opportunity!
What a chance,
what a chance for all-encompassing applause!
–––
So the painter said he wanted
to do with the gates just for once
that open for these universes of dream and simultaneity.
–––
Eye slits instead,
snippets of eyes,
fragments of wadded, shaded words.
–––
As motivation for pictures
that carried out their tests, smaller than usual,
in the cool climes of botany.
–––
And actually needing space
for the fatal consequences
of what follows.

Translated by Bradley Schmidt

[Aalmutter fang an dann rede ich.]

german | Kerstin Preiwuß

Aalmutter fang an dann rede ich.
Ich spreche nicht nützlich.
Ich sage zum Spindelgesicht
dein Auge sticht dreht sich nicht.
Ich habe kein Gespür für mich selbst
aber ein Gespür für Licht.
Ich bin ich auf der Welt.
Das zu sagen bedeutet nichts.
Lies mich Text webt der Knecht.
Spinne seilt sich ab.
Die Worte die ich denke hören mich vibrieren.
Ich sage Aalmutter fang an zu zittern.
Ich zitier dich dann.

© Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2016
from: Gespür für Licht. Gedichte
Berlin: Berlin Verlag, 2016
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin, 2013

[Mother eel begin, then I’ll speak my piece]

english

Mother eel begin, then I’ll speak my piece.
I don’t speak helpfully.
I say to the spindle face
your eye doesn’t spin, just pricks.
I don’t have a sense of myself
but a sense of light.
I am myself in the world.
Saying that is meaningless.
Read me text, the spider weaves.
The spider slinks down the thread.
The words I think hear me jitter
Mother eel, I say, begin to quiver.
I’ll quote you then.

Translated by Bradley Schmidt

[Bin leer in mir ein Gefäß innen]

german | Kerstin Preiwuß

Bin leer in mir ein Gefäß innen
und außen Material aus Welt.
Osmose ausgeschnitten
heißt erkennen was man schon weiß.
Als sähe man durch Glas.
Halbvoll zuerst halbleer danach
offen gegenüber dem Spiel.
Wer hilft mir dagegenzuschlagen.
Hell glockt die Welt gegen das Glas.
Ich glotte mit vibriere ihr nach
bis in die tiefste Tiefe die ich finden kann.
Dort halten wir an.

© Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2016
from: Gespür für Licht. Gedichte
Berlin: Berlin Verlag, 2016
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin, 2013

[Am empty in myself, a vessel inside]

english

Am empty in myself, a vessel inside
and outside World material.
Osmosis, cut out
means recognizing what you already know
as if seeing through a glass.
Half-full at first then half-empty
open toward the Game.
Who’ll help me pound against it.
The world tolls brightly against the glass.
I glot along, vibrate in response
till I can find it in the deepest depths.
There we stop.

Translated by Bradley Schmidt

[ich will was durch meinen mund flattert]

german | Kerstin Preiwuß

Ich will was durch meinen Mund flattert
nicht aussprechen auch nicht anschreien
denn dann ist es in der Welt.
Es bleibt wo es ist und zahnt blind aus dem Gaumen.
Wie ein Kind wenn es wächst.
Dort ist sein Rachen.
Wie wenn ich lache.
Ich will aus Licht und Schatten
keinen Umriss mehr machen
wie bei einem Scherenschnitt.
Ich will weder jagen gehen noch Jagdwild sein.
Ich verzehre mich nicht.
Keinen Happen von mir.
Keinen Happen für mich.
Ich hab nichts übrig dafür.
Es bleibt alles in mir wie es ist.
Und kehrt in die Erde zurück.
Wie wenn ein Blitzschlag mich trifft.
Und nur manchmal ist mir kalt.

© Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2016
from: Gespür für Licht. Gedichte
Berlin: Berlin Verlag, 2016
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin, 2013
Der Tonaufnahme liegt eine frühere Textfassung zugrunde.

[I don’t want to utter what flutters]

english

I don’t want to utter what flutters
through my mouth or yell it out
because then it’s in the world.
It stays where it is and teethes its gums blind.
Like a child in a growth spurt.
There’s its throat.
Like when I laugh.
I no longer want to make silhouettes
out of light and shadows.
Like with a paper cutting.
I want to neither be the hunter nor be the hunted.
I do not consume myself.
No morsels of me.
No morsels for me.
I have no love lost on it.
Everything inside me remains
as is and returns to earth.
As if lightning hit me.
And I only sometimes feel cold.

Translated by Bradley Schmidt

[Habt ihr meinen Fisch gesehen?]

german | Kerstin Preiwuß

Habt ihr meinen Fisch gesehen?
Er wurde von einem Kraken gejagt.
Der hatte Tentakeln wie ich Finger an jeder Hand.
Vielleicht hat er meinen Fisch mumifi ziert.
Vielleicht sitz ich im Bauch des Fischs.
Vielleicht hat es uns beide berührt.
Ich hielt mir einmal einen Trilobiten ans Ohr.
Er kroch langsam hinein.
Er war ganz behutsam dabei.
Und so sonor.
Er wäre lieber draußen geblieben.
Aber ich ließ ihn ein.
Später warf ich einen Trilobiten aus meinem Ohr.
Er wäre lieber drinnen geblieben.
Aber ich schmiss ihn raus.
Ich sah ihm eine Weile zu wie er ratlos nach mir suchte.
Dann ging er langsam ein.
Noch später kam ein Fisch vorbei.
Er hatte sich verirrt.
Er war bleich und blind.
Er hatte keine Augen aber ein Gespür für Licht.
Mein drittes Auge sprach der Fisch
liegt hinter meiner Stirn.
Es erlaubt mir mich in völliger Dunkelheit zu befinden.
Nicht in äußerer Finsternis.
Ich bin ein Höhlenfisch.
Meine Wege gehen nach innen.
Ich kehre nicht zurück.
Wenn der Krake mich jagt
ist jeder Saugnapf ein Auge.
So sieht er sich satt.
Nachts wenn alle schlafen ist bei uns beiden Tag.

© Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2016
from: Gespür für Licht. Gedichte
Berlin: Berlin Verlag, 2016
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin, 2013
Der Tonaufnahme liegt eine frühere Textfassung zugrunde.

[Have you seen my fish?]

english

Have you seen my fish?
It was hunted by an octopus.
That had tentacles like I have fingers on every hand.
Maybe it mummified my fish.
Maybe I’m sitting in the belly of the fish.
Maybe the fish touched both of us.
I once held a trilobite to my ear.
It slowly crawled inside.
It was very careful all the while.
And so sonorous.
It would have preferred to stay outside.
But I let it inside.
I later threw a trilobite out of my ear.
It would have preferred to stay inside.
But I kicked it out.
I watched it a while as it searched for me, baffled.
Then it slowly perishes.
Later still a fish came by.
It had lost its bearings.
It was pale and blind.
It didn’t have eyes but a sense of light.
My third eye, the fish said
lies behind my forehead.
It lets me be in enveloping darkness.
Not in external gloominess.
I’m a cave fish.
My paths are lead deep inside.
I don’t return.
When the octopus hunts me
each of its suction cups is an eye.
This way he looks his fill.
At night, when everyone’s asleep, it’s day for us.

Translated by Bradley Schmidt

[Hab mich ausgesperrt]

german | Kerstin Preiwuß

Hab mich ausgesperrt.
Für einen Moment sage ich mir
der Winter steht vor der Tür.
Hab mich eingehüllt in ihn
und hör nicht mehr viel
von der Welt.
Ich schlaf in ihr.
Atme kaum dabei.
Im Traum esse ich süßen Brei.
Das ist fast zu viel.
Mein Pelz ist aus Dunkelheit.
Dunkelheit ist ein schönes Gefühl.
Nur im Winter werde ich alt.

© Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2016
from: Gespür für Licht. Gedichte
Berlin: Berlin Verlag, 2016
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin, 2013

[Locked myself out]

english

Locked myself out.
For a moment I tell myself
winter has arrived.
Wrapped myself inside
and don’t hear much more
from the world.
I sleep in it.
Barely breathing.
Dreaming, I eat sweet mush.
It’s almost too much.
My fur is made of darkness.
Darkness is a pleasant feeling.
I only grow older in the winter. 

Translated by Bradley Schmidt

[Das ist der Winter]

german | Kerstin Preiwuß

Das ist der Winter.
Jeder Baum ein Schneegesteck.
Jeder Ast eine Korallenhand.
Ein Blatt wie ein Löwenkopf
dreht sich leicht um ein Vogelnest.
Der Löwe lauert seinem Sternbild auf.
Ein Ast fährt die Krallen aus.
Schnee liegt auf allem.
Wind geht durch die Korallen.

© Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2016
from: Gespür für Licht. Gedichte
Berlin: Berlin Verlag, 2016
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin, 2013

[This is the winter]

english

This is the winter.
Every tree a snowy sprig.
Every branch a hand of coral.
A leaf like a lion’s head
circling deftly around a bird’s nest.
The lion lies in wait for its sign.
A branch bares its claws.
Snow draped over everything.
Wind wafts through the corals.

Translated by Bradley Schmidt

[Außen ist Welt immer das ganz Nahe]

german | Kerstin Preiwuß

Außen ist Welt immer das ganz Nahe.
Der Kater blickt gelb.
Der Schnabel des Vogels ist aus Horn.
Sein Auge eine blaue Höhle.
Der Rest verfällt.
Morgens riecht das Gras immer frisch.
Ich bewege mich so lange nicht
durch den Mückenschwarm
bis ich ihn einatmen kann.
Lasst alle Tiere über mich kommen.
Welt ist immer so.

© Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2016
from: Gespür für Licht. Gedichte
Berlin: Berlin Verlag, 2016
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin, 2013
Der Tonaufnahme liegt eine frühere Textfassung zugrunde.

[Outside World is always close by]

english

Outside World is always close by
The tomcat gazes yellow.
The bird’s beak is made of horn.
Its eyes a blue cave.
The rest decays.
The grass is always fresh in the morning.
I don’t move at all
until I can breathe through
the swarm of mosquitos.
Let the animals come over me.
World is always this way.

Translated by Bradley Schmidt

[Wird die Unruhe mich nicht erreichen]

german | Kerstin Preiwuß

Wird die Unruhe mich nicht erreichen.
Werde ich still sein dabei wird es wachsen.
Wird es mich nach und nach einnehmen.
Kaum zu fassen Flimmerhärchen überall auch innen.
Sonarblindes Samtgeräusch dehnt sich zum Umriss.
Ich bin da widerhallt mein Kind.
Bin nicht mehr auf mich selbst zurückgeworfen.
Gleichmütig bin ich glücklich geworden.
Das ist sein und mein Gedeihen.
Atme ich atmet es mir nach.
Etwas später als ich wacht es auf.
Öffne ich mich zieht es aus.

© Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2016
from: Gespür für Licht. Gedichte
Berlin: Berlin Verlag, 2016
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin, 2013
Der Tonaufnahme liegt eine frühere Textfassung zugrunde.

[Will the qualms not reach me]

english

Will the qualms not reach me.
Will I be calm will they grow.
Will they consume me, little by little.
Barely perceptible
cilia everywhere, even inside.
Sonar blind velvet sound expands into a shadow.
I’m here, my child echoes.
I’m no longer solely reliant on myself.
Languorous I’ve become happy.
The flourishing belongs to it and me.
When I breath, it breathes after me.
It awakes slightly later than me.
When I open up, it goes astray.

Translated by Bradley Schmidt

[Die Wölfin trägt mich am Nacken durch die Welt]

german | Kerstin Preiwuß

Die Wölfin trägt mich am Nacken durch die Welt.
Immer häng ich von ihr ab.
Ich beiß mir später in den Arm für das Gefühl.
Denk mir das ist ihr rohes Geschlecht
wie es sich ums Eigene legt.
Die Wölfin wirft blind.
Ich bin ein Teil vom Wurf.
Seitdem grenzenlos.
Das ist nur ein Bild das sich nach der Erfahrung einstellt.
Wie die Spur die ein Abdruck ihrer Pfote hinterlässt.
Man sieht nur ihr Gewicht.
Was sie trägt sieht man nicht.

© Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2016
from: Gespür für Licht. Gedichte
Berlin: Berlin Verlag, 2016
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin, 2013
Der Tonaufnahme liegt eine frühere Textfassung zugrunde.

[The she wolf carries me through the world by the scruff of my neck]

english

The she wolf carries me through the world by the scruff of my neck.
I’m always depending on her.
Later I’ll bite my arm for that feeling.
Think to myself that it’s her raw sex
as it wraps around itself.
The mother wolf bears easily
I’m a part of the litter.
Unlimited since then.
That is just an image adjusting according to experience.
Like the tracks leave an impression of her paws.
You only see her weight.
You don’t see what she carries.

Translated by Bradley Schmidt

[Die Windsbraut schläft in mir]

german | Kerstin Preiwuß

Die Windsbraut schläft in mir.
Ein schaukelndes Embryo in jeder Ohrmuschel.
Wie beruhigt mich dass sie sich bewegt.
Ich bin gut aufgehoben egal was in mir tobt.
Die Windsbraut hat sich in mein Ohr gelegt.
Übers Jahr ist es umgekehrt.
Der Wind schläft draußen mit mir.
Der Wind ist draußen.
Ich bin allein.
So klingt Verlassenheit.
Ich weiß dass das ein Mythos ist.
Was in mir tobt bin ich.

© Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2016
from: Gespür für Licht. Gedichte
Berlin: Berlin Verlag, 2016
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin, 2013

[The bride of the wind sleeps inside me]

english

The bride of the wind sleeps inside me.
The embryo rocking in each outer ear.
How I am calmed by her movement.
I am in good hands, regardless of what roils within me.
The bride of the wind has come to rest inside my outer ear.
It’s the opposite during the year’s passage.
The wind sleeps outside with me.
The wind is outside.
I am alone.
This is the sound of abandonment.
I know that it’s a myth.
What roils inside of me is me.

Translated by Bradley Schmidt

[eigentlich willst du nicht sehen, was da ist]

german | Lea Schneider

eigentlich willst du nicht sehen, was da ist, sondern wie das licht auf ihm liegt. ein notwendiger akt von schönheit, er schimmert im wasser. spiegelt sich in wunschmünzen ohne wechselkurs, einem projekt jenseits der näheren zukunft. alles kann gerettet werden: du kannst glücklich sein und recht damit haben. recht haben ist, natürlich, das problem: der impuls, alles in den mund zu stecken, was du anders nicht verstehst, und die finger in den himmel, luftwurzeln über demselben gras. sie wachsen aus deinen taschen, wachsen an zu einer hoffnung, einem geflecht oder knäuel in hypertropher umgebung. das perfekte setting für schöpfungsmythen: wie es wäre, wenn es nicht anders wäre. nicht pflanze, nicht tier. aber immer schon da: ein uraltes lebewesen mit mehr als acht quadratkilometern ausdehnung, glücklich und eiweißhaltig, punktuell sichtbar.

© Verlagshaus Berlin
from: Invasion rückwärts
Verlagshaus Berlin, 2014
Audio production: Haus für Poesie / 2016

[you don't actually want to see what's there]

english

you don’t actually want to see what’s there, just how the light falls upon it. an essential act of beauty, shimmering on the water. reflecting on the wishing coins without an exchange rate, on a project beyond the near future. everything can be saved: you can be happy and right about it. naturally, being right is the problem: the impulse to put everything in your mouth that you don’t understand, and your fingers in the air, aerial roots over the same grass. they grow out of your pockets, grow into a hope, a mesh, or bundle in a hypertrophic environment. the perfect setting for creation myths: what would it be like if it wasn’t already something else. not plant, not animal. but always already there: an ancient creature stretching to more than eight square kilometers, happy and albuminous, visible here and there.

Translated by Bradley Schmidt

[die zikaden sind schon wieder beim refrain]

german | Lea Schneider

die zikaden sind schon wieder beim refrain. vielleicht haben sie erkannt, dass jede aussage als zutreffend akzeptiert wird, wenn man sie oft genug wiederholt. erzähl das also weiter: dass es schön war und ein wenig dumm. hättest du etwa abgelehnt? viele ideen sind ja gut, wenn man sie grade hat, sie dauern dann bloß länger als gedacht. ein dilemma, das der kölner dom und der dialektische materialismus gemeinsam haben. das macht sie aber nicht zwangsläufig schlecht, weswegen wir an dieser stelle vielleicht auch einfach weitermachen sollten. die geschichte gibt uns recht, wir müssen sie nur erzählen. verlassen wir darum den balkon und gehen an den zikaden vorbei zum parkplatz des intermarché, wo die neue ordnung gestalt annimmt. es ist wie frühling, nur dass es sich viel besser hält: eine situation, die wir im nachhinein als großartig, aber irgendwie daneben beschreiben werden.

© Verlagshaus Berlin
from: Invasion rückwärts
Verlagshaus Berlin, 2014
Audio production: Haus für Poesie / 2016

[once again, the cicadas have returned to the refrain]

english

once again, the cicadas have returned to the refrain. maybe they’ve realized that every statement will be accepted as accurate if it’s repeated often enough. so pass it on: that it was pleasant and a little dumb. would you have declined? most ideas are good when you have them, but then they just need longer than planned. a dilemma shared in equal parts by the cologne cathedral and dialectical materialism. it doesn’t automatically make them bad, though, which is why we should maybe just carry on at this point. history proves us right, it just needs telling. so let’s leave the balcony and walk past the cicadas, past the intermarché parking lot, where the new order is taking shape. it’s like springtime, just that it keeps much better: a situation that we will, in retrospect, describe as fabulous, but somehow off.

Translated by Bradley Schmidt

[vollversammlung]

german | Lea Schneider

vollversammlung. die berge ziehen sich zusammen, ziehen sich zurück. fläche wird frei, widerspenstig. wie urlaub an einem ort, an dem man eigentlich gar nichts macht, auch nicht urlaub, weil der ort so beschaffen ist, dass man das, was man normalerweise machen würde, nicht machen kann. oder sich zumindest nicht sicher ist, ob das angemessen wäre. die umgebung ist zerklüftet und hell; hell genug, dass man direkt ins hirn schauen kann. wir stehen im spotlight: batman schaut auf uns herab. selbst von seinem hirn kann man noch teile erahnen, wenn auch keine zuverlässige aussage darüber treffen. die debatte beginnt. es bilden sich lager, und schon nach wenigen stunden ist die gruppe zerfallen, vereinzelt wie die auseinandergefummelten flecken eines tarnanzugs. wenn sich zufällig doch mal drei oder mehr von uns treffen, werden sie sofort unsichtbar. man kann dann nur noch hören, wie mindestens drei stimmen ein referendum verlesen, das den urlaub für gescheitert erklärt.

© Verlagshaus Berlin
from: Invasion rückwärts
Verlagshaus Berlin, 2014
Audio production: Haus für Poesie / 2016

[plenary session]

english

plenary session. the mountains contract, retreat. surfaces become available, ornery. like vacation in a place where one actually doesn’t do anything, not even vacation, because the place is made in such a way that one can’t do what one would normally. or at least isn’t sure if it would be appropriate. the environment is craggy and radiant; radiant enough that one can look directly into the brain. we’re standing in the spotlight: batman looks down at us. even from his brain, one can in part sense, even if no reliable statements can be made. the debate begins. factions form, and the group dissolves within a few hours, each part isolated like the picked-out patches of a camouflage suit. the moment three or more gather by chance, they become invisible. then, one can only hear how at least three voices read a referendum aloud, declaring vacation a failure. 

Translated by Bradley Schmidt

[es ist nicht willkürlich, was wir tun]

german | Lea Schneider

es ist nicht willkürlich, was wir tun. aber was tun wir mit dem tod? ein beispiel des auslassens. was war vorher da? personen auf einer mauer, in der nähe eines sees, eine weile lang. du siehst die weile, von innen und von außen, kannst sie aber weder in die eine noch in die andere richtung verlassen. weil sie keinen beweis braucht: es ist nicht notwendig, dass du rausgehst und anderen davon erzählst. eine ohnehin kollektive erinnerung, wie der schatten des mückenschwarms am gegenüberliegenden ufer. er verändert sich mit der gleichen geschwindigkeit wie du, daher das gefühl von stillstand. aber die bewegung ist noch nicht vorbei: eine straße, die immer weiterführt, gefährlich nah an diese stelle, wo dein deal mit der landschaft ungültig wird. sie erfordert eine entschuldigung bei deinem schutzengel: war nicht so gemeint, ging bloß nicht anders.

© Verlagshaus Berlin
from: Invasion rückwärts
Verlagshaus Berlin, 2014
Audio production: Haus für Poesie / 2016

[what we do is no coincidence]

english

what we do is no coincidence. but what to do about death? an example of omission. what was there before? people on a wall, close to a lake, for a time. you see the time, from inside and out, but you can neither leave from the one direction or the other. it doesn’t need proof: it’s not necessary for you to go out and tell others about it. a memory that’s already collective, like the shadow of the swarm of mosquitos on the opposite shore. it changes at the same speed that you do, hence the feeling of stasis. but the movement is not over yet: a street that keeps on going, dangerously close to that spot where your deal with the landscape becomes negated. the negation demands an apology to your guardian angel: wasn’t meant that way, just couldn’t be avoided. 

Translated by Bradley Schmidt

[an manche ängste gewöhnt man sich. oblomophobie zum beispiel]

german | Lea Schneider

an manche ängste gewöhnt man sich. oblomophobie zum beispiel: die angst vor denken und tun. sie entsteht aus der erkenntnis, dass die meisten probleme sogar dann langweilig sind, wenn man sie selber hat. man kann daher nichts machen – was vielleicht funktioniert. vielleicht zwischen barocken fragestellungen (wie wirft man die schönsten falten, wie geht gegensätzlichkeit) ein bühnenbild bewohnen, stillleben mit sofa und schnaps. vielleicht mit gegrilltem dazu. vielleicht ist es eine grillparty, auf der er sich eröffnet, der zusammenhang von langeweile und wahrheit: die eine ist bedingung der anderen, und die stellen dazwischen hat man so lange nicht mehr geputzt, dass sie mittlerweile verwachsen sind: ein vollgestopfter kostümfundus, unseriös wie ein kaktus.

Chasing sheep is best left to shepherds. (Michael Nyman)

© Verlagshaus Berlin
from: Invasion rückwärts
Verlagshaus Berlin, 2014
Audio production: Haus für Poesie / 2016

[you get used to certain fears. oblomophobia, for example]

english

you get used to certain fears. oblomophobia, for example: the fear of thinking and acting. it arises from the knowledge that most problems are boring, even if you have them yourself. nothing can be done about it – which might just work. perhaps populate a stage between baroque postulates (how to cast the most beautiful folds, how does contradiction work), a still life with sofas and schnapps, perhaps with something grilled on the side. perhaps it’s a grill party where it will be revealed, the connection between boredom and truth: one is the prerequisite for the other, and the spaces in between haven’t been cleaned for so long that they’ve grown together by now: a wardrobe of costumes stuffed to the brim, as questionable as a cactus.

Chasing sheep is best left to shepherds. (Michael Nyman)

Translated by Bradley Schmidt

[die räder stehenlassen und der anderen person folgen]

german | Lea Schneider

die räder stehenlassen und der anderen person folgen. die macht auf hungerkünstlerin, streichelt ihren bart wie eine verirrte katze, eine kurze entfernung, in der sie verschwimmt. kräusel im wasser, brausetabletten. ist es so, dass jede bewegung einen stabilen punkt davor impliziert, oder fängt das früher an? wie der verdacht, jemand habe die falschen untertitel eingestellt und jetzt keine lust, nochmal zurück auf anfang zu spulen. kriegst das nicht auseinander. wie sie lacht, wenn sie stärker ist. efeu, wie die enden durchscheinen, wie es verwächst. isomorphie, sagt die andere person, welche form kannst du halten? wenn ich dich anfasse, hier, und dir nicht sage, wo das ist. die pronomen in der arm- beuge, schwimm rüber. keins davon kommt mit auf die rückseite deiner haare, die uferböschung hinauf.

© Verlagshaus Berlin
from: Invasion rückwärts
Verlagshaus Berlin, 2014
Audio production: Haus für Poesie / 2016

[leave the bikes and follow the other person]

english

leave the bikes and follow the other person. who’s acting like a hunger artist, stroking her beard like a confused cat, a short distance over which she goes blurry. swirls in water, fizzing vitamin tablets. does it hold true that every movement implies a previous stable point, or does it start further back? like the sneaking suspicion that someone had turned on the wrong subtitles and didn’t want to rewind back to the beginning. you can’t separate it. how she laughs when she’s stronger. ivy, how it shines through the leaves, how it grows invisible. isomorphia, the other person says, which form can you maintain? if i touch you, here, and don’t tell you where it is. the pronouns in your elbow, swim on over. none of them come along to the back of your hair, up the embankment.

Translated by Bradley Schmidt

[augen, babies, utopien, schmetterlinge]

german | Lea Schneider

augen, babies, utopien, schmetterlinge: die meiste angst habe ich vor sachen, die man leicht zerstören kann. die, wenn kaputt, sofort für immer sind. ihre verletzlichkeit ist ein problem der form, deshalb kann ich nichts daran ändern. es ist ärgerlich, dass das nicht geht. dass insgesamt so wenig großes stattfindet. ich muss niesen, um mir die zeit zu vertreiben, und fühle mich unterschätzt. als sei ich nur das seltene tier und nicht die umfassende abhandlung, die ein zoologe darüber geschrieben hat; nur eine diode und nicht der schaltplan. aber ohne abstraktion keine handlungsmacht. dabei bräuchte ich bloß genug autorität, um „liebe“ zu sagen. ein sehr großes risiko, das – aus anderen gründen – belohnt wird. das entweder wirklich alles zerstört (version: ewigkeit) oder alles repariert und einen stabilisator einbaut, ein upgrade, mit dem man es auch im alltag benutzen kann.

© Verlagshaus Berlin
from: Invasion rückwärts
Verlagshaus Berlin, 2014
Audio production: Haus für Poesie / 2016

[eyes, babies, utopias, butterflies]

english

eyes, babies, utopias, butterflies: what i’m most afraid of are things that can be easily destroyed. the kind that if they’re broken, then forever. their vulnerability is a problem of form, which is why i can’t do anything about it. it’s frustrating that i can’t. that so little large-scale generally happens. i have to sneeze to kill time, and feel underestimated. as if i were just a rare animal and not the comprehensive treatise that a zoologist had written about it; just a diode and not the circuit diagram. but no power to act without abstraction. although i’d just need enough authority to say “love”. a very large risk that will be rewarded – for other reasons. that either everything truly is destroyed (version: eternity) or everything repaired and a stabilizer built in, an upgrade with which it can also be used in everyday life.

Translated by Bradley Schmidt

[ich wiederhole mich]

german | Lea Schneider

ich wiederhole mich. irgendwo weiter vorn, wo sich der archetyp-modus eingeschaltet hat: weben, auftrennen, tausendundeine korrektur. zeit gewinnen, in der ich fäden lösen kann, die legosteine, plattenbauten, stück für stück auseinanderrupfen, die burg schleifen, abtragen bis zur hartplastikbasis, auf der sie steht, und dort ein schutzgebiet einrichten, standheizung inklusive. sofern meine sicherheit das braucht: wärmezufuhr. ein mittel zur fixierung, wie prittstift oder redundanz. die schachtelgeschichten bis auf schulterhöhe stapeln, dann sofort wieder rückgängig machen, unerfüllbarkeit als erweitertes kriterium ihres gelingens. worauf es ankommt: kein ende zu finden, sondern fehler im plot, die ich ausbauen kann. ein versteck im cliffhanger, im ständigen verweisen, vor und zurück.

© Verlagshaus Berlin
from: Invasion rückwärts
Verlagshaus Berlin, 2014
Audio production: Haus für Poesie / 2016

[i repeat myself]

english

i repeat myself. somewhere further on, where the archetype mode has switched on: weaving, unraveling, one thousand and one corrections. winning time in which i can unravel the threads, pull out the lego pieces, prefab buildings, piece for piece, whet the castle, scrape it down to the hard-plastic foundations it’s built upon, and establish a sanctuary there, pre-heating included. to the extent my safety would need it: heat supply. a means of attaching things, like with pritt sticks or redundancy. stacking the nesting stories at shoulder height, then immediately reversing course, unsatisfiability as expanded criteria of their success. what’s most important: finding no end, but instead a mistake in the plot that i can embellish. a hiding place in the cliffhanger, in continual references, back and forth.

Translated by Bradley Schmidt

[ziegen]

german | Lea Schneider

ziegen. es gibt sie hier überall, wie einen geruch, der aus dem boden kommt. zwischen ihren hörnern verstecken sie je ein schwarzes loch. an dieser stelle sind sie nicht besonders tief und können ohne offizielle genehmigung betrieben werden; man sollte sich ja auch nicht an fakten halten, wenn es nur so wenige davon gibt. die lokale bevölkerung weiß, wie man mit lücken umgeht, kapital aus ihnen schlägt: die futterbäume in der näheren umgebung wurden bereits von der vorletzten generation abgeerntet, daher das ziegenmonopol. wie jede etablierte ideologie legitimiert es sich durch das allgemeine vergessen seiner entstehung. die gegenwärtige situation entspricht also unveränderlich dem naturzustand, der eine lücke ist, die man mit ziegen füllt. einmal im jahr werden alle zusammengetrieben, ein großes erntefest für die materie, die sich in ihnen verfangen hat. ansonsten denkt man eher wenig darüber nach.

© Verlagshaus Berlin
from: Invasion rückwärts
Verlagshaus Berlin, 2014
Audio production: Haus für Poesie / 2016

[goats]

english

goats. they’re everywhere here, like a smell coming out of the ground. between their horns they each conceal a black hole. this is where they’re not particularly deep and can be operated without official permission; you shouldn’t just stick to the facts either when there are so few of them. the local population knows how to deal with gaps, capitalize them: all the feeding trees in the close vicinity were already harvested in the generation before last, thus the goat monopoly. like every established ideology, it legitimizes itself by its rise largely being forgotten. so the current situation continues to correspond to the natural state, which is a gap, which is filled with goats. once every year all of them are herded together, a large harvest festival for the material that had been caught up inside. otherwise people don’t give much thought to it.

Translated by Bradley Schmidt

[war himmel]

german | Ulrike Almut Sandig

war himmel, war boden, wir beide darauf,
dazwischen flogen die vögel im schwarm,
hoben auf, was uns festhielt, und senkten
sich wieder, hielt einer den abstand zum
anderen ein und lenkte unsere augen auf
sich: wob jeder an maschen aus eigenen
federn, zog seinen teil eines netzes herauf,
zu schützen uns vorm fall in den himmel,
der dunkelgrau war, weit weg und so starr.

© Ulrike Almut Sandig
from: Streumen
Leipzig: Connewitzer Verlagsbuchhandlung, 2007
Audio production: 2008 Literaturwerkstatt Berlin

[was sky]

english

was sky, was earth, both of us on it,
between them the birds flew in swarms,
lifted off, which held us there, and plunged
again, each bird kept its distance from the
others and drew our eyes towards
it: each wove a mesh made of own
feathers, each loomed its part of a net,
to protect us from falling into the sky,
which was dark gray, far away and so stark.

Translated by Bradley Schmidt

[war der tisch, war der stuhl]

german | Ulrike Almut Sandig

war der tisch, war der stuhl, saß ein kind
in der küche und aß, war es still auf dem flur,
ging niemand herum und zählte die eigenen
schritte, das fensterkreuz weißer als sonst
gegen abend, durchschnitten den hof kleine
tiere im flug und der staub lag am glas und
ein kind war sehr still und etwas, das einfiel 
im schlag, das heiß war im grund und sich
dunkelte, aufschlug, ein kind riss die augen
weit auf und konnte, es konnte nichts finden.

© Ulrike Almut Sandig
from: Streumen
Leipzig: Connewitzer Verlagsbuchhandlung, 2007
Audio production: 2008 Literaturwerkstatt Berlin

[was the table, was the chair]

english

was the table, was the chair, sat a child,
in the kitchen and ate, was it silent in the hall,
did no one wander around counting their own
steps, the window cross whiter than usual
around evening, small animals in flight
transected the yard and dust lay on the glass and
a child was very still and something occurred
in a flash, was hot at the base and darkened,
burst, a child opened its eyes
wide and couldn’t, it couldn’t find anything.

Translated by Bradley Schmidt

[VATER, HAST DU MIR EINEN TAGESRITT]

german | Thomas Kunst

VATER, HAST DU MIR EINEN TAGESRITT
Mitgebracht. Natürlich mein Junge. Aber
Keinen weiten. Er ist noch im Mantel. Was hat
Das zu bedeuten. Ich sah Mutter in eines dieser
Neuartigen Automobile steigen, bei denen eine
Beifahrerin nicht mit zur Serienausstattung
Gehört. Sie tat gerade so, als seist du der Fahrer.
Aber warum soll ich denn nicht der Fahrer
Gewesen sein, mein Junge. Sie hielt dem Fahrer
Ihren Ellenbogen an den Mundwinkel,
Und der hatte davon keine wesentlichen
Nachteile.

© Thomas Kunst
from: Der Schaum und die Zeichnung vom Pferd
Berlin: Kowalke & Co. Verlag, 1998
Audio production: 2006, M.Mechner / Literaturwerkstatt Berlin

[FATHER, HAVE YOU BROUGHT ME A DAY’S RIDE]

english

FATHER, HAVE YOU BROUGHT ME A
Day’s ride. Of course, my boy. But
Not a far one. It’s still in my coat. What does
That mean. I saw my mother getting into
One of these new cars where a female
Co-pilot is not part of the standard
Equipment. She acted as if you were not the driver.
But why should I have not been the driver,
My boy. She held out her elbow to the driver
At the corners of her mouth,
And he had no substantial disadvantage
From it.

Translated by Bradley Schmidt

[russenwald]

german | Ulrike Almut Sandig

russenwald war, worüber wir pfiffen, wohin
wir nicht gingen, wo bündel aus licht in höhe
der fichtkronen aufstiegen, rot, wo die asche
von kippen und verbogener stahl die gräben
bestrich an der grenze zum feld. am ortsrand
bewegten sich tische und etwas weckte uns
spät: es gab weiter hinten das ende vom weg.

betreten verboten vermintes gebiet / heide
fallbaum lichtung moosrand / krater rotwild
leere dörfer / backsteinhallen erika. es gab

panzerzüge, lkws, dunkelgrüne planen, drinnen
standen vierzig mann, die schauten nach hinten
in reihen heraus, alle köpfe rasiert. und es gab
diesen einen, der vier stunden stillstand, im juli
die hitze, auf der kreuzung allein, bis sie rollten
in dreißig maschinen vorbei, und er hebt seine

rechte: militär vorfahrt / bis staub und das bellen
von hunden und er sich nicht rührt / schmaler
junge abendrot / mittelstreifen grün. es gab sie

schon immer und manchmal brachen sie latten
vom zaun und schnitten den kohl auf und
schossen die hennen. wer satt war,
lief weiter zum fischteich, zur sonne, und tauschte
mit kindern abzeichen ein, rot und sichel gegen
freundschaft. wer das tat, kam lange nicht
        wieder. wir warteten umsonst.

© Ulrike Almut Sandig
from: Streumen
Leipzig: Connewitzer Verlagsbuchhandlung, 2007
Audio production: 2008 Literaturwerkstatt Berlin

[russian woods]

english

russian woods, what we hooted about, where
we didn’t go, where sheaves of light shot up to
the spruce crowns, red, where the ashes
from cigs and bent steel covered the ditches
along the field. on the outskirts of the village
tables moved and something woke us
late: further on was the end of the path.

no trespassing land mines / heath
barricade clearing moss fringe / crater red deer
empty villages / brick halls heather. there were

armored caravans, trucks, dark green tarps, inside
stood forty men, they gazed back
out in rows, all heads shaved. and there was
this one that stood still four hours, in july
in the heat, alone on the crossing, till it rolled
by in thirty machines, and he raised his right

arm: yield to military / till dust and the barking
of dogs and he doesn’t move / thin
boy sunset / median green. they’ve always

been here and sometimes broke slats
from the fence and sliced off cabbage and
shot the hens. whoever was sated
went on to the fish pond, to the sun, and swapped
badges with children, red and sickle for
friendship. whoever did that didn’t come back for
a long time. we waited in vain.

Translated by Bradley Schmidt

[meine heimat]

german | Ulrike Almut Sandig

ich habe die namen der großen vögel vergessen.
jeden juni fällt brut vom first einer scheune, die jetzt
leer steht. später im jahr stehen sie steif auf den feldern,
von der straße her flocken die kleider weiß aus, von weitem
riecht nach verscheuerten sträußen + stahl + geborstenem
gut von jenem gewitter am anderen tag: meine heimat.
in der heimat brechen sich namen an der scholle,
im wort: was dort angebaut wird, ist mir fremd.

© Ulrike Almut Sandig
from: Streumen
Leipzig: Connewitzer Verlagsbuchhandlung, 2007
Audio production: 2008 Literaturwerkstatt Berlin

[my heimat]

english

i have forgotten the names of the large birds
each june a brood falls from the ridge of a barn that now
stands empty. later in the year they stand stiffly on the fields,
from the street the coats curdled white, from a distance
smells of cheap bouquets + steel + possessions
affected by the storm the other day: my heimat
in the heimat names break on the soil’s ridge,
in a word: what is raised there i find strange.

Translated by Bradley Schmidt

[MEIN SCHULHEFT MIT ZWÖLF.]

german | Thomas Kunst

MEIN SCHULHEFT MIT ZWÖLF. Ein Aufsatz
Darüber, daß Mutter zu schnell größer
Geworden ist. Vormittag in der Badeanstalt.
Das Wasser ist dreckig. Das Umziehen dauert
Lange. Erst die Hose, das Hemd, die Strümpfe,
Das Unterhemd, dann der Bademantel mit
Gürtel, loser Knoten, angedeutete Schleife,
Runter das eine, die Badehose hoch,
Anständiges, fleckiges Weiß, die Mehrzahl der
Haare dort, wo sie nicht hinsollen.
Das Wasser lau. Auf ihre Art
Zufriedene Schwäne.

© Thomas Kunst
from: Der Schaum und die Zeichnung vom Pferd
Berlin: Kowalke & Co. Verlag, 1998
Audio production: 2006, M.Mechner / Literaturwerkstatt Berlin

[MY EXERCISE BOOK AT TWELVE.]

english

MY EXERCISE BOOK AT TWELVE. An essay
About how my mother has grown larger
Too quickly. Mornings at the public pool.
The water is dirty. Changing takes a
While. First the pants, the shirt, the socks,
The undershirt, the bath robe with
Belt, loose knot, bow hinted at,
Pulling on down, the bathing trunks up,
Decent, spotted white, most of my
Hair where they do not belong.
The water tepid. Swans satisfied
In their own way.

Translated by Bradley Schmidt

[fischen]

german | Ulrike Almut Sandig

mein käptn! / das schiffe versenken
im nachmittagstee, das wortkarge
falzen an der kante des esstischs,
die ecken auf ecken, steuermanns
sprüche, gefaltete hände, die seinen
auf meinen, der rechte daumen hielt
den andern gekreuzt. das fischen
nach sätzen, vermeiden von regen,
gemurmelten teilchen, glattstreichen
gedeckten papiers. ZU TISCH hieß
der klappernde löffel im glas, das
glitzernde drehen von zucker und
segen / wir trieben auf untiefen zu!

© Ulrike Almut Sandig
from: Streumen
Leipzig: Connewitzer Verlagsbuchhandlung, 2007
Audio production: 2008 Literaturwerkstatt Berlin

[fishing]

english

my cap’n! / sinking the ship
in the afternoon tea, the taciturn
creases on the edge of the table,
corners on corners, tillerman’s
talk, folded hands, his
enclosing mine, the right thumb
crossing the other. fishing
for phrases, steering clear
of rain, mumbled bits, smoothing
over covered paper. the clattering spoon
in the glass welcomes you: BE SEATED,
the glittering rotation of sugar and
blessing / we were drifting towards shoals!

Translated by Bradley Schmidt

[DER GRUNDGEDANKE VON NÄSSE.]

german | Thomas Kunst

DER GRUNDGEDANKE VON NÄSSE. Nach
Dem Bumsen werden die Tiere traurig. Die
Augen stumpf. Das Rückenmaterial
Verwahrlost, gelb und matt und salzig. Sie
Haben zuerst nur hinübergesehen. So kamen
Fell und Muskeln der anderen in der Ferne zu
Einem ungefährdeten Sieg. Hätten sie es doch
Bloß dabei bewenden lassen. Die Ferne gab es
Schon immer. Verwaschen. Hilflos. Viel später
Erst die flache Sauberkeit der Geographie. Wer
Nicht hinsah, bekam den Wind. Gelb und matt
Und salzig. Aber mit so etwas braucht man den
Tieren gar nicht erst kommen, daß Geographie
Jünger sein soll als Ferne. Sie achten schon von
Allein darauf, daß sie sich nur für solche Tiere
Interessieren, die ihnen schon von weitem den
Rücken zukehren, gelb und matt und salzig,
Nach dem Bumsen werden die Tiere traurig, sie
Zittern, sie wackeln, sie spielen auf die Seite
Legen, auch wenn es sich scheinbar nicht gleich
Rentiert, aber mit so etwas braucht man den
Tieren gar nicht erst kommen, sie bumsen, sind
Traurig, das Rückenmaterial verwahrlost, die
Augen stumpf, je nachdem, ob es einen Wind in
Dieser Höhe jemals gegeben hat.

© Thomas Kunst
from: Der Schaum und die Zeichnung vom Pferd
Berlin: Kowalke & Co. Verlag, 1998
Audio production: 2006, M.Mechner / Literaturwerkstatt Berlin

[THE BASIC IDEA OF MOISTURE]

english

THE BASIC IDEA OF MOISTURE. After
Humping animals are sad. Their
Eyes dull. Their coats worn
Out, yellow and matt and salty. At
First they just glanced over. That’s how
Fur and muscles of the others from far away
Achieved certain victory. If only they had
Just left it at that. Afar had always
existed. Blurred. Helpless. Only much
Later the flat cleanliness of geography. Whoever
Didn’t look caught the wind. Yellow and matt
And salty. But you don’t even have to think about
Telling that to the animals that geography
Is more recent than afar. On their own they
Just pay attention that they are only interested
In animals that turn away from them far
Away, yellow and matt and salty,
After humping animals are sad, they
Shiver, they shake, they play lying on their
Sides, even if it doesn’t seem to pay off right
Away, but you don’t even have to think about
Telling that to the animals, they hump, are
Sad, the coats worn down, the
Eyes dull, depending on if there had ever
Been a gust at that height.

Translated by Bradley Schmidt

[auf einem sinkenden schiff]

german | Ulrike Almut Sandig

auf diesen fluren verläuft es sich wie auf allen
sinkenden schiffen der geschichte: die physik
und das rechte sind ohne bedeutung für dich.
was zählt, ist dein eigener atem im laufen
und jenes, vergiss nicht, schild an der wand
(hier bin ich schon einmal gewesen), was zählt,
haben andere in schmalen gängen markiert,
die zeit ist dein eigener tritt auf beweglichem
boden (nach haus) und legenden von dem, was
sich unterhalb der korridore aufhält: metalle,
elektrik, erkaltetes wasser im dunkeln, im
fall, aber lass dich nicht halten, im zimmer
erwarten dich tisch, stuhl + bett + 1 fremder,
der über den selben weg herfand wie du. ihr
werdet da liegen und euch mit euren warmen
atemzügen gegen die vorrückenden wände
auflehnen, zeitgleich und hinter einem flur
der geschichte, auf einem sinkenden schiff.

© Ulrike Almut Sandig
from: Streumen
Leipzig: Connewitzer Verlagsbuchhandlung, 2007
Audio production: 2008 Literaturwerkstatt Berlin

[on a sinking ship]

english

in these halls it comes to pass as on all
sinking ships of history: physics
and morals mean nothing to you.
what counts is keeping your own breath going
and – don’t forget – that sign on the wall
(i’ve been here before), what counts
others have marked in the small aisles,
time is your own step on loose footing
(heading home) and legends about
what dwells beneath the corridor: metals,
electricity, water chilled in darkness,
falling, but don’t be held back, in the room
a table awaits you, a chair + a bed + 1 stranger,
who got here the same way as you did. you
will lie there and lean yourselves with your
warm breaths against the encroaching
walls, in unison and behind another
hallway of history, on a sinking ship.

Translated by Bradley Schmidt

[vom reden]

german | Ulrike Almut Sandig

dieser luftzug vom reden: verwachsene silben
auf dem boden der lungen, die zartgliedrigkeit
der serifen auf zungen, geruch nach feuchtem
papier. erzähl mir von eurasien, vom sauberen
SCHNITT des höhenzugs in unsrer verfrorenen

MITTE, ural, und von dem, was danach kommt,
diesem flugziel der vögel, wo man hütten baut
aus wellblech und teer, styropor, wo die ratten
im halbschlaf geschichten verzehren und flüsse
verdreckt sind von blumen und fleisch, wo man

spricht   und viel tee trinkt, wo man grüßt und
verstirbt   das eine ist immer das eine: hör zu

© Ulrike Almut Sandig
from: Streumen
Leipzig: Connewitzer Verlagsbuchhandlung, 2007
Audio production: 2008 Literaturwerkstatt Berlin

[from talk]

english

this draft from talk: tangled syllables
at the bottom of lungs, the delicate limbs
of serifs on tongues, the smell of damp
paper. tell me about eurasia, about the clean
CUT of the mountain range in our frozen
CENTER, urals, and about what follows,
this bird destination, where huts are built
from corrugated tin and tar, styrofoam, where semi-
somnolent rats devour stories, and rivers
are filthy with flowers and flesh, where they
speak and constantly drink tea, where they greet and
die the one is always the one: listen

Translated by Bradley Schmidt

summertime

german | Judith Zander

zur linken wuchs meine mutter
auf herausgestorben sind ihr
mutter und vater stumpf
und stiel ein schrumpfhaus woraus
sechs kerne sechs kinder
fielen nicht weit ein kreis
von steinwürfen ascheradien streut
das haus aus frischen gardinen
geranien und allem die beiden
berliner männer verbrennen auf
den nägeln karnickelfangschläge
geht ein sehnen
schenkt ein

meine mutter mein vater wachsen
langsam am rande an acker
winden zeitweise weht
ein einzelnes kind
vorbei misst keinem einzigen eine
seele zu blutsuppe alles
dampft ab die totgesagten
glänzen schmachtfetzen in
ihren fenstern das kind geht
gemach erst wieder beim haus der zwei
männer kommt nicht
ins schwitzen höchstens der hitze wegen

hier kriegt man die mittagsfrau
noch zu sehen manchmal
den feuermann treuliche blaffer
stauben die regentrude
ist ebenfalls arbeitslos
un de katten sün high

die roten raupen fressen bedächtig
den raps nachts und das güldne getreide
steht zitternd daneben noch doch
kommt zeit kommt mähdrescher

der mond hängt voll überm sandweg
und schwer wie der bauch des nachbarn

© Judith Zander
Audio production: LiteraturWERKstatt Berlin 2009

summertime

english

to the left my mother grew up
her mother and father
die off root and branch
a wriveled house that produced
six seeds six children
did not fall far a circle
hop skip jump the house
scatters ashes fresh curtains
geraniums and everything the two
Berlin men are get under the
skin sharp chops to the neck
mummers multiply
pour a round

mother father put down roots
slowly on the edge on field
bindweed occasionally
a single child drifts through
doesn’t have a single
soul blood soup everything
dissipates those said to be
dead tearjerkers glisten
in their windows the child moves
slowly again by the house of the two
men it doesn’t work up a
sweat because of the heat at most

here you can still see
lady midday sometimes
the fireman loyal barks
stir up dust the rainmaker
is unemployed as well
ain’t done got high

the red caterpillars slowly consume
the rapeseed at night and the golden grain
still stands shivering beside it but
the combines will come in time   

the moon hangs full over the sand road
and heavy like the neighbor's belly

Translated by Bradley Schmidt

STARENWOLKE

german | Wulf Kirsten

der herbst schwingt eine schwarze rassel,
waghalsige flugspiele am himmel zur schau
gestellt, dirigiert von einem meister,
der die starenwolke figurenschneiden
heißt, ein fahnenschwenken und senken,
ein wehen so zart und luftig, ein wehen
so biegsam und kunstvoll, bis sie
aufstiebt, die wolke in schwarz,
als wäre der teufel in sie gefahren,
zu sehen, zu bewundern, wie elegant
sich stare formieren, auf ein ballett
eingeschworen, das sich jäh ballt
und rasch wieder entzurrt
auf überirdisches kommando,
inszeniertes gebild, darbietung
zirzensischer natur, ein flügel-
rauschen abertausendfach, unisono
ganz in schwarz, der himmel kahl
gefressen, myriaden gegen myriaden,
ein vorspiel flüchtigen abbilds,
was da aufzuckt, die vergänglichkeit
übt sich in sprechenden bildern,
gedenkt nicht grundlos, nicht anders,
ebenso deiner, ebenso meiner.

© 2004 Ammann Verlag & Co., Zürich
from: Erdlebenbilder. Gedichte aus fünfzig Jahren. 1954-2004
Zürich: Ammann Verlag, 2004
ISBN: 9783250104643
Audio production: 2007, M.Mechner / Literaturwerkstatt Berlin

STARLING CLOUD

english

autumn swings a black rattle,
audacious aerial games displayed
in the sky, directed from a maestro
who instructed the starling cloud to cut
figures, waving flags and sinking,
gusts so soft and light, gusts
so supple and ornate till it flies
up, the cloud in black,
as if possessed by the devil,
to see, to admire how elegant
the starlings form, committed
to a ballet that abruptly clenches
and swiftly dissolves again
following supernatural command,
directed shape, a kind of circus
performance, a rushing of wings
a thousand times over, in unison
completely in black, the sky grazed
bare, myriads against myriads,
a prelude of fleeting images
flashing there, transience
practices speaking figures,
no causeless commemoration, no different
equally yours, equally mine.

Translated by Bradley Schmidt

STANDORT

german | Wulf Kirsten

tritt vor die tür, und schon kannst du
hindurchgehn, hinein und wieder hinaus,
eine welt für sich sehn als andere
schöpfungsgeschichte aus erster hand,
das ödland und der ballungsraum haarscharf
getrennt, skyline, hintergründig,
kalkanzeiger, sternhaarig, im kontrast,
augenfällig donnerdistelland, was entlief
nicht alles in die wiesen?
blühgemeinschaften schnellfüßig die hangkante
hinunter, lauter ausgedachte gebilde
voller lichthunger würgendes gehänge,
mächtig aller drei sprachen des himmels,
sich selbst überlassen, wo die natur
mit ihrem pfunde wuchert, nur noch
zu zeugen aus liebe, was immer sie liebt:
das unberechenbare, in parzellierter
wildnis aufgelaßner gärten, geflammt
und gefleckt, blumen in allen farben,
selbstanbieter ohne vorbedacht, wer wohl
brachte den speierling auf mit baumeignem
naturell und setzte ihn derart lebensecht
ins buckelnde gewell, daß er fortwuchs
und fort aus einem stück holz,
mainoberwärts? der quellhorizont
im gedriesch, ringsum erdfälle, strossen,
mag alles sein, die berge zerschmelzen
wie wachs, der standort Deutschland
bewegt sich, wenn der schleichsand
es will und der schmirgel im sinngefüge
der welt - such den punkt, der dich trägt.

© 2004 Ammann Verlag & Co., Zürich
from: Erdlebenbilder. Gedichte aus fünfzig Jahren. 1954-2004
Zürich: Ammann Verlag, 2004
ISBN: 9783250104643
Audio production: 2007, M.Mechner / Literaturwerkstatt Berlin

LOCATION

english

step outside the door and you can already
pass through, enter and exit again,
see first hand a world of its own
as another creation story,
the wasteland and agglomeration
separated very precise, skyline, subtle,
chalkboard, hairy stars, in contrast,
conspicuous thunder thistle land, what
hasn’t escaped to the meadows?
blooming communities down the slope
fleet of foot, nothing but invented entities
full of light-hunger choking pendants,
speaking all heaven’s three languages,
left to themselves where nature proliferates
with its pounds, only procreation
out of love, whatever it loves:
the unpredictable, in parceled
wilderness of abandoned gardens, flamed
and mottled, flowers of colors,
self-suppliers without forethought, who
would raise a sorbus to its own tree
nature and set it into such an authentic
bucking wave that it continues growing
and off from a piece of wood,
down the river main? the spring horizon
on fallow ground, encircled by sinkholes, channels,
may well be, the mountains melt
like wax, the location Germany
moves when the encroaching sand
desires and the emery in the world’s
fabric of meaning - searches for the point that carries you.

Translated by Bradley Schmidt

REDE DES TAXIFAHRERS

german | Michael Krüger

Der Gast wollte die Abkürzung nehmen,
nicht ich. Zunächst querte ein Igel die Straße,
später eine Herde Kühe, dann ein Reh,
das nicht weichen wollte. Eine schwarze Katze
ließ uns einen Umweg nehmen, bis zur Grenze
und darüber hinaus, nach Osten. Der Herr mußte
dann austreten und verirrte sich im Wald.
Zerrissen und zitternd lag er unter den Brombeeren,
wo er seine Brille vermutete. Wir waren uns
näher gekommen. Wir fanden ein paar Pilze,
die wir roh aßen, gegen den Hunger. Ich war ihm
wohl fremd, obwohl er mich gar nicht richtig
verstand. Während der Fahrt erbrachen wir uns
beide aus dem Fenster. Sie sehen bleich aus,
sagte er zu mir mit käseweißem Gesicht.
Dann wieder eine Grenze. Nicht eigentlich deutsch,
also wieder zurück. Am Flughafen, gegen 17 Uhr,
war er in mein Taxi gestiegen. Ohne Gepäck,
im leichten Mantel, ein dünnes Buch unterm Arm.
Um es kurz zu machen: Gegen Morgen erreichten wir
eine Stadt, irgendwie glücklich und nun schon
sehr aneinander gewöhnt. Mein Gott, was für ein Leben
er führte. Nur zahlen wollte er nicht.

© Residenz Verlag, Salzburg 1998
from: Wettervorhersage. Gedichte.
Salzburg: Residenz Verlag, 1998
Audio production: 2003, M. Mechner, literaturWERKstatt berlin

TAXI DRIVER’S MONOLOGUE

english

The passenger wanted to take the shortcut,
not me. At first a hedgehog crossed the road,
later a herd of cattle, then a deer
that didn’t want to budge. A black cat
made us take a detour till the border
and beyond, eastwards. Then the man had
to relieve himself and got lost in the woods.
He lay under the blackberries, tattered and shaking,
where he believed his glasses to be. We got to know
each other. We found a couple mushrooms
that we ate raw because we were hungry. Apparently
I seemed strange to him although he didn’t even really
understand me. During the trip we both vomited out
of the windows. You look a bit pale,
he said to me, face white as a sheet.
Then another border. Not really German,
so back again. At the airport, he had stepped
in my taxi around 5 p.m. Without luggage,
wearing a light coat, a thin book underneath his arm.
To cut a long story short: by morning we reached
a city, somehow pleased and very much used to
each other by now. My god, what a life did
he lead. Only he just didn’t want to pay.

Translated by Bradley Schmidt

oder tau

german | Judith Zander

meine hand ist ein toter fisch morgens
auf deiner brust treibt er
seitlings die nacht flog
ein fischreiher auf

meine augen zwei schaukelnde kanus in
den knappen wellen des taglichts dir sitzt
ein toter fisch wie ein alp auf der brust
wie ein fisch an der luft schnappst du zuckst
zurück vor den brüdern der eine
heißt schlaf sie paddeln
mit einvernehmlichen schlägen bei jedem
knüpfen sie blitzende schnüre
tropfen für tropfen in den fluss

meine hand ist ein toter fisch
morgens silbern die schuppen im schilf
ungefangen schwappt er auf deiner brust
ans ufer das schilf fackelt lange

© Judith Zander
Audio production: LiteraturWERKstatt Berlin 2009

or dawn

english

my hand is a dead fish in the morning
it drifts on your chest
sideways the night made
a heron take wing

my eyes two swinging canoes in
the short waves of daylight a dead
fish lies on your chest like an alp
like a fish out of water you gasp twitch
back from the brothers the one
is called sleep they
paddle with strokes in unison they
tie sparkling strings for everyone
drop for drop into the river

my hand is a dead fish
in the morning silver the scales in the rushes
uncaught it swashes on your chest
on the bank the rushes bide their time

Translated by Bradley Schmidt

Noch

german | Wolfgang Hilbig

Ferne Versammlung bleicher Gedanken
die noch schweigen
von alten Grenzen abgeschirmt
vom Grenzenlosen eingeschneit –
von Zeit
und Wind bestürmt –
noch will sich nicht ihr dunkler Ursprung zeigen.

Brennende Schneegestöber flogen durch das Lampenschwanken
und eine Fußspur führte
noch unverloren übers Eis –
nichts von Erinnrung rührte sich im dunklen Weiß.

Es war der letzte Schnee aus dem vergangnen Jahr
er stellte nur den Wirbel um sich selber dar
nicht mehr: und nicht mein Ich im weißen Kreis.

© Wolfgang Hilbig
from: unveröffentlichtem Manuskript
Audio production: 2003 M. Mechner, literaturWERKstatt berlin

Still

english

Distant collection of pale thoughts
which are still silent
protected by old borders
snowed in by the borderless –
assailed by time
and wind –
its dark source still does not want to show itself.

Burning snow flurries flew through the lamps’ sway
and foot prints still
lead unlost across the ice –
none of the memory stirs in the dark white.

It was the last snow from the year past
it merely displayed the fuss around itself
no more and not my self in the white circle.

Translated by Bradley Schmidt

NACHSOMMER

german | Michael Krüger

Bevor wir das Haus abschließen,
muß der Wein in den Ausguß
und das Licht die Zimmer verlassen.
Jedes Wort, das jetzt noch fällt,
ist zustimmungspflichtig.
Und vergiß die Mülltüte nicht.
Die freundlichen Spiegel
im Eingang verbeugen sich
mit einem traurigen Gesicht.
Und laß den Schlüssel stecken.

Am Ufer wartet die Arche,
im Bug schnappt der Hund
mit hechelnder Zunge nach Fliegen.
Von jetzt an mähen die Schwalben
das Gras. Vergiß auch die Liebe
nicht.

Schon auf dem Wasser,
sehn wir die Hügel brennen.

© Residenz Verlag, Salzburg 1998
from: Wettervorhersage. Gedichte.
Salzburg: Residenz Verlag, 1998
Audio production: 2003, M. Mechner, literaturWERKstatt berlin

INDIAN SUMMER

english

Before we close up the house
the wine has to go down the drain
and the light leave the rooms.
Each word that is still uttered
is subject to approval.
And don’t forget the garbage bags.
The friendly mirrors
in the entryway bow
with a sad expression.
And leave the key in the lock.

The arch awaits at the water’s edge,
on the bow the dog snaps
at flies with panting tongue.
From now on the swallows will
mow the grass. Don’t forget love
either.

on the water we
already see the hills burning.

Translated by Bradley Schmidt

nach hause

german | Judith Zander

es war einmal so spät wir gelangten
in eine zwischenzeit und der kontakt
brach ab in die pause des raumes

kam böhlen im bodennebel das schien
ein unerreichbarer herrlich giftiger stern
wir ließen uns anziehen

durch shuttlefenster lugten wir auf
traute antwortsignale ein leuchten
in scheiben ein leuchten

befeuerte teerschwarze atmosphären
bestehend zu gleichen teilen aus
pvc neon und dederonschweiß

des aktivisten nachtschicht um nachtschicht
durchquerten wir unsere innenrauminstrumente
spielten verrückt ein zeitmesser zeigte

die neigung zur zahl einundachtzig
wir wurden kleiner und kleiner und kein
radarschirm verlangte nach uns

© Judith Zander
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin 2009
Der Tonaufnahme lag eine frühere Fassung des Gedichtes zugrunde.

heading home

english

once upon a time it was so late we
arrived at an interim time and contact
broke off in the pause of space

böhlen came in ground fog it appeared
an unreachable magnificently poisonous star
we let ourselves be drawn in

through shuttle windows we looked
familiar answer signals a lighting
in slices lighting

heated the pitch-black atmospheres
consisting in equal parts of
pvc neon and activist’s

dederon sweat night shift for night shift
we traversed our interior instruments
went crazy a chronometer indicated
  
a preference for the number eighty-one
we got smaller and smaller and no
radar screen called for us

Translated by Bradley Schmidt

lass liegen

german | Ulrike Almut Sandig

die flügel von möwen am hafen, zwei stück macht ein paar, war ein vogel,
ein biegsames tier. lass heben die füße und holen weit aus, lass halten
einander um leichter zu steigen, nicht schauen zum weißlichen stoff
unter uns, nicht drehen uns um zu den kindern. muss liegen
im hafen ein stromlinienförmiger rumpf. muss liegen
sehr ähnlich den fischen. muss treiben
sein kinderspiel, weiß.

© Ulrike Almut Sandig
from: Streumen
Leipzig: Connewitzer Verlagsbuchhandlung, 2007
Audio production: 2008 Literaturwerkstatt Berlin

let it lie

english

the gull‘s wings at the harbor, two make a pair, was a bird,
a limber animal. lift the feet and reach out wide, hold
each other to climb easier, don’t look at the whitish fabric
under us, don’t turn toward the children. has to lie
in the harbor a streamlined hull. has to lie
just like the fish. has to carry on
his childish games, white.

Translated by Bradley Schmidt

DIE SCHLÜSSEL

german | Michael Krüger

Beim Aufräumen des Schuppens
fand ich ein Kästchen alter Schlüssel,
schweres Gerät mit schönen assyrischen Bärten.
Jeder träumte von einer anderen Tür
in einem andern Jahrhundert,
von Duellen und fetten Würsten.
Einer paßte in ein liebesmüdes Herz.
Sie konnten Bismarck gekannt haben
oder Fontane oder ein Fräulein
in einem Roman, der nicht gut ausging.
Da sie kein Schloß mehr nehmen wollte,
legte ich sie vorsichtig zurück.
Das Haus atmete erleichtert auf.

© Residenz Verlag, Salzburg 1998
from: Wettervorhersage. Gedichte.
Salzburg: Residenz Verlag, 1998
Audio production: 2003, M. Mechner, literaturWERKstatt berlin

THE KEYS

english

While cleaning up the shed
I found a little box of old keys,
heavy device with beautiful Assyrian beards.
Everyone dreams of another door
in another century,
of duels and hefty sausages.
One fits into a heart tired of love.
It could have known Bismark
or Fontane or a young lady
in a novel that did not end well.
Because it did not want any more locks
I carefully returned it.
The house breathed a sigh of relief.

Translated by Bradley Schmidt

DIE REISE NACH JERUSALEM

german | Michael Krüger

Griechenlands steinerne Faust sah ich
im Mittelmeer liegen und ein Schiff,
das dem Wasser die Bläue abzog
in gekräuselten Streifen. Weiter östlich
türkische Gedichte, unaussprechlich,
von Wellen rhythmisch bewegt.
Ich sah, wie sich das Wasser trennte
vom Salz an der büßenden Küste.
Zwischen all den mürrischen Steinen
entstanden die Epen: die Erzählung
der Distel und des Brots,
von der Sonne gebacken.
Dort unten ging die Sprache an Land,
und jedes Ding erhielt einen Namen.
Ich konnte es deutlich sehen -
die Worte zitterten wie eine Schar Vögel
über dem öden Grund.
Wir mußten uns anschnallen, festgezurrt,
mit angehaltenem Atem
erreichten wir das gelobte Land.

© Residenz Verlag, Salzburg 1998
from: Wettervorhersage. Gedichte.
Salzburg: Residenz Verlag, 1998
Audio production: 2003, M. Mechner, literaturWERKstatt berlin

JOURNEY TO JERUSALEM

english

I saw Greece’s stony fist lying
in the Mediterranean and a ship
that peeled back the water’s blue
in rippled stripes. Further east
Turkish poems, unpronounceable,
stirred by rhythmic waves.
I saw how the water separated itself
from the salt on the suffering coast.
Between all of the glowering stones
the epics arose: the stories
of thistles and bread
baked by the sun.
Down there the language went ashore
and everything received a name.
I could see it clearly –
the words trembled like a flock of birds
above the wasteland.
We had to buckle up, lashed down,
with bated breath
we reached the promised land.

Translated by Bradley Schmidt

kurze sache

german | Judith Zander

ende august wird adventliches
wieder denkbar wolle etwas
auf deiner haut außer
weißlichen herden der trockenheit
sommerschnee sommerliches
hängt schwer in deinen gesprächen
wie späte beeren ein saurer
vorwurf des nichtverzehrtwordenseins
zu munde oder zu grunde doch
der abtrieb der gegensätze hat unlängst
begonnen ihre ängstlichen glöckchen
verklingen bald wie abende und
die bücher werden nicht länger geführt
über flüchtigkeiten wie nachtregen
schlagschatten klar und in stereo
auch die träume ein fragment die letzte
wäsche der kurzen sachen

© Judith Zander
Audio production: LiteraturWERKstatt Berlin 2009

something small

english

at the end of august advently items
become conceivable again wool something
on your skin beside
white herds of drought summer
snow summer substances
hang heavy in your conversations
like late berries a sour
reproach for not-having-been-consumed
whithered on the vine undrunk but
the herding of opposites has
already begun their fearful bells
fade away like evenings and
the accounts will not be kept any longer
about elusive things like rain at night
drop shadows clear and in stereo
also the dreams a fragment the last
laundering of small things

Translated by Bradley Schmidt

darß / mission

german | Judith Zander

wieder führt es neue wellen aus
in schnellen
wasserfarben wogen
die boote des himmels des abgelegenen
lichts am anfang
war nichts
anderes siehe die glühfäden
morgens dies land
ist der haken aller
modernen hagiographie leckt
keinen edison ex weststrande
lux elektrifizierung geschieht
vor jeder zeit aller augen
blicke es wächst
in nördlicher richtung

© Judith Zander
Audio production: LiteraturWERKstatt Berlin 2009

darß / mission

english

once again new waves are carried out
in quick
water colors curling
the boats of heaven of remote
light in the beginning
was nothing
other conferring the filaments
in the morning this land
is the hook of all
modern hagiography if no
edison flickers ex west beach
lux electrification happens
before our eyes each
moment it grows
to the north

Translated by Bradley Schmidt

into that good night

german | Judith Zander

und schnappen
zu selbiger stunde da
die flimmerkisten das kammerflimmern
abzugleichen beginnen mimikrymi
moraste mal wahrheit pro sekunde
einfällt die felder die nacht bestellt
mit blauen ins kraut schießenden
bohnen ein bisschen
luft
vertreten
die beine
uns auf den stolperplatten inmitten
von abschied und raps und die pappeln
haben den besten sound
und lauter allerleirauhe tiere auch reiher
wie fuchs und hase natürlich
gezückt die läufe zum scheuen
sleep tight

© Judith Zander
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin 2009
Der Tonaufnahme lag eine frühere Fassung des Gedichtes zugrunde.

into that good night

english

and at the same
hour the boob tubes start
equilibriate with ventricular
fibrillation mimicry morass
times truth per second
breaks through the fields of the night
sown with cast lead that
run wild
a little
air
stretching
our legs
we are on the stumbling slabs in the middle
of farewells and rapeseed and the poplars
have the best sound
and all kinds of furs herons too
in the sticks of course
paws shying away
sleep tight

Translated by Bradley Schmidt

im sommer sitzen die alten

german | Ulrike Almut Sandig

die füße am leib und halten den koffer sehr fest.
darin sind: gespartes in folie, der goldschmuck
von mutter, drei fotos, zwei briefe, der pass.
nur die alten sitzen auf tischen im dunkel, wenn wind
sich auflädt, und zählen die zeit zwischen donner und blitz
und sitzen die alten und sagen kein wort

© Ulrike Almut Sandig
from: Streumen
Leipzig: Connewitzer Verlagsbuchhandlung, 2007
Audio production: 2008 Literaturwerkstatt Berlin

in summer the elderly sit

english

their feet drawn close and hold their suitcases tight.
they contain: savings in plastic wrap, mother’s
gold jewelry, three photos, two letter, the passport.
only the elderly sit in the dark on tables when wind
winds up, and count the seconds between thunder and lightning
                                    and the elderly sit and don’t say a word

Translated by Bradley Schmidt

im juli

german | Ulrike Almut Sandig

war der teer feucht und leer, zogen manchmal
die hengste reiterlos, quer durch den ort, oder
es kamen die jüngsten und fuhren wieder fort.
oder es gingen die eltern nach vorne zum zaun,
leis’ zu reden. weiter war keiner beteiligt, hörbar
war jeder schritt, bis der august mit maschinen
               das, was schon rauschte, zerschnitt.

© Ulrike Almut Sandig
from: Streumen
Leipzig: Connewitzer Verlagsbuchhandlung, 2007
Audio production: 2008 Literaturwerkstatt Berlin

in july

english

was the tar moist and void, the stallions
occasionally tore riderless right through the place,
or the youngest came by and then moved on.
or the parents went forward to the fence
to talk quietly. no one was concerned any further, every
step could be heard, till with its machines august
cut what already had swished.

Translated by Bradley Schmidt

Hinter mir

german | Wolfgang Hilbig

Hinter meiner Mauer
im Rücken meiner Undurchdringlichkeit
im Licht
drehen sich Gottes Spielzeuge um sich selbst …
Hinter mir diese Karusselle von Desastern: grell bemalt
und von den blauen Netzen der Sonne verhüllt
und fern in verstockter Musik.

© Wolfgang Hilbig
from: unveröffentlichtem Manuskript
Audio production: 2003 M. Mechner, literaturWERKstatt berlin

Behind me

english

Behind my wall
in the rear of my impenetrability
in the light
God’s toys rotate around themselves…
Behind me this merry-go-round of disasters: gaudily painted
and covered by the sun’s blue mesh
and distant in stubborn music.

Translated by Bradley Schmidt

fluchtpunkt

german | Judith Zander

aus den brennenden
scherenschritten schält sich
ein rennen vierfüßer flieg
an die kanten von atem
und sicht
beton
schaukeln die bordsteine wider
unsere augen eine
rote treibarbeit
zwischen deinen feuerzeugfingern
wächst etwas warm wie fuchsfell
fast as you can baby
klappert mir unter
der dünnen zunge die andere
hälfte der losung
lässlich trocknet dein nacken
das regenlicht ein


für Gregor

© Judith Zander
Audio production: LiteraturWERKstatt Berlin 2009

vanishing point

english

from the burning
scissor-steps racing
peels out tetrapod fly
to the edges of breath
and facing
concrete
the curbs sway against
our eyes a
red repoussé
between your lighter-fingers
something grows warm like fox fur
fast as you can baby
under my thin
tongue rattles the other
half of the slogan
casually your neck dries
up the rain-light

Translated by Bradley Schmidt

flattern

german | Judith Zander

das sind
die stürme die blinden
enden des winters das
äquinoktium schiebt sich
tief in meinen gamat mein gemüt
fiebert von heizungswinden
bindet die enden das fürchten
der ritterbürtigen in meine
wände concrete ein zerren
und zerren in diesen
tagen heiß ich annette

ist es
nicht gut wenn das wachen
anwächst unter der sonne
kein ding verborgen
bleiben kann meerhäschen
sitzt mir im dutt gleich
einem artigen kinde

ich rufe durch meine wände
dringt es wie: turm
alle wissen
mich in sicherheit winken
meiner betonfrisur

© Judith Zander
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin 2009
Der Tonaufnahme lag eine frühere Fassung des Gedichtes zugrunde.

flutter

english

those are
the storms the blind
ends of winter the
equinox pushes
deep into my heater my temper
is feverish with heating wind
ties the ends the fear
of one born an aristocrat
in my walls concrete a tearing
and tearing these day
my name is annette

isn’t
it good when waking
waxes under the sun
nothing can remain
hidden the sea hare
sits in my braids the same
as a well behaved child

I call through my walls
it penetrates like: tower
everyone knows
I am protected waves
to my concrete coiffure

Translated by Bradley Schmidt

er kommt nicht, wenn man ruft

german | Judith Zander

wir dachten das wetter
hält sich der regen
lässt sich tagtäglich
in seiner sänfte angetragen
der erde zur erde
in seiner gänze gnädig herab

aber dann gab es
schnüre die wie maultrommeln
rührten ans eingemachte die
verkündeten etwas und was
nachts in den fensterritzen
spielte fügten wir
in die träume ein
himmlische kinder

er kühlt uns, wenn wir schwitzen

© Judith Zander
Audio production: LiteraturWERKstatt Berlin 2009

it doesn’t come when you call

english

we imagined the weather
would hold up the rain
lets itself daily
with its sedan carried
the earth to earth
in its gracious entirety

but then there were
cords that like
the jaw’s harp touched the core they
proclaimed something and what
played at night in the window
crack we added
to our dreams
heavenly children

it cools us when we sweat

Translated by Bradley Schmidt

Blätter und Schatten

german | Wolfgang Hilbig

Nicht neu kann sein was du beginnst –
denn immer nimmst du was dir längst gegeben
und gibst es hin:
wie in der Liebe da es mir gebricht
an jeder Kenntnis: rot wie die Buchen Laub verstreun
maßlos am Wegrand wo ich schon sehr frühe ging …
und kannte nicht den Weg
und kenn ihn jetzt noch nicht
und kenne nicht das Kind des Schatten mir vorausläuft
und weiß nichts von der Sonne die ihr rotes Gold
dem Blattwerk einbrennt.
Und weiß nicht mehr den Herbst
der ernst in meinem Rücken ging und dem ich Schatten
war: stets neu entworfner Schatten ungezählter Herbste.

© Wolfgang Hilbig
from: unveröffentlichtem Manuskript
Audio production: 2003 M. Mechner, literaturWERKstatt berlin

Leaves and Shadows

english

What you start cannot be new –
because you always take what you were given long ago
and sacrifice it:
as with love because I lack
all knowledge: red leaves like the beach trees spread without
moderation on the wayside where I walked long ago...
and did not know the way
and still do not know it now
and do not know the child of the shadow running out in
front of me and know nothing of the sun that brands its
red gold foliage.
And no longer know the autumn
that moves behind my back and to whom I was
a shadow: constantly newly drawn shadows of uncounted autumns.

Translated by Bradley Schmidt

BESUCH IN AMSTERDAM

german | Michael Krüger

Die Stadt öffnet weit ihre Fenster,
um keinen Ton zu verpassen.
Ein Lied fährt auf dem Fahrrad vorbei
und schenkt jedem Haus eine Note.
Mein Freund wohnt an einer Gracht.
Die Treppe seines gutsitzenden Hauses
wurde von einem Schlangenbeschwörer
entworfen, ausgebildet in den Kolonien:
wenn man vorsichtig auftritt,
hört man mandelförmige Seufzer.
Gelegentlich fährt ein altes Schiff
durch den Salon, dessen Kapitän
Schriftstücke auf dem Fensterbrett ablegt,
mittelalterliche Traktate
über Aufklärung und Magie,
aber auch ganz normale Lebensgeschichten.
Blickt mein Freund aus dem Fenster,
verdoppelt sich die Stadt.
In der Dämmerung treten die Klassiker
aus den Regalen und beginnen zu arbeiten,
ein Hund bedient sie mit Käse und Wein.
Und nachts fegt ein Engel sorgfältig
den Weg zwischen Wasser und Haustür,
als gälte es, einen der vier Flüsse
zum Paradies zu säubern.

© Residenz Verlag, Salzburg 1998
from: Wettervorhersage. Gedichte.
Salzburg: Residenz Verlag, 1998
Audio production: 2003, M. Mechner, literaturWERKstatt berlin

VISITING IN AMSTERDAM

english

for Harry Mulisch

The city opens up its windows wide
not to miss a sound.
A song rides by on a bicycle
and gives each house a note.
My friend lives on a canal.
The steps of his well-situated
house were designed by a snake
charmer trained in the colonies:
when you stepped carefully,
you hear almond-shaped sighs.
Occasionally an old ship sails
through the salon whose captain
piles papers on the window sill
medieval treatises
about enlightenment and magic,
but completely normal life stories, too.
When my friend looks out the window
the city reduplicates itself.
In the twilight the classics
step off the shelves and begin to work,
a dog serves them with cheese and wine.
And at night an angel carefully sweeps
the path between water and doorstep,
as if trying to clean one of the four
rivers to paradise.

Translated by Bradley Schmidt

BEINHART

german | Wulf Kirsten

ob du willst oder nicht, du mußt
ein offenes ohr haben für die nöte
der mitreisenden nachbarn auf zeit,
dann erfährst du in gezwängter und
bedrängter position, wo den mitmenschen,
der vor redseligkeit überquillt,
der schuh drückt, hier kannst du
beispiele sammeln für mitteilungsdrang,
eingekeilt in die masse der menschheit,
großraum zweiter klasse, vom zufall
kurzfristig geballt, hier lebst du
mit der gewißheit, den boden unter
den füßen noch nicht verloren zu haben,
so wird beschwichtigt die mitfahrerpein,
hier kannst du nicht abheben wie der
und jener, sobald ihn die ohnmächtige
allmacht in andere regionen entführte
oder zum mandatsträger erkor und nur
noch imstande, sich selbst zuzuhören,
berauscht von der vorgefertigten
phraseologie, lieber bahnreisender
sein und die klagelieder vernehmen
notgedrungener erscheinungen
im fernverkehr, umgetriebener,
ausgebuffter geschäftsvertreter,
wie etwa eben des herrn da neben dir
aus der futtermittelbranche,
der es nicht leicht hat,
wenn sein wehklagen nicht aufschneiderei,
nun wird er doch nicht gar
sein herzeleid ausschütteln
wie Frau Holle die betten,
bis kein fussel mehr im inlett:
was mich umtreibt, ist ein gnadenloser job,
oh, da muß einer auf dem quivive sein,
wenn er mithalten will, beinhart
sind die agrargenossen im osten,
beinhart sind die brüder, wirklich beinhart.

© 2004 Ammann Verlag & Co., Zürich
from: Erdlebenbilder. Gedichte aus fünfzig Jahren. 1954-2004
Zürich: Ammann Verlag, 2004
ISBN: 9783250104643
Audio production: 2007, M.Mechner / Literaturwerkstatt Berlin

TOUGH AS NAILS

english

whether you want to or not, you need
an open ear for the hardships of
temporary fellow passengers,
then you experience jammed in and
pressed position where the shoe pinches
for fellow humans who overflow with
chattiness, here you can collect
examples of the urge to share,
wedged in the mass of humanity,
second class open carriage, concentrated
short notice by chance, here you still
live with the certainty of not having
lost the ground beneath our feet, that’s
what pacifies the fellow travelers’ torment,
you can’t have you head in the clouds here like
certain people as soon as they are abducted
to other regions by the impotent omnipotence
or selected as representatives and just
merely capable of listening to themselves,
intoxicated by the prepackaged
phraseology, rather be a dear train
traveler and register the lamentations
of unavoidable phenomena of
long-distance travel, bustling
savvy sales representatives
like the man next to you, for instance,
from the animal feed industry,
who doesn’t have it easy,
if his lament isn’t just bluster,
now he won’t just go and
pour out his heartbreak
like Mother Hulda making the bed
till no fluff is left in the ticking:
what occupies me is a merciless job,
oh, you have to be on your toes
if you want to keep up, the agricultural
co-ops in the east are tough as nails,
the guys are tough as nails, truly hard as nails.

Translated by Bradley Schmidt