Der Tag an dem die Möwen zweistimmig sangen

Während das Wasser zurückgeht und Quallen liegenbleiben
unbehelligt vom Salz
von der Oxydation und der Sonne
neidest du den Kindern die mit in den Sand gestoßenen
Fersen nach Muscheln stochern ihre Sicherheit
mit einer dich vollkommen
verblüffenden Gewalt
 
Dein Auge ist gereinigt hat jetzt schärfere Pupillen
während die Brandung sich ins Meer zurück frißt
fehlt dir etwas
einige Jahre
in Happen klein wie die Rückseite einer Briefmarke
weiß wie Oktopusfleisch haben die Möwen mitgenommen
Da ist ein Schmerz mit gekappter Verbindung zum Kopf

Sehnige Schlieren aus Öl bedecken
die Wellen führen durch Schaumränder
nach früher
und in
die Zeit
in der du langsam zerzaust die Treppe des Abschieds
heruntergegangen bist bis an den Strand hier
- Schwimmen kannst du noch, aber du schwimmst dich
nicht mehr frei –

Ich weiß dich erstaunt an den Quallen
die Fähigkeit häßlich und dennoch durchsichtig zu sein
und ich weiß daß du gleich
schreiend die Auskunft verlangst was ich anderswo suche
in der Hoffnung ich fragte zurück

© Schöffling & Co. Verlagsbuchhandlung GmbH, Frankfurt am Main
From: Der Tag an dem die Möwen zweistimmig sangen. Gedichte 2001-2008. Mit einem Nachwort von Dorothea von Törne
Frankfurt am Main: Schöffling & Co., 2013
ISBN: 978-3-89561-375-3
Audio production: 2001 M. Mechner, literaturWERKstatt berlin

[Ich fühle die Dämmerung in meinen Händen.]


Ich fühle die Dämmerung in meinen Händen. Sie kommt durch den kranken Lorbeer. Ich möchte weder denken, noch geliebt sein, noch glücklich sein,
noch mich erinnern.

Ich möchte einzig dieses Licht an meinen Händen fühlen

und alle Gesichter vergessen und dass die Lieder mein Herz nicht mehr beschweren

und dass die Vögel vor meinen Augen vorüber fliegen und ich nicht merke, dass sie fort sind.



Es gibt

Risse und Schatten an weißen Mauern und bald gibt es mehr

Risse und mehr Schatten und endlich gibt es keine weißen Mauern mehr.

Das ist das Alter. Es fließt in meinen Adern wie Wasser, das von
Seufzern durchsetzt ist. Alle Fragen

hören auf. Eine späte Sonne liegt in meinen reglosen Händen und in meine Ruhe kommt gleichzeitig sanft, wie eine einzige Substanz, das Denken und sein Verschwinden.

Das ist die Agonie und die Seelenruhe.

Vielleicht bin ich durchsichtig und bin schon allein und weiß es nicht. In jedem Fall, jetzt

ist das einzige Wissen das Vergessen.

Aus dem Spanischen von Harald Hartung