Der 9. November

Das Brackwasser stachellippig, aufgeschnittene Drähte
Lautlos, wie im Traum, driften die Tellerminen
Zurück in den Geschirrschrank. Ein surrealer Moment:
Mit spitzem Fuß auf dem Weltriß, und kein Schuß fällt.
Die gehetzte Vernunft, unendlich müde, greift
Nach dem erstbesten Irrtum ... Der Dreckverband platzt.
Leuchtschriften wandern okkupantenhaft bis Mitte.
    BERLIN
NUN FREUE DICH, zu früh. Wehe, harter Nordost.

© Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1996
From: Lustgarten, Preußen
Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 1996
ISBN: 3-518-39624-2
Audio production: 2000 M. Mechner, literaturWERKstatt berlin

[Komm zurück, sagt sie mir…]

Komm zurück, sagt sie mir,
jetzt, da du kannst, in deine Heimat,
überquere aufs Neue die Alpen von Nord nach Süd.
Ich vernehme die Stimme und erhöre sie nicht.
Denn seit ich
unter Menschen mit anderen Bräuchen und einer anderen Sprache lebe,
ist viel, sehr viel Zeit vergangen,
und auch meine Heimat ist jetzt eine andere.
Sie ist nicht auf dieser oder jener Seite:
sie ist das Land des Limes, der Grenze,
aber auch der Zusammenkunft,
das Aufeinanderprallen zweier Seelen in einer Brust.
Die eine alt, die andere jung,
einander fremd, ja, verfeindet,
doch eines Tages strecken sie die Waffen,
finden sich und verschmelzen zu einer einzigen
brüderlichen Seele… Und in diesen Zeiten
voller Verbannung und Migration, voller Sorgen,
neue Seele für eine neue Welt.

Aus dem Italienischen übersetzt von Verena von Koskull