Anna Crowe

english

Odile Kennel

german

The shadow

in memory of my sister, Rosy (2.11.1946-21.2.2004)

Since your death,
I’ve taken to visiting this room.
I like its emptiness, its modest triumphs,
the way sun pours through gauzy curtains
to lay a block of light on the bare floor.
Matter-of-fact. Unheroic. A stillness
big enough to hold a room we shared
as girls, on holiday at Talloires,
releasing a scent of beeswax,
a shimmer of lakewater,
and mountains looming like the future.

The muslin curtains billow
in sprigged folds like a nightdress,
and I picture you, who always dressed with care,
pausing to smooth your skirt
in front of the tall pier-glass.
Like death, it renders everything clear
within its narrow compass—
the striped sofa, the engraving whose gilt frame
catches the light like a strand of hair.
And these two chairs that turn their backs on each other
have ceased a lifetime’s conversation.
The sun highlights their uselessness
while touching a curved back
to warmth and colour.

Better to focus on that rough patch
the sun picks out on the opposite wall.
Is it a shadow, banal as death itself,
cast by the world outside on the balcony,
or did the decorator simply abandon his task?
I stare at it and take courage from that baldness,
from blemished plaster with a crack at its centre
like the confluence of two rivers; from this faithful
portrayal of things as they really are.

© Anna Crowe
From: Punk with Dulcimer
Peterloo, 2006
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin, 2014

Der Schatten

in Erinnerung an meine Schwester Rosy (2.11.1946-21.2.2004)

Seit du gestorben bist
komme ich oft in dieses Zimmer.
Ich mag seine Leere, seine bescheidenen Triumphe,
und wie die Sonne durch dünne Vorhänge scheint,
ein Stück Licht auf bloßen Boden legt.
Alles sachlich. Ohne Pathos. Die Stille
groß genug, um das Zimmer zu enthalten, das wir
als Mädchen teilten, in den Ferien in Talloires,
ein Duft nach Bienenwachs steigt auf,
ein Bild von schimmerndem Seewasser,
Berge türmten sich auf wie die Zukunft.

Die Vorhänge aus Musselin blähen sich
in geblümten Falten wie ein Nachthemd,
und ich sehe dich, immer mit Sorgfalt gekleidet,
wie du innehältst, den Rock glättest
vor dem hohen Spiegel.
In seinem schmalen Rahmen
erscheint alles doppelt so klar –
das gestreifte Sofa, der Stich, dessen goldene Umrandung
das Licht wie eine Haarsträhne einfängt.
Und die zwei Stühle, die einander den Rücken kehren,
haben ihr lebenslanges Gespräch eingestellt.
Die Sonne unterstreicht ihre Nutzlosigkeit,
streift die Rundung einer Lehne
mit Wärme und Farbe.

Besser ich halte mich an den rauen Fleck,
den die Sonne an der gegenüberliegenden Wand zeichnet.
Ein Schatten, der sich ereignet wie Tod,
Teil der Welt draußen auf dem Balkon,
oder hat der Maler einfach nur sein Werk nicht beendet?
Ich starre darauf und finde Trost in der Kargheit,
dem brüchigen Putz, in seinem Zentrum ein Riss
wie zwei Flüsse, die ineinander fließen; in der getreuen
Darstellung der Dinge, wie sie wirklich sind.

 

Aus dem Englischen übersetzt von Odile Kennel