[MEINE LIEBSTE GEMAHLIN HOFFENTLICH WIRD ES HEUTE MORGEN]

MEINE LIEBSTE GEMAHLIN HOFFENTLICH WIRD ES HEUTE MORGEN
Nicht zu hell draußen, denn ich will ohne Anstrengung
An dich denken können, mit welcher Leichtigkeit
Du mir vorgeschlagen hast, allein nach Skudeneshavn
Zu reisen, in die Anstalt der Möwen, Kornfelder
Und Wale, du weißt, daß ich für Sträucher und dicke,
Überschaubare Tiere etwas übrig habe, aber allein
Werde ich diese Dinge nicht so genießen können, wie es
Ihnen zusteht, allein nach Skudeneshavn, du bist
Wahnsinnig, du brauchst viel länger als ich,
Um zu begreifen, daß wir uns lieben, nach all den
Sommerwechseln, unter uns, nach all den Sinfonieresten
Und Kußfetzen, wenigstens in Briefen, meine 
Liebe, weil wir immer viel zu vorsichtig waren, konnten
Wir uns bis zum Ende niemals gegenseitig überraschen,
Unser Anfang war nur ein Spiel, und unser Ende
War die Müdigkeit des Spiels, ich will nachts endlich
Wieder irgendwohin fahren müssen, dahin, wo noch genügend
Aufdringlichkeit auf mich wartet, Aufdringlichkeit
Muß Sehnsucht sein, die sich nicht länger beherrschen
Kann, Skudeneshavn, Skudeneshavn, die Möwen, die
Kornfelder und Wale, du weißt, daß ich dieses Blau
Schon immer geliebt habe, dieses Blau, bei dem
Ich an Krankenhäuser denken muß, an die Flure,
In denen Keime abgetötet werden sollen, dieses Blau, 
Mit seiner Vorliebe für de Verhaltensgestörtheit
Von Violett, du brauchst wirklich viel länger als ich, um
Zu begreifen, daß ich dir, mit meiner einseitigen Liebe, 
Nur einen Gefallen getan habe, mit welcher Leichtigkeit
Ich an dich denken kann, es war doch deine Idee,
Hierher zu fahren, in diese präzisen Horizontanlagen,
Mit ihren treibenden Wetterstämmen, wie überschaubar
Und nachlässig von dir, mich gerade dahin zu schicken,
Wo es mir an nichts fehlen kann, du mußt wirklich
Wahnsinnig sein, mit meiner einseitigen Liebe
Zu dir, du schreibst, du seist dicker geworden, du
Weißt doch, daß ich dieses Blau schon immer geliebt 
Habe, laß die fünf Kilo dort, wo sie sind, denn
Wenn die fehlen, wirst auch du wieder weiter von mir
Entfernt sein, gut, daß ich allein gefahren bin,
Ich denk an dich, aber was
Wäre ich am Fenster ohne Wale.

© Thomas Kunst
Audio production: Goethe Institut, 2015