[wolkiger himmel. am bildrand liegen äste aus]

wolkiger himmel. am bildrand liegen äste aus
gestreckt über dem wasser, die langen finger

greifen weit hinaus und halten das meer
in der bucht. beim genauen hinsehen

ist der horizont nicht glatt, sondern fein
geriffelt, das licht kommt immer ein wenig zu früh

oder zu spät aus den wellen zurück, je nachdem
wie schnell sich die augen scharf stellen

sie laufen dem glanz hinterher, den ästen
reicht diese zeit völlig aus, sie bleiben weich

und fest in der haut, an den händen
schaukelt das wasser sich auf und der dunst

verwischt bald die konturen, die kleinen rillen
am rand des bildes, der fingerkuppen.

© Verlag C.H.Beck
From: klare konturen
München: Verlag C.H.Beck, 2006
Audio production: 2003, Literaturwerkstatt Berlin

Pagoda-Gedichte

insgesamt neun Mal
das Wort Nichts

immer und
immer wieder
im zwanzig-Wort-Gedicht
des Meistermönchs

der Drachen, sagen sie,
taucht ins Meer
auf der Suche nach Sinn
und spuckt Juwelen aus
Juwelen, die zu Felsen werden
ihre Stalaktiten
stechen ins Gestein

Lichtsäulen, gehüllt
in atemberaubende Farben

Teufel tanzen
im Gleichschritt mit Göttern

all das
ist auch wieder Nichts
und schafft Sinn

*

was ist echt?

der Vogel
wie er am Himmel flattert
oder der regungslose Vogel
im strömenden Fluss

der gekräuselte Mond
im Wasser
oder der beständige Mond
da oben

immer

beides

Übersetzung: Lisa Jeschke & Tabea Magyar für Gegensatz Translation Collective