John Yau

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Stefan Weidle

german

In The Kingdom of Poetry

Don’t write poems
about yourself.

Don’t call attention
to your revelations

or make confessions.
Even if your intention

is to expiate pain,
overcome guilt,

temper your
understandable anger,

don’t excavate
your mother’s grief,

brother’s sexual torment,
sister’s thievery,

father’s self-hatred,
step-parent’s fortuitous star chart.

Feelings are not poems.
Relatives should be left

where they are found,
in the gutter

or by a cash register.
Don’t write poems


about others.  
Leave out husbands,

divorcees, alcoholics,
pimply adolescents and nurses.

There is already a surplus
of bad movie scripts.

Forget about friends
and enemies,

anniversaries
and special moments.

Someone in the greeting card business
has already covered these topics.

Don’t write about
what is happening in the world,

the missing child
and the human remains,

the burning beach
and the swallowed page,

the president’s
fiftieth speech.

Whatever happened there
isn’t a poem.

Don’t try and prove
how sensitive you are.

Others have already
claimed to be plants.


It isn’t necessary to demonstrate
how insensitive you are.

as this is already
an indisputable fact.

Don’t write poems
linking

an ordinary event
in your life

–shaving, adjusting your bra, riding subway
admiring especially picturesque sunset–

to a significant moment in history
–pogrom, starvation, exile, assassination–

or to a myth–rape, jealousy, or rejection–
in fact to anything that has a theme.

Poems are not papers
delivered at conferences.

Don’t sing about the joys of the city
or list the virtues of rural life.

Don’t mention swans,
bologna, eyeball dryness,

or one-eared philosophers.
Picnics and paintings are not poems.

Don’t resort to drama
or telling lies.

Don’t use your yearning
as a starting point.


Secrets should be left
where they are.

Don’t stand up
in a burning theater

and announce,
“no one listens to poetry.”

Don’t write poems
about poets

being underpaid.
Throw away

your memories,
bury your mirrors.

© John Yau
From: Paradiso Diaspora
Penguin, 2006
Audio production: LiteraturWERKstatt Berlin 2009

Im Reich der Poesie

Schreib keine Gedichte

über dich selbst.


Mach nicht aufmerksam

auf deine Offenbarungen


und lege keine Geständnisse ab.

Selbst wenn du vorhast,


Schmerzen zu sühnen,

Schuld zu überwinden,


mäßige deinen

verständlichen Zorn,


grabe nicht

den Kummer deiner Mutter aus,


die sexuellen Qualen deines Bruders,

die Diebstähle deiner Schwester,


den Selbsthaß deines Vaters,

das zufällige Geburtshoroskop eines Stiefelternteils.


Gefühle sind keine Gedichte.

Verwandte sollten da bleiben,


wo sie gefunden wurden,

in der Gosse


oder neben einer Registrierkasse.

Schreib keine Gedichte


über andere.

Laß die Ehemänner weg,


die Geschiedenen, Alkoholiker,

picklige Jugendliche und Krankenschwestern.


Es gibt schon einen Überfluß

an schlechten Filmdrehbüchern.


Vergiß die Freunde

und die Feinde,


Jubiläen

und besondere Momente.


Jemand aus der Glückwunschkartenbranche

hat diese Themen schon im Griff.


Schreib nicht darüber,

was in der Welt passiert,


über das vermißte Kind

und die menschlichen Überreste,


den brennenden Strand

und das verschluckte Blatt,


die fünfzigste Rede

des Präsidenten.


Was auch immer da geschah,

ist kein Gedicht.


Versuche nicht zu beweisen,

wie sensibel du bist.


Andere haben schon behauptet,

Pflanzen zu sein.


Es ist unnötig zu demonstrieren,

wie unsensibel du bist,


denn das ist bereits

eine bekannte Tatsache.


Schreib keine Gedichte,

in denen du


ein ganz normales Ereignis

in deinem Leben


– rasieren, BH zurechtzupfen, U-Bahn fahren,

einen besonders spektakulären Sonnenuntergang betrachten –


verbindest mit einem bedeutenden historischen Moment

– Pogrom, Hungersnot, Verbannung, Attentat –


oder mit einem Mythos – Schändung, Eifersucht oder Verstoßung –

tatsächlich mit allem, das eine Thematik hat.


Gedichte sind keine Fachvorträge,

die man auf Konferenzen hält.


Singe nicht von den Freuden der Großstadt

oder zähle die Vorteile des Landlebens auf.


Erwähne nie Schwäne,

Bologna, trockene Augen


oder einohrige Philosophen.

Picknicks und Gemälde sind keine Gedichte.


Verlege dich nicht aufs Drama

oder auf Lügengeschichten.


Benutze nicht deine Sehnsucht

als Ausgangspunkt.


Geheimnisse sollten bleiben,

was sie sind.


Stehe nicht

in einem brennenden Theater auf


und verkünde:

"Niemand hört auf die Poesie."


Schreibe keine Gedichte

darüber daß Dichter


unterbezahlt sind.

Schmeiß


deine Erinnerungen weg,

beerdige deine Spiegel.

Übersetzt von Stefan Weidle