Novembertag

Nebel,
der alles verschlingt:
Jedes Haus, jeden Baum, jeden Strauch.
Ein Kind schreit vom Balkon:
»Bin allein,
endlich allein auf der Welt!«
Und aus dem Nebel die Antwort:
»Ich auch!«

© 1995 Beltz Verlag, Weinheim und Basel
From: Mit Wörtern fliegen
Weinheim: Beltz & Gelberg, 1995
ISBN: 3-407-79686-2
Audio production: 1999 M. Mechner, literaturWERKstatt berlin

IMPRESSIONEN VON GEGENWART DER SCHAM

I.

wir sagen, daß ein kinderlied beendet ist
mit dem duft
von verbrannten herbstblättern
da am ende des weges eine ecke
donnern des himmels
und längste liebe des jahres nur drei blicke
dann gemeinsame wörter der westlichen sprachen
oder reinheit des spiritus
dann bieten sie waldwochen, fitnessläufe an

daneben eine schülerin
in ihren haaren maschè, ihre bücher an der brust
hält unser herz nicht aus
wir sagen
               daß ein kinderlied beendet ist
in den dörfern jungerer epochen
sagen wir
              daß ein kinderlied beendet ist

trösten uns nur die bäume, die wir einsetzten
statt hoffnung, schatten und liebe


II.

unser leben ist tüchtig, wie ein symirnischer sack
fragt aber, wo ist david
david..?
das ist das größte delirium
schon lange her starb er
                                    und niemand kann mehr
                                                        seine stimme hören am brunnenplatz

wir erleben die gegenwart

stattdessen meine liebe an zukunft, geburt der Fernen
mit unter den erde geschinittene nabelschnur, meine höhle, meine tiere
der trost des totes ist eine lüge, die unserem hirn schadet
frauen aus nippessachen, spaßnachrichten aus lido
und in dieser erfolgsreichen welt von uns
bluten die kinder fortwährend, die mit ihren liedern verloren sind
am bahngleis ein löwchen, seine schultasche mit abziehbildern der blumen

Übertragung ins Deutsche: Oktay Taftali und Richard Nemeth