Mit Wehmut und Liebe

Zur Nacht gab’s wieder Griesbrei
dazu wohl auch die süßen Zwetschgen
oder war’s nur Zimt? Es ist jetzt einerlei.
Jedenfalls hast du, gesenkt die Augen,
still vor dich hingegessen, als wärst du immer – dein Leben lang? –
allein am Tisch gesessen. Ohne uns, ohne Anhang!

Vielleicht (hab dich nie gefragt) hast du diese Stille bei der Arbeit
eingeübt. Schließlich sind Hitze, Lärm und Gestank starke Argumente
fürs Schweigen. Vielleicht. Vielleicht war’s nur deine Schüchternheit.
Oder was anderes. Schließlich hatte dein Schweigen kein Ende.

Mittags hast du dich aufs Sofa gelegt, wie sich dein Vater auf die Liege
in der Küche legte. Und gelesen. Worauf du eingenickt bist.
Das war alles. Die Nacht kommt nach dem Tag. Waren das die stillen Siege?

Abends bist du zu müde gewesen, zu angeheitert, um mehr als zu schmunzeln,
wenn es zur Nacht wieder Apfelmus gab und Fotzelschnitten.
Deine Augen leuchteten wie über uns die Sternenfunzeln
und wurden dunkel, als ließe sich die Stille nicht zweimal bitten.

© Carl Hanser Verlag
From: Kalte Kriege
München: Carl Hanser Verlag, 2007
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin 2007

Hintergrundsgedicht

So zahlreich sind die Jahre, die ich verloren,

so zahlreich die guten Bücher, die ich nicht gelesen,
sie vermehren sich von Tag zu Tag.

Und so zahlreich sind die Frauen, die ich nicht kannte,
sie vermehren sich von Nacht zu Nacht.
Und die Nacht ist immer ein einsamer Reiter –

Der Wind, der in seinem Herzen heult, sein schwingendes Schwert.
Wem lebe ich, wenn ich liege und mich erhebe,
auf dem Rücken der harten Erde reite
in den letzten Krückenjahren meines Lebens.

Komm, komm, es ist schwer zu kommen. Einst sah ich in dir
meine Frau und auch etwas von Mutter.
Wenige sind meine Erinnerungen. Und wenige
legte ich in eine Flasche, mit einem Korken verstopfend,
meinen Namen aufschreibend und meinen Ort, und warf sie ins Meer.

Deutsche Fassung von Paulus Böhmer