Only Rock 'n' Roll


In der Hand hielt ich drei
Policen. Ich sah
im Ausguß ein paar
Haare ganz nah.

Ganz nah ein Kamm,
ein Tuch, ein Schwamm.
Im Eisschrank Lamm
von Tengelmann..

Auf dem Tisch die Post
mit dem Wiedehopf.
Daneben fünf Mark.
Ein Manschettenknopf.

In the days before rock 'n' roll, im Meer:
Aus der Zeitachse fällt alles Fleisch, verquer,
fällt vorwärts, vorbei an der Achse, fällt
rückwärts ins Broca, Wasser enthält
keine Zeit. Wasser
klebt in Hose, im Rock,
am Eingang der Scheide, im Darm, im Dock
der Organe, in Telegrammen, im Geld,
in Kilometern von Roggenfeld.
Planeten stürzen, von Gas und Staub
gebremst, ins Zentrum, von den Bäumen das Laub
wird zu Fallaub, das Knochengestell
wird zu Schiefer & Öl,
wird dunkel, wird hell,
wächst zu Nugen und Fängen,
zum Highnoon des Sekrets,
in den Farben von Sandstein, Himbeere, Aids.
Wellen, anlaufend, ablaufend,
laut, werden zu Fleisch, unter der Haut
wachsen Pflanzen, Bakterien, Säuren, Sand, Werk=
stätten wuchern im brachen Land, Epi=
phanien, gesäumt am Rand
von Kränen, Containern, Niemandsland,
fallen lautlos vom Himmel, schwarz
steht der Wald, schwarz
ist die Pampe am Wolgastrand.
Schwarz ist die Scheiße, der Sklavenreflex,
schwarz dein Gewächs, schwarz die Farbe des Specks.
An der Zeitachse rutschen
die Furien herab, lutschen
und lecken die Nässe im Grab.
Profanes Fleisch verrottet noch
in Senken, Tränken, in Löchern, im Loch
der Mutter, im Ziel
der Kloaken: im Moloch.

In der Hand hielt ich drei
Policen. Ich sah
im Ausguß ein paar
Haare ganz nah.

Liebe hockt
in den Erddeponien der Dealer.
Liebe lockt
in Knackärschen, unbehaarten, behaarten, glitzert
in Bierschaum, Speichel, in Wind, Hitze, Steilheit,
in Gangsterhöhlen, in Autoscheiben,
die der Fahrer herunterläßt.

Im Stehen ißt ein Kind sein Eis,
blickt starr vor sich her, über die Wangen
laufen ihm Tränen, eine Frau
bockt ihre Hüften.
Die Erde schlingert leicht auf Bahnen, die sich
nach tausend Jahren wiederholen, leicht
schlingert ein Hund, als habe er sich
von seinem Körper entfernt, seinen Körper
schon vor dem Tod abgeworfen wie eine Haut.
An der Ecke werden
Schwarzfahrer exekutiert.

Ganz nah ein Kamm,
ein Tuch, ein Schwamm.
Im Eisschrank Lamm
von Tengelmann.

Nachts leuchten
die Augen der Kaimane
auf im Glück.
Mechanisch wie ein Paarungsakt
bewegen sich die Kiefer.
Die Erde schnurrt zusammen
wie ein Ballon. Die Callas
verlor Onassis an Jackie, Jackie verlor
Onassis an den Tod.
Die Erde schnurrt.
Die Augen der Kaimane leuchten.

Schwer hängt der Himmel überm Bruch.
Bussarde. Gelber Raps.
Erstarrt steht Nyssia, Gyges kniet
neben ihr. Die Wiesen summen.
Sterbende liegen
mit flatterndem Mund
im Bett. Sie wollen ins Meer, un=
sterbliche Molekulargedichte. Eis.
Kälte. Kälte. Eis.
Molekular=
gedichte.

Auf dem Tisch die Post
mit dem Wiedehopf.
Daneben fünf Mark.
Ein Manschettenknopf.

Die Person, die kommt, ist immer
der Tod. Befleckt
ist der Slip, verdreckt der Zeh.
Wenn du kommst, dann komm,
wenn du gehst, dann geh.
Die Zunge ist dick wie der Arm einer Frau,
die du nicht liebst, eine arme Sau
stirbt im Hof, schließ die Augen
vor ihrem Manschettenknopf.
Schließ die Augen, Liebe, glaub mir nicht,
wenn ich sag, ein Molekulargedicht
bist du, ein Tröpfchen im Meer.
Das Meer wird nicht leer.
Geh nicht, komm her.

In der Hand hielt ich drei
Policen. Ich sah
im Ausguß ein paar
Haare ganz nah.

Ganz nah ein Kamm,
ein Tuch, ein Schwamm.
Im Eisschrank Lamm
von Tengelmann.

© Paulus Böhmer
From: Wäre ich unsterblich. Gedichte 1996-1999.
Deutscher Taschenbuch Verlag, 2001
Audio production: 2005, M.Mechner / Literaturwerkstatt Berlin