Thomas Böhme
Der Liederabend
Der Liederabend
Wir lauerten um das schwarze Klavier.
Einer steckte fünf Reichstaler in den Schlitz.
Schubert stand auf und sang aus der »Winterreise«.
Der Wirt hinterm Tresen rauchte eine Zigarre.
Pflaumenknödel kamen und dunkles Bier.
Schubert trank lieber Rotwein, wir kannten das ja.
In der Schankstube summten umeinander die Fliegen.
Napoleon war noch nicht aus Rußland zurück.
Auch Stalingrad sei nicht zu halten. Wir kannten das ja:
Irgendwer wußte immer schon mehr.
Durch die Ritzen zog es wie Hechtsuppe.
Den »Lindenbaum« brachte Franz sehr exponiert.
Wir aber warteten auf den »Leiermann«.
Seine froststarren Finger rührten uns immer zu Tränen.
Ein hölzernes Stuhlbein fing an zu knarren.
Der Hund des Hausierers rieb seine Schnauze daran.
O Jesses, heuer kriegen wir zeitigen Schnee!
Der Invalide schob sich auf seinem Wägelchen durch.
Einer muß ihm beim Pissen helfen. Wer geht freiwillig mit?
Wir würfelten. Schubert war viel zu besoffen dafür.
Der Wirt nahm das ernst mit dem Weltuntergang.
Kaum schlugs Mitternacht, verhängte er alle Bilder –
Franz-Joseph, den Führer und Marlene Dietrich.
Schubert schrie nach mehr Gumpoldskirchner.
Das Lied von der Reblaus kannten wir alle.
Zum Kehraus ließen wir noch die Korken knallen.
In Stalingrad machen sie uns zur Schnecke!
Schau, Franzerl, mußt net immer alles so schwarz sehn!