Ralf Meyer
DER BESUCH
Knackend drehte sich im Schloß ein Schlüssel,
Meiner war es nicht, der lag dem Schränkchen
Obenauf, das neben meinem Bett stand.
Durch den Spalt der Tür das Licht der Diele
Fiel, die Tür stand einen Lidschlag offen,
Und ein Wesen schlüpfte in das Zimmer.
Unbekleidet lag ich auf den Decken.
Ungewaschen war ich, wollte morgens
Das besorgen, und ich fragte höflich
In die Dunkelheit, wer mich besuche.
Auf den Lippen spürte ich zwei Finger,
Die zu sprechen mir verbieten wollten.
Darauf schälte sich ein Leib aus Kleidern,
Glieder drängten sich an meinen Körper,
Und dann lag sie still. – An meiner Seite
Schlug ihr Puls durch ihre Haut an meine,
Bis im Gleichklang beide Atem strömten.
Nichts geschah, als so verschlungen dauern.
Denn das Atmen reichte als Bewegung
Und rieb Haut an Haut, als ob Sekunden,
Aus der Zeit gefallen, sich verlängern,
Ihr Verstreichen nun ein Streicheln wäre.
Und ich hoffte, sie sei jenes Mädchen,
Das ich abends schon bewundert hatte
In der Runde, um den Tisch Gefährten.
Lauthals stritten wir, der Ernst der Lage,
Gut zu leben sei kaum möglich. Taubheit
Und Gewinnsucht kostet ganze Völker.
Diebe seien wir, zu nichts mehr nütze,
Achtlos in der Liebe, hart zum Nachbarn,
Freiheit bloß ein andres Wort für Lüge,
Selbst die Not noch in ein Kleid zu werfen …
Und das Mädchen hörte zu. Die Augen
Wurden schmal, ihr Spott ließ keinen Zweifel,
Daß wir unser Los nie wenden würden,
Fast wie jetzt! Als setzte sie die Stille
Fort, die ich bewundert hatte, lag sie,
Wie ein Tier sich an ein zweites anlehnt,
Stumm an mir im Dunkeln. – Ich sah Bilder,
Einen schweren Strom, auf dem wir trieben,
Der von unten warmes Licht erzeugte,
Durch die Farben bis in gleißend Helles,
Und dann brach ein Laut aus ihrer Stimme,
Oder war es meine, die ich hörte? –
Eine Weile fand der Atem flacher
In das Bett des Flußes, dann ins Laken.
Rasch warf sie den Mantel über, einen
Lidschlag Licht sah ich die nackten Füße
In der Tür und fiel in eine Tiefe,
Wie in feuchte Tücher eingeschlagen.
Morgens, in der Halle, vor dem Teller
Saß ich abseits, schlug die Augen nieder,
Denn ich wagte nicht, den Blick zu heben.