Björn Kuhligk
DAS GEDICHT GEHT DURCH EINEN KÖRPER UND GRÜSST NICHT MAL
DAS GEDICHT GEHT DURCH EINEN KÖRPER UND GRÜSST NICHT MAL
1
Wenn man durch ein Land reist, ist das Land eine Reise wert.
Wenn man eine Siedlung verlässt, erreicht man eine andere.
Wenn man ein Gedicht geschrieben hat, schreibt man ein nächstes.
Wenn das eine Freude ist, ist das eine Freude.
Wenn man ein Bier trinkt, trinkt man ein Bier.
Wenn das schön ist, ist es schön.
Wenn ich das so weiter mache, mache ich so weiter damit.
Wenn ich einen Wurstsalat esse, esse ich einen Wurstsalat.
Wenn das eine Freude ist, dann ist das eine Freude.
Wenn man das eigene Leben als Material benutzt, dann ist das so.
Wenn man eine neue Grammatik erfinden möchte, kann man das tun.
Wenn man eine neue Wahrnehmung erzeugen möchte, kann man das tun.
Wenn man etwas zertrümmern möchte, möchte man etwas zertrümmern.
Wenn man etwas tun möchte, möchte man etwas tun.
Wenn man das jetzt so weitermacht, dann macht man so weiter damit.
Wenn eine Kartoffel was zur anderen sagt, dann sagt sie: Ich möchte nicht gegessen werden. Wenn sie noch was sagen kann, dann kann sie sagen: In der Erde war es besser.
Wenn man das jetzt so weiter macht, dann macht man so weiter.
2
Fährt man von den Quellen zu den Leuchttürmen, fährt man nicht von den Leuchttürmen zu den Quellen.
Rede ich über Brackwasser, rede ich nicht über Hochseefischerei.
Rede ich über Algebra, was ich nie mache, rede ich über etwas, von dem ich nichts verstehe.
Rede ich über das Wetter, kann ich darüber reden.
Rede ich über Fotografie, habe ich eine Ahnung davon.
Rede ich über Theater, weiß ich zu wenig, um darüber reden zu können.
Rede ich über Gedichte, denke ich, ich sollte nicht darüber reden.
Schreibe ich Gedichte, schreibe ich Gedichte.
Schreibt man Gedichte, genügt das.
Fährt man von den Quellen zu den Leuchttürmen, dann macht man das.
Wird man pathetisch, dann muss die Heide brennen.
Wird man leise, wird man leise.
Stellt man sich eine Schreibaufgabe, hat man eine Schreibkrise.
Hat man eine Schreibkrise, sollte man seine Zeit mit anderem verbringen.
Sagt man Krise, sollte ein Land brennen.
Schreibt man ein Gedicht, dann schreibt man es.
Schreibt man keins, dann schreibt man keins.
Sagt man immer wieder man, weiß irgendwann niemand mehr, wer gemeint ist.
Sagt man immer wieder man, meint man nur sich selbst.
Sagt man immer wieder man, sind alle gemeint.
Sage ich immer wieder wir, sagt irgendwann jemand, ich bin nicht dein wir, mein Großvater wollte niemals auf eine DGB-Demo schießen.
Fährt man von den Quellen zu den Leuchttürmen, schwimmen Lachse mit.
Fährt man von den Leuchttürmen zu den Quellen, schwimmen Lachse mit.
3
Ich weiß, dass Kunst nur die traurige Zusammenballung aller Defizite ist.
Ich weiß, dass mir dieser Gedanke sehr logisch erscheint.
Ich weiß, dass ich mit diesem Gedanken Gedichte schreibe.
Ich weiß, dass ich Menschen, die Gedichte schreiben und sich öffentlich über Gedichte im Allgemeinen äußern, merkwürdig finde.
Ich weiß, dass ich haupt- oder nebenberufliche Kritiker von Gedichten merkwürdig finde, weil sie eine Vorstellung von dem haben, was ein Gedicht sein soll.
Ich habe mal in einem französischen Film eine Strandszene gesehen, in der ein Mann einer Frau sagte: „Madame, ich möchte mit ihrer Tochter schlafen. Es soll wie ein Gedicht sein, was ich ihnen widme.“
Ich weiß nicht, was ein Gedicht ist.
Ich weiß, dass jemand, der sich für einen großen oder wichtigen Dichter hält, einen Knall hat.
Ich weiß, dass jedes größere Kind ein Gedicht schreiben kann.
Ich weiß, dass Jugendliche Gedichte schreiben.
Ich weiß, dass ich erwachsen bin und immer noch Gedichte schreibe.
Ich weiß, dass jedes Gedicht die Ballung aller Defizite ist.
Ich habe mal geschrieben, dass ich das mit „Bier“ betitelte Gedicht von Karl Mickel über die Alpen tragen würde, um den Fortbestand dieses Gedichts zu sichern.
Ich weiß, dass ich die Alpen falsch einschätze.
Ich weiß, dass jedes Gedicht traurig ist.
Ich weiß, dass ich keine Traurigkeit über die Alpen tragen möchte.
Ich weiß, dass ich Gedichte schreibe, weil ich Gedichte schreiben will.
Ich weiß, dass diese Logik bahnbrechend ist.
4
Das Gedicht grenzt im Westen an die Vereinigten Staaten der Zwecklosigkeit.
Das Gedicht grenzt im Osten an eine freiwillige Feuerwehr.
Das Gedicht grenzt im Süden an eine Tüte Bio-Mehl.
Das Gedicht grenzt im Norden an subventionierte Kinderbetreuung.
Das Gedicht grenzt, wenn es Grenzen hat, an seine Selbstgefälligkeit.
Das Gedicht geht durch einen Körper.
Das Gedicht geht durch meinen Körper.
Das Gedicht geht durch meinen Körper und grüßt nicht mal.
Das Gedicht holt sich, was es braucht.
Das Gedicht braucht Jahre, zwei Minuten.
Das Gedicht wird manchmal richtig scheiße.
Das Gedicht wird dann gelöscht.
Das Gedicht ist so dämlich wie der, der darüber redet, darüber schreibt.
Das Gedicht ist so klug wie der, der ins Museum geht.
Das Gedicht braucht keine Schlaumeierei, keine Milchmädchenrechnung.
Das Gedicht braucht kein Schreiben über das Gedicht.
Das Gedicht will geschrieben, will gemacht werden.
Das Gedicht will nicht geschrieben, will nicht gemacht werden.
Das Gedicht ist ein Hüttenkäse.
Das Gedicht will sagen: Lasst mich in Ruhe, wenn ich fertig bin.
Das Gedicht will sagen: In der Ziege war es besser.
Das Gedicht will sagen: Woher weißt du, was ich will und warum kann ich überhaupt reden.
5
Ich schreibe, wenn etwas kommt.
Ich schreibe, wenn etwas nicht kommt.
Ich schreibe, wenn etwas ankommt
Ich schreibe, wenn etwas nicht ankommt.
Ich schreibe, wenn die Defizite.
Ich schreibe, wenn auf einem T-Shirt steht „I´m a muslim, not a bomb“.
Ich schreibe, wenn die Tiefe, die Höhe, das Dazwischen.
Ich schreibe, wenn die Apnoe-Taucher, die Speedclimber.
Ich schreibe, wenn diese verdammten Schmerztiere.
Ich schreibe, wenn diese Verwahrlosung.
Ich schreibe, wenn dieses Dieses.
Ich schreibe, wenn die Schönheit eines Feldes.
Ich schreibe, wenn das Schweigen, die Stille.
Ich schreibe, wenn die Defizite.
Ich schreibe, wenn das gefrostete Stück Wiese vor einem Familienhaus.
Ich schreibe, wenn die Heide brennt.
Ich schreibe, wenn das Land brennt.
Ich schreibe, wenn die Hochstuhlrocker, die Badewannenwasser-Kapitäne.
Ich schreibe, wenn die Liebe, der Hass, die Leere undsoweiter.
Ich schreibe, wenn der von Schnee bedeckte, an der Ampel wartende Hund und seine Ahnungslosigkeit.
Ich schreibe, wenn größere Aufmerksamkeit versprochen wird.
Ich schreibe, wenn Geld geboten wird.
6
Ich antworte, ich schreibe sie mit den Händen.
Ich antworte, ich lebe zeitweise und teilweise davon und damit und gut und danke.
Ich antworte, dass ich darauf nicht antworten werde, Sie fragen doch auch keinen Roman-Autor, warum er keine Gedichte schreibt.
Ich antworte, dass jedes Hoch- oder Flachhaus mehr Erotik hat.
Ich antworte, dass jedes geschlossene Gewässer mehr von allem hat.
Ich antworte, dass ein Feuerwehrfest in Posemuckel mehr Menschen erfreut.
Ich antworte, dass diese Tätigkeit mehr Lächerlichkeit hat als ein Feuerwehrfest in Posemuckel.
Ich antworte, dass diese Tätigkeit mehr Ernsthaftigkeit hat als ein Feuerwehrfest in Posemuckel.
Ich antworte, dass ich etwas mache, was Jugendliche tun.
Ich antworte, dass das eine Fehlschaltung ist.
Ich antworte, dass es ein Handwerk ist.
Ich antworte, ich bin manchmal glücklich dabei.
Ich antworte, ich schreibe sie mit den Händen.