Joachim Sartorius
Alexandrie, Boulevard de Ramleh, 1903
Alexandrie, Boulevard de Ramleh, 1903
aus dem Zyklus Alexandria
Wie die Bleistiftschrift auf der alten Postkarte
déposé Nº 10 erklärt, ist Ramleh der Name eines Badeorts,
einer Hauptstraße im Ausländerviertel der Stadt
und eines Bahnhofs mit Zügen an die Küste.
Auf der Karte macht der Boulevard im rötlichen Staub
einen leichten Schwung auf den Bahnhof zu,
als müsse es jederzeit die Möglichkeit geben,
der sommerlichen Erstarrung zu entfliehen
Richtung Meer, Richtung Ramleh, Richtung Athen.
Die ganze verrottete Langeweile des Viertels,
wie sie sich Carlo Mieli, Fabrikant der kolorierten Karte,
nicht dachte, ist gegenwärtig:
eine Apathie ohne Geruch
wie eine Rose aus gewachster Seide.
Wo bleibt der Orient? Herr Mieli hat Sorge getragen.
Rechts neben die Wohnhäuser der Ausländer,
ihre weißen Markisen und Balkons,
und die Figurinen auf der Straße, zu klein,
um wirklich ausdruckslos zu sein,
ließ er eine Rotunde ein.
In diesem Kreis sieht man die Nubierin, verschleiert,
den Mann mit Fez und den promisken Knaben.
Sie posieren unter zerfransten Bananenblättern
mit fortan unbewegtem Gesicht,
unter der Lupe aufgelöst in braune Punkte,
die alles sein können, das heißt nichts,
oder nur die versprühende Wärme dieser Körper
von der Farbe und der Härte der Olive.
Doch der Blick geht immer zurück
auf diesen öden Boulevard, zu einem Strichmännchen,
europäisch gekleidet, das vor dem Bahnhof
in eine dunkle Gasse biegt zu guter Letzt,
Kavafis vielleicht, damals 40 Jahre alt,
obwohl alles dagegen spricht und alles
für die Entdeckung der Nähe des Meeres.