XIAO Kaiyu

chinesisch

Raffael Keller

deutsch

向杜甫致敬 / Xiang Du Fu zhi jing (jie xuan)

这是另一个中国。
  为了什么而存在?
没有人回答,也不
再用回声回答。
  这是另一个中国。

一样,祖孙三代同居一室
  减少的私生活
  等于表演;下一代
由尺度的残忍塑造出来
  假寐是向母亲
  和父亲感恩的同时
学习取乐的本领,但是如同课本
  重复老师的一串吆喝;
啊,一样,人与牛
  在田里拉着犁铧耕耙,
  生活犹如忍耐;

这是另一个中国。
  讲汉语仅仅为了羞耻,
当我们像啤酒,溢出
  古老语言的泡沫,就是
没有屈辱感, 也没有荣耀。
  牙膏、馅饼、新名词
  引文和人类精英
之类蠢头衔换掉了嘴巴的
  味觉,谁肯定呢,
  这不是勾践的诡计?

熟悉的城市在变成
  另一座城市,相同的
  楼群,带着
小片伤疤(郊区的小河
  流着临时码头淌下的坏血)
家家电视收看一部连续剧,
  几个人杀人,缺乏
  正义感但是幽默。
(说到“人性”,警察认为,
  得睡一觉,美美地。)
  至于诡计将否定
我们所说的和所习惯的绝望,
  机关里准备了最佳理由
  让喜悦来统治表格。

啊,我在河北、长江和上海的
  灰色漩涡——
  停电,停热,停水——
辨认出神仙的行踪,
  我轻蔑地恭敬地出神,
  我看见了另一个人。
街头的熊熊红色舔食着他
  那肉感的柴薪竭力证明
这是另一个中国。
  勉强算是“中国”的遗迹。
可是在菜场,在阅报栏前,在其它
  次重要场所——奇迹般地——
      生命信念
把两个中国的臣民沟通;
  一侧是男人做女红。

不读你们的日记
  我也谴责你们的苦衷,
  (栽花养草,说废话)
那幸存者的委屈所控告的飘逸
  构成了妖媚的判词,
 “句法,风骨”,
简直就是稀泥。我恶心
  你们发明的中国,慢速火车
  缀结起来的肮脏国家,
照着镜子毁容,人人
  自危 ,合乎奖赏,
 (火车开过来了)

山顶和楼顶上的望远镜
  放大的局部痛苦
使得我比你激烈——在街头
  我向一个老头撒娇:把你
  说已经给我们的东西给我们!
给?就是给。老头领
  和老现实,拒绝
  妥协,别无它途。
我面对着的倒是我所缺乏的,
  国家,支配,某一天,
  和自由的能力。

麻雀的黄昏理论可以休矣!
  恐龙轻飞的哲学,
  必须饶恕九十年代的
中国人,他不能崇拜沉默。
  翻译就像风疹。
  斜眼是合适的,
合适而又警惕。哦,交集着
  悲哀和糊涂,坐在门前的
  泥地上:孩子们
喊叫着走过;命运尖厉的哨声
  控制着成长。睡前
  读《人间喜剧》。
  
这是另一个中国。
  只是为了存在。
不是官僚的,而且是反官僚的。
  我们的生活就象我们
  躲躲藏藏,可是我们
目的并非痛苦,也不是
  因此折腰,自言自语,  
  喃喃地,“你,你呢?”。     


(1995.8)

© Xiao Kaiyu
Aus: Xuexi zhi tian (Das süsse Lernen)
Beijing: Gongren, 2000
Audioproduktion: 2001 M. Mechner, literaturWERKstatt berlin

Aus dem Zyklus „Hommage an Du Fu



Dies ist ein anderes China.
Wozu existiert es?
Niemand antwortet, auch nicht
mehr mit einem Echo.
Dies ist ein anderes China.

Dasselbe, drei Generationen unter einem Dach,
reduziertes Privatleben
kommt Schauspielerei gleich; die nächste Generation
wird von der Grausamkeit der Norm herausgeformt,
Dösen heisst, Mutter
und Vater gegenüber Dankbarkeit empfinden und sich gleichzeitig
in der Fertigkeit üben, zu seinem Vergnügen zu kommen, aber so wie ein Schulbuch
eine laute Tirade des Lehrers wiederholt;
ach, dasselbe, Mensch und Ochse
ziehen in den Feldern Pflug und Egge,
als hiesse Leben Dulden;

dies ist ein anderes China.
  Chinesisch wird einzig um der Scham willen gesprochen,
nur dass, wenn uns wie Bier der Schaum
uralter Sprache überläuft, wir weder
Erniedrigung empfinden, noch dass es uns zu Ruhm gereicht.
Zahnpasta, Pfannkuchen, Neologismen,
Zitate und idiotische Titel von der Art
„Menschheitselite“ haben den Geschmack im Mund
verändert, wer wüsste,
ob das nicht Gou Jians List ist?

Die vertraute Stadt wird zu
einer anderen Stadt, identische
Häusergruppen, mit
kleinflächigen Narben (in die Flüsschen der Vorstädte
strömt das verdorbene Blut provisorischer Häfen),
in den Fernsehern aller Haushalte läuft eine Serie,
ein paar Menschen töten Menschen, ohne
Sinn für Gerechtigkeit aber mit Humor.
(Apropos „Menschlichkeit“, der Polizist meint,
es sei Zeit für ein Nickerchen.)
Ob nun die List die Hoffnungslosigkeit,
von der wir sprechen und die wir gewohnt sind, verneinen wird,
so liegen in den Ämtern die optimalen Gründe bereit,
damit Freude in den Tabellen herrscht.


Ach, in den grauen Strudeln
von Hebei, dem Yangzi und Shanghai –
Stromausfall, Heizungsstopp, Wassersperre –
habe ich den Aufenthalt der Unsterblichen ausgemacht,
voller Verachtung und Respekt war ich wie verhext,
ich habe einen anderen Menschen gesehen.
Das flammende Rot der Strassen züngelte an ihm,
fleischliches Reisig bezeugte mit aller Kraft:
dies ist ein anderes China.
Zur Not könnte es als Relikt von „China“ gelten.
Aber auf den Gemüsemärkten, vor den Zeitungsaushängen und an anderen
zweitrangigen Schauplätzen verbindet – wie ein Wunder –
der Glaube ans Leben
die Untertanen zweier China;
auf der einen Seite machen Männer die Näharbeiten.

Eure Tagebücher lese ich nicht
und prangere eure Nöte an,
(Blumen züchten, Unsinn reden)
die vom Unrecht jener Überlebenden angeklagte Anmut
bildete einen betörenden Richtspruch,
„Satzbau, kraftvoller Stil“,
nichts als Schlamm. Ich verabscheue
euer erfundenes China, ein schmutziges
mit Bummelzügen zusammengeflicktes Land,
das sich vor dem Spiegel sein Gesicht verwüstet, jeder
fühlt sich bedroht, im Einklang mit der Belohnung,
(der Zug ist eingefahren)

Die von Ferngläsern auf Bergen und Hausdächern
vergrösserten Ausschnitte des Leids
machen mich hitziger als du – auf der Strasse
quengle ich vor einem alten Mann: Gib uns,
was du uns angeblich schon gegeben hast!
Geben? Einfach geben. Die alten Köpfe
und die alte Wirklichkeit, ohne
Kompromisse, keine Ausflüchte.
Womit ich konfrontiert bin, ist zugleich was mir fehlt,
Staat, Bestimmung, irgendein Tag
und die Fähigkeit zur Freiheit.

Der Spatzen Abenddämmerungstheorien können aufhören!
Die Philosophie vom schwebenden Dinosaurier
muss dem Chinesen der neunziger Jahre  
verzeihen, er kann nicht das Schweigen anhimmeln.
Übersetzen gleicht einem Nesselfieber.
Schielende Augen sind angemessen,
angemessen und dazu wachsam. O, hin- und hergerissen
zwischen Gram und Verwirrung, auf dem schlammigen Boden
vor der Tür sitzend: Kinder
gehen lärmend vorüber; die spitzen Pfiffe des Schicksals
kontrollieren das Wachstum. Vor dem Schlafen
wird die „Menschliche Komödie“ gelesen.

Dies ist ein anderes China.
Nur um der Existenz willen.
Nicht bürokratisch, sondern anti-bürokratisch.
Unser Leben duckt sich
wie wir selbst, aber unser
Ziel ist nicht das Leid, auch nicht
sich deswegen zu verbeugen, vor sich hin
murmelnd: „Und ... du?“


August 1995

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Du Fu (712–770) lebte in der Tang-Zeit (618–907), während der die klassische chinesische Lyrik ihre Hochblüte erlebte. Er gilt allgemein als der grösste chinesische Dichter, dem es wie keinem anderen gelang, in seinen Gedichten persönliche Erlebnisse und Empfindungen mit sozialem und politischem Verantwortungsbewusstsein zu verbinden. 

Die List des Gou Jian ist die sprichwörtliche Bezeichnung für die Strategie, den Feind durch Unterwürfigkeit in Sicherheit zu wiegen, um später Rache zu nehmen. 

Hebei ist der Name jener nordchinesischen Provinz, in deren Gebiet sich Peking befindet.

© Aus dem Chinesischen von Raffael Keller