KO Un

koreanisch

실크로드

© Ko Un
Audioproduktion: 2005, M.Mechner / Literaturwerkstatt Berlin

Noten zur Zombologie

Ein Schlag mit dem Staub. Du stirbst gleichzeitig wie hundert japanische Geschäftsleute an Lebensmittelvergiftung in der Sushi-Bar.
Die Veränderung im Griff des Arztes um dein Handgelenk, wenn das Herz stillsteht. Dunkel.
Dunkel. Die Erinnerungen verschwinden, sie werden Phantomschmerzen. Du wachst auf zum Geruch von Daturablüten: ein Hagel von Stockschlägen auf dem Körper.
Kleiner guter Engel, tschüß.
Wir geben dir heute so gut wie nichts.

*

Das Duvalier-Regime auf Haiti warb Hexendoktoren für die Geheimpolizei an. Der staatliche Terror, die Fälle von Kidnapping, Folter, Sklaverei, Mord wurden vertuscht mit Gerüchten von Schwarzer Magie.

*

Die Monster sind, ebenso wie wir, politische Tiere. Zum Beispiel sind Graf Dracula wie auch der Minotaurus Bilder des Adels als ein Monster, Individuen, die, einer feudalen Logik folgend, die Bevölkerung terrorisierten. Der Vampir war gezwungen, in der Familienkrypta zu ruhen, und mußte sich von Jungfrauenblut ernähren (so wie der Fürst das Recht hatte, während der Hochzeitsnacht den Platz des Bräutigams einzunehmen). Der Minotaurus saß als Prinz im Hausarrest, wo er seine vierzehn jährlichen Menschenopfer empfing.
    Der Zombie seinerseits ist eine Monstrifizierung des Abschaums und der Armut. Das Märchen von wandernden Toten, die die Erde übernehmen und die Lebenden fressen, ist eine Erzählung von Ausschreitungen, aber irgendwo mitten zwischen politischer Revolution und ökologischer Katastrophe. Die Bilder von den trägen, unaufhaltsamen Scharen der Zombies können uns auf Gedanken an die Heuschreckenschwärme der Wüstenkriege oder die Gelbfieberepidemie bringen, die während der haitischen Revolution die Streitkräfte Napoleons dezimierte.
    Die Katastrophe folgt den Elenden zum Schlachtfeld.

*

Die Pro-Life-Bewegung verlor spornstreichs den Halt. Jetzt hatten theologische Aktivisten eine noch brennendere Frage auf dem Herzen als was mit uns geschieht, bevor wir geboren werden.
    Pro Death erblickte das Licht der Welt. Von Lobbytätigkeit zu Kettenaktionen gegen Begräbnisse sowie Ausgraben und Reanimieren der Toten, unter Regie der Angehörigen oder im Gegenteil ohne deren Wissen oder Zustimmung.

*

Die Reintegration in die Gemeinschaft begann mit Fernsehsendungen, abgestimmt auf die lebenden Toten, Curling für Reanimierte, Trimmen für Verstorbene, Studienkreise über den Gebrauch von Treppen und Türen sowie jährliche Busausflüge nach Legoland.

*

Alle Lebenden/Toten haben das Recht, sinnvoller Gegenstand zu sein.
Alle Lebenden/Toten haben das Recht auf ein würdiges Ausgräbnis.
Alle Lebenden/Toten haben das Recht auf Freiheit von Religion, Äußerung und Gedanke.
Alle Lebenden/Toten haben das Recht, zu sein oder nicht zu sein.
Alle Lebenden/Toten haben das Recht auf Salz in der Grütze.
Alle Lebenden/Toten haben das Recht auf braaains … brraaaiins … BRRAAAIINS!

Übersetzt von Angelika Gundlach